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Professor Dr. André Gries  Foto: Stefan Straube (Universitätsklinikum Leipzig)
Professor Dr. André Gries Foto: Stefan Straube (Universitätsklinikum Leipzig)

Die Reform der Notfallversorgung ist angelaufen: Am 8. Januar hat
Gesundheitsminister Jens Spahn seinen Entwurf in das
Gesetzgebungsverfahren eingebracht – 49 Seiten, gegliedert in drei
Kernbereiche. „Eine wichtige Initiative zur zukünftigen Sicherstellung der
Versorgung“, lobt Professor Dr. André Gries, Ärztlicher Leiter der
Zentralen Notaufnahme/ Notaufnahmestation am Universitätsklinikum Leipzig,
stellvertretend für die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Das große ABER folgt auf dem Fuße:
„Der Gesetzentwurf krankt inhaltlich allerdings an zum Teil erheblichen
Mängeln!“

Im Zentrum der Kritik der DIVI steht die vorgeschlagene Struktur von
Integrierten Notfallversorgungszentren (INZ), einer von drei Kernbereichen
des Gesetzentwurfes. Ein INZ soll es nach Plänen Spahns an etwa jedem
zweiten an der Notfallversorgung teilnehmenden Krankenhaus geben. Mit
einem Tresen als zentralen Anlaufpunkt für den Patienten, wo triagiert und
dann in den KV-Bereich oder die Zentrale Notaufnahme des Krankenhauses
weitergeleitet wird. „Eine an sich gute Idee – allerdings unter der
fachlichen Leitung der KV! Das ist für die DIVI inakzeptabel!“

DIVI-Präsident Professor Dr. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere
Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in
Eschweiler, formuliert es plakativ: „Bei den Plänen für das INZ geht es in
weiten Teilen nur ums Geld – nicht um eine qualitativ hochwertige
Versorgung aller Patienten.“ Die Intention ist für Janssens eindeutig: Die
KV soll durch diese Regelung die Steuerungshoheit behalten und will damit
einen wesentlichen Teil der Erlöse für die Versorgung der Notfallpatienten
weiterhin in den ambulanten Sektor umlenken. „Ein Milliardengeschäft!“
Bereits heute nehmen diese Patienten aber häufig doppelt Ressourcen in
Anspruch: Nach primärer Beratung in der KV-Praxis erfolgt die medizinische
Notfallversorgung dann häufig doch in der Zentralen Notaufnahme.

Integrierte Notfallzentren (INZ) – ja, aber bitte unter gemeinsamer
Leitung

Professor Dr. André Gries verweist auf die für den KV-Bereich fehlenden
Standards – für das eingesetzte Personal wie auch dessen
notfallmedizinische Qualifikation. Die zeitnahe und unmittelbare
Versorgung von tatsächlichen Notfällen, die heute in Zentralen
Notaufnahmen rund um die Uhr erfolgt, wird sich deshalb nach Meinung der
DIVI qualitativ verschlechtern. Generell sind die Pläne für eine
Zentralisierung gut – weil der Patient nicht entscheiden muss, sondern
eine zentrale Anlaufstelle hat. Aber die fachliche und strukturelle
Leitung eines INZ muss beiden Seiten, also Krankenhaus und KV, obliegen
und kooperativ gestaltet werden!

Generell, so wird auch von anderen Seiten kritisiert, ist der
Gesetzentwurf stark von dem Glauben geprägt, viele Patienten in den
Notaufnahmen säßen hier nur mit Bagatellen wie beispielsweise Schnupfen
oder eingewachsenen Zehennägeln. „Unser Alltag zeigt eine andere
Wirklichkeit“, so Prof. André Gries. „Die meisten der Patienten sind
tatsächlich akut z.T. lebensbedrohlich erkrankt und bedürfen sofortiger
notfallmedizinischer Versorgung bzw. fachspezifischer Weiterbehandlung.“

Ein weiterer Fehler im Gesetzentwurf: Krankenhäuser ohne INZ, bei denen
aber trotzdem Patienten in der Tür stehen, sollen mit 50 Prozent Abschlag
auf ambulante Leistungen bestraft werden. „Absurd!“, kommentiert Gries.
Schließlich dürfen die Patienten nicht abgewiesen werden. Diese Klinik
bleibt auf den Kosten sitzen oder kann die erbrachten Leistungen nur
abrechnen, wenn die Patienten stationär aufgenommen werden, d.h. eine
Nacht im Klinikbett verbringen – ein Fehlanreiz! Es wäre sinnvoller, wenn
Krankenhäuser der Akut- und Notfallversorgung dem G-BA-Beschluss
entsprechend ausgewiesen werden, jedes ein INZ einrichtet und dann seine
Leistungen auch komplett vergüten kann, so der Vorschlag der DIVI.

Das Fazit der DIVI zum neuen Notfallreformgesetz

„Ich bin nun seit über 30 Jahren in verschiedenen Bereichen der
Notfallmedizin tätig“, sagt Prof. André Gries. „Der Entwurf greift schon
lange bestehende offene Fragen auf und enthält gute Vorschläge. Endlich
geht es voran! Die schwerwiegenden Mängel im Entwurf müssen aber noch
korrigiert werden.“ Gries verweist hier ebenfalls auf die zwei weiteren
geplanten Kernbereiche. Zum einen ist ein gemeinsames Notfallleitsystem
(GNL) geplant. Wieder eine Zentralisierung, die die DIVI sehr begrüßt.
Laut Gesetzentwurf sollen aber weiterhin beide Notfallnummern – die 112
und die 116117 – parallel nebeneinander bestehen bleiben, also eine
Doppelstruktur. Besser wäre es, eine einzige Notfallnummer in der
Bevölkerung zu etablieren. Zum anderen soll der Rettungsdienst als
eigenständiger GKV-Leistungsbereich anerkannt werden und mit
Verabschiedung des Gesetzentwurfes die tatsächliche Leistung, nicht wie
bisher nur der Transport, finanziert werden. „Vorsicht!“, kommentiert
Professor André Gries. Vor allem im ländlichen Gebiet müssten trotz
niedriger Einsatzzahlen die Vorhaltekosten trotzdem weiter gedeckt sein.
„Das behalten wir als DIVI entsprechend im Auge!“, stellt auch DIVI-
Präsident Janssens klar.

Und generell hinkt der Gesetzentwurf, der ja das hohe Volumen in den
Notaufnahmen reduzieren möchte, an genau diesem Punkt: Der Patient muss
sich nicht an die skizzierten Wege halten. Es gibt keinerlei Verpflichtung
oder Konsequenzen. „Hier muss mehr Verbindlichkeit her“, fordert Gries.
Bleibt der Gesetzentwurf unverändert, besteht die Befürchtung, dass die
Patientenzahlen generell und in den Notaufnahmen weiter steigen.

Der Vorschlag der DIVI ist, ein standardisiertes notfallmedizinisches
Versorgungsangebot für alle zu schaffen, eine selbst initiierte Wieder-
oder Neuvorstellung auf eigenen Wunsch in einem anderen Bereich des
Gesundheitssystem unmittelbar nach einer ersten Behandlung aber nur gegen
Zuzahlung zu ermöglichen.