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Junge Zebrafinken imitieren den Gesang eines ausgewachsenen Finken, um später Weibchen anzulocken.  Richard Hahnloser, ETH/UZH
Junge Zebrafinken imitieren den Gesang eines ausgewachsenen Finken, um später Weibchen anzulocken. Richard Hahnloser, ETH/UZH

Komplexe Lernprozesse wie Sprechen oder Singen laufen nach ähnlichen
Mustern ab. Am Beispiel von Zebrafinken zeigen Forschende der UZH und der
ETH Zürich, wie die Jungvö-gel die Balzgesänge ihrer Väter imitieren und
tausendfach üben. Dabei erinnern sie sich an den Gesang vom Vortag und
knüpfen optimal daran an.

Das ganze Leben lang müssen wir uns neue motorische Fähigkeiten aneignen:
Ein Baby etwa lernt von Geburt an, seine Arme und Hände zu bewegen, Worte
auszusprechen und zu gehen. Die Menschen lernen einen Bewegungsablauf
meist durch Üben und tausendfach Wiederholen. Dabei gelingen einige
Versuche besser als andere und sie werden insgesamt besser.

Diesen Fortschritt ermöglichen Veränderungen in der Vernetzung des
Gehirns. In vielen Hirnarea-len müssen Millionen von Verbindungen zwischen
Neuronen sowie zwischen Gehirn und Muskeln angepasst werden. Sie müssen
zudem gefestigt werden, damit die verbesserten Bewegungsab-läufe nicht
verloren gehen, wenn die gleichen Hirnareale aktiviert werden, um eine
weitere Fähig-keit zu lernen.

Einfache Kurve für komplexe Bewegungen

Um die biologischen Grundlagen des Lernens zu verstehen, muss die
Forschung Gemeinsamkei-ten im Erlernen von äusserst verschiedenen
Fähigkeiten und Bewegungsabläufen finden. "Beim Klavierspielen oder beim
Spracherwerb laufen sehr ähnliche Mechanismen ab. Die beteiligten Muskeln
sind jedoch völlig unterschiedlich", sagt Sepp Kollmorgen, Post-Doktorand
am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich.

In einer neuen Studie untersuchten Forschende der Universität Zürich und
der ETH Zürich am Institut für Neuroinformatik die allgemeinen Prinzipien,
die dem Erlernen von komplexen motori-schen Fertigkeiten zugrunde liegen.
Sie führten einen allgemeingültigen Algorithmus ein, der die unzähligen
Veränderungen während eines Lernprozesses auf eine einfache Lernkurve
reduziert. So konnten die Wissenschaftler ablesen, wie und wann sich die
einzelnen Versuche veränderten, ohne dass alle Details der beteiligten
Bewegungen berücksichtigt werden mussten.

Zebrafinken üben ihr Lied tausendmal am Tag

Mit ihrer neuen Methode untersuchte das Team, wie männliche Zebrafinken
singen lernen. In freier Wildbahn imitieren die Jungvögel den Gesang eines
ausgewachsenen Finken, um später Weibchen anzulocken. Im Alter von etwa 40
Tagen beginnen sie, den Gesang nachzuahmen und üben ihn über drei Monate
viele tausend Mal pro Tag. "Wir vermuten, dass die Prozesse, die beim
Lernen im Gehirn der Vögel aktiv sind, beim Menschen etwa analog
ablaufen", erklärt Richard Hahnloser, Professor für Neuroinformatik an der
ETH Zürich. Der Vorteil einer Studie bei Vögeln sei allerdings, dass viel
präzisere Werkzeuge zur Verfügung stehen, um den Lernprozess im Gehirn zu
beobachten.

Besonders gute Versuche werden nicht vergessen

Die Lernkurve der Zebrafinken enthält Überraschendes: Zum einen zeigt
sich, dass der Lernpro-zess vielschichtig ist und sich guter und
schlechter Gesang unterschiedlich verändert. An einem Tag klingen die
meisten Lieder ähnlich, aber gelegentlich produziert der Vogel einen
besonders guten oder einen wirklich schlechten Versuch. Die
Wissenschaftler fanden heraus, dass sich die besten Lieder im Laufe eines
Tages langsam aber stetig verbessern und sich über Nacht nicht verändern.
Am nächsten Morgen klingen die besten Lieder ebenso gut wie am Vorabend.
Die sehr schlechten dagegen verbessern sich während eines Tages schnell -
aber dann vergisst der Vogel über Nacht die meisten Fortschritte. Am
nächsten Morgen klingen die sehr schlechten Ver-suche wieder fast genauso
wie am Vortag.

Zudem zeigen die Lernkurven, dass die meisten Veränderungen über Nacht
vergessen gehen, wenn sie nichts mit dem zu tun haben, was der Vogel zu
singen versucht. "Die Vögel scheinen unglaublich effizient zu sein. Dank
des Schlafes erinnern sie sich an die positiven Dinge, die sie tagsüber
gelernt haben, und vergessen den unwichtigen Rest", erklärt Valerio Mante,
Professor am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich.

Grosses therapeutisches Potential

Diese Prozesse sind die Grundlage für ein besseres Verständnis darüber,
wie Lernen im Gehirn abläuft. Das therapeutische Potenzial dieser
Erkenntnisse ist gross: Verstünde man zum Beispiel, warum es so schwer
ist, sich an Verbesserungen weniger gelungenen Abläufe zu erinnern, wären
effizientere Trainingspläne in der Rehabilitation für Schlaganfall- oder
Unfallopfer möglich. Es wäre letztlich sogar denkbar, direkt auf bestimmte
Hirnareale zuzugreifen, um den Lernprozess zu stimulieren, folgern die
Forschenden.