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„Anfangs nahmen wir einfach Luftballons, bliesen sie im Labor auf und stülpten sie über die Apparatur.“ – Experiment mit Gaseintrag ins Reaktionsgefäß. (Nordlicht/LIKAT)  Nordlicht/LIKAT
„Anfangs nahmen wir einfach Luftballons, bliesen sie im Labor auf und stülpten sie über die Apparatur.“ – Experiment mit Gaseintrag ins Reaktionsgefäß. (Nordlicht/LIKAT) Nordlicht/LIKAT

Nachwuchsforscher am Rostocker Leibniz-Institut für Katalyse, LIKAT,
entwickelten ein katalytisches Verfahren für Bio-Polymere, das unter sehr
milden Bedingungen abläuft. Ergebnis sind Bausteine des Kunststoffs PEF,
eine nachhaltige Alternative zu Getränkeverpackungen aus PET. Die
Herstellung der PEF-Bausteine kommt ohne Erdöl aus, benötigt wird
stattdessen Zellulose, also Biomasse, und im Wesentlichen nur noch Alkohol
und Luft. Das Verfahren kann sofort in die Praxis umgesetzt werden. Um es
frei zugänglich zu machen, veröffentlichten die jungen Chemiker ihre
Erkenntnisse auf einer Open-access-Plattform.

Als erstes Unternehmen baute Coca Cola in den USA eine Plant-Bottle-Fabrik
für Getränkeflaschen aus Polyethylenterephthalat (PET), die komplett auf
pflanzlicher Basis hergestellt werden – allerdings unter hohem Aufwand an
Energie. Der herkömmliche Prozess für die PET-Bausteine braucht nämlich
Temperaturen bis zu 300 Grad Celsius und einen Druck um 100 bar.
„Diese harschen Bedingungen dämpften bisher die Begeisterung der Industrie
für biobasierten Kunststoff“, sagt Dr. Esteban Meija. Er leitet am LIKAT
die Nachwuchsgruppe „Polymerchemie und Katalyse“, unter seiner
Federführung liefen die Arbeiten zum neuen Verfahren. Das Ergebnis ist
gewissermaßen der „grüne Bruder“ von PET: und zwar PEF, vollständiger
Name: Polyethylenfuranoat. Das PEF-Verfahren kommt mit maximal 60 Grad
Celsius aus, funktioniert bei normalen atmosphärischem Druck und kann
seine Produktivität unter kontinuierlichen Flussbedingungen um das 15fache
steigern. Dr. Meija: „Damit werden biobasierte Polymere wie PEF für die
Industrie wieder interessant.“

Plattformchemikalie aus Reisstroh

Ausgangsstoff für die PEF-Bausteine ist eine sogenannte
Plattformchemikalie, ein Furan-Derivat namens HMF, das aus Zellulose,
einem Mehrfachzucker aus Abfällen etwa der Landwirtschaft, produziert
wird. Weltweit forschen Labors an insgesamt einem Dutzend solcher
Plattformchemikalien, um die Rohstoffbasis der Chemie im großen Maßstab
von Erdöl und Erdgas auf Biomasse umzustellen. HMF, präzise:
Hydroxymethylfurfural, zählt zu den heißen Kandidaten, wie Esteban Meija
sagt. Doch es braucht auch neue Ideen für eine einfache und möglichst
billige Umsetzung dieses Ausgangsstoffs und seiner Produkte im
Großmaßstab.
Über Dr. Meijas Forschungskontakte mit Vietnam ergab sich die Kooperation
mit Nguyen Trung Thanh, einem Professor der Technischen Universität Hanoi.
Meijas Nachwuchsgruppe bot ihm die Möglichkeit, in seiner
Habilitationsarbeit ein vereinfachtes Verfahren für die Herstellung von
HMF aus Reisstroh zu entwickeln. Parallel dazu übertrug Meija einem
Studenten aus Venezuela, Abel Salazar, die Aufgabe, das PEF-Verfahren auf
Basis von HMF zu verbessern.

Luftballons im Labor

Prinzipiell reagiert bei diesem Verfahren ein Gemisch aus HMF und Alkohol
mit Sauerstoff und unter Beisein eines Katalysators zu einem Ester,
genauer gesagt einem Diester, das in einem weiteren Schritt zu PEF
polymerisiert werden kann. Verglichen mit dem bisherigen Verfahren kommt
das neue Verfahren am LIKAT mit einem Bruchteil an Wärme und Druck aus.
Obendrein führen die Forscher der Reaktion den benötigten Sauerstoff nicht
in konzentrierter Form zu, sondern aus der Luft – was den Prozess
wesentlich vereinfachte und offenbar auch den Spaßfaktor der Experimente
erhöhte: „Anfangs nahmen wir einfach Luftballons, bliesen sie im Labor auf
und stülpten sie über die Apparatur.“ Bei drei, vier Reaktionen
gleichzeitig ergab das im Labor schon einmal eine nette Party-Kulisse.
Die Verwendung von Raumluft hatte für die Reaktion allerdings einen
Nachteil: sie lief zu langsam. Das Produkt ließ sich erst am nächsten
Morgen begutachten. Meija und sein Team lösten das Problem an zwei
Stellen. Zum einen erhöhten sie leicht den Druck und fanden ein Optimum
bei 20 bar. „Zum anderen ersetzten wir unser Reaktionsgefäß durch einen
Microflow-Reaktor.

Kontinuierlicher Prozess

Dabei werden die Ausgangsstoffe, im Wesentlichen ein Mix aus HMF und
Alkohol, mit Sauerstoff oder Luft durch ein System von feinen Röhrchen
gepresst. Durch die kapillare Zwangsführung kommen die Sauerstoff-Moleküle
gewissermaßen wohldosiert mit dem Ausgangsmix in Kontakt. Danach passiert
das Reaktionsgemisch eine Kartusche. Dort befindet sich der Katalysator,
der die Reaktion auf Trab bringt, in diesem Falle Partikel aus Kobaltoxid
und Ruthenium, aufgebracht auf die Oberfläche kleiner Kügelchen.
Diese Anordnung sorgt für die „oxidative Veresterung“, wie Chemiker diese
Reaktion nennen, und vor allem ermöglicht sie einen kontinuierlichen
Prozess. Der Katalysator wird nicht verbraucht, er kann immer wieder
verwendet werden. Das Produkt, der veresterte PEF-Baustein, verlässt die
Kartusche als Flüssigkeit und kann nun polymerisiert werden.
„Unsere Reaktion läuft inzwischen 15mal schneller als zu Beginn der
Experimente“, sagt Esteban Meija. Der Chemiker ist überzeugt davon, dass
das Ergebnis viele interessiert. „Wir haben uns deshalb für eine Open-
access-Veröffentlichung entschieden.“

Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Esteban Mejia

Originalpublikation:
https://doi.org/10.1002/cctc.202000205