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Ab diesem Jahr werden am Universitätsklinikum Leipzig in einem
deutschlandweit einzigartigen Projekt bei allen stationären Patienten
Daten zum Ernährungsstatus erhoben und ausgewertet. Hintergrund dieses
besonderen Screenings ist die rechtzeitige Erfassung von Menschen mit
einer drohenden oder bestehenden Mangelernährung. Eine solche mangelhafte
Ernährung wirkt sich zum einen negativ auf eine erforderliche Behandlung
aus und stellt zum anderen eine teilweise unerkannte ernste
Gesundheitsgefahr dar. Der Bedarf eines Ernährungsscreenings ist groß:
Daten belegen, dass etwa 20 Prozent aller Krankenhauspatienten mangelhaft
ernährt sind.

Um diese zu finden und umgehend mit den notwendigen
ernährungsmedizinischen Maßnahmen beginnen zu können, werden jetzt alle
stationären Patienten am Universitätsklinikum Leipzig einem
Ernährungsscreening unterzogen. Dieses besteht aus zunächst vier Fragen,
die bei der Aufnahme erhoben und in der Patientenakte erfasst werden.
Weisen eine oder mehrere der eingetragenen Antworten auf die Gefahr einer
Mangelernährung hin, wird automatisch das Ernährungsteam des UKL
benachrichtigt. „Wir besuchen umgehend den Patienten oder die Patientin
für das umfassendere Hauptscreening, verschaffen uns dabei ein genaues
Bild und sorgen dafür, dass die individuell erforderlichen Maßnahmen in
Gang gesetzt werden können“, erklärt Lars Selig, Leiter des
Ernährungsteams am UKL. Diese reichen von Ernährungsberatung über eine
speziell angereicherte Ernährung und Nahrungsergänzungen bis zur Ernährung
per Sonde oder über den Blutweg, je nach Erkrankungsbild und Situation.

Die Leipziger Ernährungsexperten haben mit dem Screening bereits gute
Erfahrungen gesammelt. „Bisher haben wir in einem Pilotprojekt allerdings
nur extrem gewichtsauffällige Patienten mit einem BMI unter 18,5 als
gefährdet erfasst und betreut“, beschreibt Selig. Ihm steht für ein
Klinikum mit 1451 Betten ein Team aus zwölf Ernährungstherapeuten zur
Verfügung, das jetzt verstärkt wird durch zehn angehende Diätassistenten.
Damit verfügt das Universitätsklinikum Leipzig über Deutschlands größtes
Klinik-Ernährungsteam – und somit über die Kapazitäten, das Screening über
das gesamte Haus auszuweiten. „So können wir nun auch auf alle bei der
Aufnahme erfragten Risikoparameter reagieren und Auffälligkeiten schnell
nachgehen“, so Selig.

Das Screening erfolge dabei ganz ohne Mehrbelastung der Pflegekräfte,
betont der Ernährungsexperte. Die vier Fragen werden im Zuge der Aufnahme
gestellt, die Eingabe der Antworten kostet auf den Stationen wenig Extra-
Zeit, die Benachrichtigung des Ernährungsteams erfolgt automatisch.

Das Ergebnis des kleinen Aufwands ist allerdings ein großes: „In diesen
Zeiten von Überernährung ist Mangelernährung für uns im Krankenhaus ein
wichtiges Thema“, erläutert Prof. Albrecht Hoffmeister, „daher brauchen
wir Instrumente, um diese sicher erkennen und behandeln zu können.“  Der
Gastroenterologe ist medizinischer Leiter des Ernährungsteams und kennt
das Problemfeld: Weil mangelhafte Nahrungszufuhr auch Normal- und sogar
Übergewichtige betreffen kann, wird diese häufig selbst von den Experten
übersehen. Mit teilweise schwerwiegenden Folgen, denn dauerhafte
Mangelernährung kann durch das Fehlen wichtiger Nährstoffe zu
irreversiblen Schäden zum Beispiel im neurologischen Bereich führen. Im
Krankenhaus führt  Mangelernährung oft zu Komplikationen und einem
längeren Aufenthalt. „Und das, obwohl wir die geeigneten Mittel haben, um
solchen Entwicklungen gegenzusteuern“, so Hoffmeister.

Umso wichtiger sei es, gefährdete Patienten schnell zu finden und zu
versorgen. Im letzten Jahr waren dies am UKL 12.000 von den über 56.000
stationär behandelten Patienten. Häufig handelt es sich um ältere
Menschen. „Ab 70 steigt das Risiko, auch weil viele Menschen, die allein
leben, sich schlechter ernähren und versorgen“, so Hoffmeister. Bei
Kindern sei das Thema Mangelernährung dagegen weniger kritisch. Dank
regelmäßiger  Vorsorgeuntersuchungen seien hier die Kontrollmechanismen
vorhanden, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen. „Erwachsene aber
fallen schnell durchs Raster“, so der Ernährungsmediziner.

Das verhindert nun das Screening. Ein weiterer Vorteil – auch
Fehlernährung wird dabei erkannt. Die Ursachen dafür können sehr
vielfältig sein: Vom schlecht sitzenden Gebiss über soziale Faktoren wie
das Zurückbleiben nach dem Tod des für das Kochen zuständigen Partners bis
zu ernsten Erkrankungen, die die Nahrungsaufnahme verhindern. In jedem
Fall erfolgt eine ernährungsmedizinische Intervention, die zunächst
während des Klinikaufenthalts eine Verbesserung des Ernährungsstatus
sicherstellt, aber auch anschließende Maßnahmen im Blick hat.

„Die Grundlage dafür bildet aber die verlässliche Identifizierung der
Betroffenen in der Eingangsuntersuchung“, resümiert Lars Selig. „Deshalb
setzen wir das Screening und die anschließende Ernährungstherapie jetzt im
Interesse unserer Patienten breit um, obwohl dies von den Krankenkassen
nicht finanziert wird.“