Landwirtschaft 4.0: Digitalisierung soll auch Kleinbetriebe fit für die Zukunft machen


Im Schwarzwald & der Region Stuttgart: Universität Hohenheim und Partner
entwickeln und prüfen digitale Lösungen für kleine Agrargetriebe
Big Data, Agrar-Sensoren an Drohnen und landwirtschaftlichen Maschinen,
individualisierte Software-Anwendungen – die Landwirtschaft 4.0 hat das
Potential Ressourcenschutz und Tierwohl stark nach vorne zu bringen und
gleichzeitig Kosten zu senken. Doch gerade für klein- und mittelständische
bäuerliche Familienbetriebe, wie sie in Baden-Württemberg vorkommen, ist
die Umstellung eine besondere Herausforderung. Wie sie profitieren und
welche Hindernisse es wie zu überwinden gilt, untersucht jetzt das Projekt
„Digitale Wertschöpfungsketten für eine nachhaltige kleinstrukturierte
Landwirtschaft“ (DiWenkLa) unter der Leitung von Prof. Dr. Enno Bahrs von
der Universität Hohenheim in Stuttgart. Kooperationspartner sind die HfWU
Nürtingen-Geislingen zusammen mit mehreren Landesanstalten des MLR. Bund
und Land fördern das Projekt mit insgesamt 4,2 Mio. Euro. Davon entfallen
rund 2,0 Mio. Euro auf die Universität Hohenheim und machen es zu einem
ihrer Schwergewichte der Forschung.
Landwirte sehen sich mit einer steigenden Zahl von Anforderungen
konfrontiert: Sie sollen umwelt- und naturschonend mit höheren
Tierwohlstandards arbeiten, aber dennoch wirtschaftlich produzieren, um
das Überleben des eigenen Hofs nicht zu gefährden. Insbesondere für
kleinere Betriebe stellt dieser Spagat eine große Herausforderung dar.
Eine Chance könnten hier digitale Lösungen bieten. Ob und inwieweit sich
vor allem für bäuerliche Klein- bzw. Familienbetriebe der verstärkte
Einsatz von innovativen digitalen Technologien rentiert, untersucht jetzt
das Projekt DiWenkLa (Digitale Wertschöpfungsketten für eine nachhaltige
kleinstrukturierte Landwirtschaft).
Das Projekt gliedert sich in 14 Teilprojekte in den Bereichen Acker- und
Gemüsebau, Grünlandbewirtschaftung mit Rinderhaltung sowie der
Pferdehaltung. Erforscht wird, wie digitale Technologien auch Landwirten
in Kleinstrukturen ermöglichen, mit geringen Kosten einen
wertschöpfungssteigernden und selbstbestimmten sowie sicheren Zugang zur
Verarbeitung, zum Handel sowie zum Endkonsumenten zu erhalten.
Dabei sind gerade die kleinstrukturierte Rahmenbedingungen eine
Herausforderung, da diese die Einführung von Digital bzw. Smart Farming
erschweren können. Um diese zu meistern, schloss sich die Universität
Hohenheim in einer Kooperation mit der Hochschule für Wirtschaft und
Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) sowie einzelnen Landesanstalten des
Ministeriums für ländlichen Raum zusammen.
Digitale Technologien zum Wohl von Tier und Umwelt
„Die digitalen Technologien können nicht nur den Arbeitsaufwand reduzieren
und Erträge des Landwirts stabilisieren. Sie haben auch das Potential das
Tierwohl zu fördern und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu
reduzieren“, betont Prof. Dr. Enno Bahrs, Projektkoordinator und
Agrarwissenschaftler an der Universität Hohenheim.
Ein Beispiel: „Indem wir Rinder mit Sensoren ausstatten, können wir
registrieren, wann welches Tier wie viel frisst und wie viel es sich
bewegt. Andere Sensoren können die Weidevegetation automatisch erfassen.
Wenn wir beides kombinieren, erhalten die Landwirte einen
aufschlussreichen Datensatz, der ihnen erlaubt das Beweidungs‐ und
Fütterungsmanagement zu optimieren.“
Eine andere Vision ist dank Digitaler Technologien den optimalen Ernte-
oder Mähzeitpunktes zu ermitteln, um besonders hochwertig zu produzieren,
ergänzt der stellvertretende Koordinator, Prof. Dr. Markus Frank von der
HfWU Nürtingen: „Möglich wird das durch die Kombination von Robotik mit
Wetterdaten, die speziell auf den Standort des jeweiligen Betriebs
zugeschnitten und mit flächenspezifischen Ertrags- und
Qualitätsschätzungen des Ernteguts kombiniert werden.“
Pflanzenschutzmittel ließen sich u. a. einsparen, in dem die Landwirte auf
mechanische Unkrautbekämpfung umstellten – und diese automatisierten: „Das
lässt sich durch Maschinen mit sensorgesteuerten Kameras umsetzen: Ein
Bilderkennungsprogramm identifiziert unerwünschte Pflanzen, so dass die
Maschine die Anbauflächen selbstständig davon befreien kann.“
Südschwarzwald und Region Stuttgart als Modelle für andere Regionen
Zwei Regionen in Baden-Württemberg dienen dabei als Experimentierfelder:
der Südschwarzwald und die Metropolregion Stuttgart. Ausgewählt wurden
sie, weil sie zwei Extreme der Landwirtschaft in Baden-Württemberg
darstellen. Später sollen die Ergebnisse von dort auf andere, ähnlich
strukturierte Regionen übertragen werden.
Der Vorteil von Metropolregionen wie Stuttgart dabei ist, dass sie bereits
jetzt stark vernetzte digitale Strukturen besitzen. Zukünftig sei zu
erwarten, dass sie von modernen und leistungsfähigen Datennetzstrukturen
mit Glasfaser‐ und 5G‐Verbindungen noch stärker profitieren werden.
Die Metropolregion Stuttgart steht für Gebiete, die künftig vor allem auf
die Produktion von Acker- und Feldgemüse (Kohl und Salat), Getreide, Soja
und andere Feldfrüchte setzen. Hinzu kommt eine verstärkte Pferdehaltung,
die als Nutz- und Freizeittiere eingesetzt werden.
Demgegenüber bildet der Südschwarzwald die Situation von
Mittelgebirgsregionen mit zum Teil steilen Hanglagen ab. Typisch für diese
Regionen sind viel Grünland, Rinderhaltung und gering entwickelte digitale
Strukturen.
HINTERGRUND: Projekt DiWenkLa
Das neue Schwergewicht der Forschung „Digitale Wertschöpfungsketten für
eine nachhaltige kleinstrukturierte Landwirtschaft“ (DiWenkLa) ist ein
Verbundprojekt mit insgesamt 14 Teilprojekten. Unter der Leitung von Prof.
Dr. Enno Bahrs vom Fachgebiet Landwirtschaftliche Betriebslehre sind elf
Fachgebiete der Universität Hohenheim beteiligt. Projektpartnerin ist die
Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Neben
rund 20 landwirtschaftlichen Betrieben sind an dem Projekt einzelne
Landesanstalten des MLR sowie über 25 Partner aus der Wirtschaft, wie
Industrie- und Dienstleistungsunternehmen, beteiligt.
Das Forschungsprojekt begann am 2.3.2020 mit einer Laufzeit von 3 Jahren.
Mit ersten Ergebnissen wird bereits im Verlauf des nächsten Jahres
gerechnet.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) finanziert
das Projekt über die Förderrichtlinie „Experimentierfelder zur
Digitalisierung in der Landwirtschaft“ mit einer Summe von rund 2 Mio.
Euro für die Universität Hohenheim. Die Gesamtförderung beträgt rund 4,2
Mio. Euro, von denen das Ministerium für ländlichen Raum und
Verbraucherschutz ca. 0,9 Mio. Euro kofinanziert.
HINTERGRUND: Schwergewichte der Forschung
33,9 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Wissenschaftler der
Universität Hohenheim 2019 für Forschung und Lehre. In loser Folge
präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende
Forschungsprojekte mit einem finanziellen Volumen von mindestens 350.000
Euro für apparative Forschung bzw. 150.000 Euro für nicht-apparative
Forschung.
Text: Stuhlemmer / Klebs