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Prof. Dr. Dirk Dohse (https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/dirk-
dohse/
), Leiter des Research Centers „Wissensakkumulation und Wachstum“ zu
dem heute in voller Länge veröffentlichten Gutachten „Analyse der
industrie-relevanten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im
internationalen Vergleich“ (https://www.ifw-
kiel.de/index.php?id=14698&L=1), das im Auftrag des
Bundeswirtschaftsministeriums vom IfW Kiel unter Mithilfe von McKinsey &
Company erstellt wurde:

„Der Industriestandort Deutschland braucht eine globalisierte Welt. Schon
in der Vergangenheit hat Deutschlands Industrie stärker von der
Globalisierung profitiert als die Industrie in vielen anderen Ländern –
dies gilt insbesondere für das stark exportorientierte Verarbeitende
Gewerbe. Das heißt aber auch, dass die protektionistischen Tendenzen und
die fortschreitende Digitalisierung eine besondere Herausforderung für
Deutschlands industriellen Sektor sind. Hier gilt es, die Europäische
Union und insbesondere den digitalen Binnenmarkt zu stärken und ein EU-
Investitionsprogramm für Infrastruktur, Forschung und Entwicklung oder
auch europäische Exzellenzuniversitäten anzustreben.

Der wichtigste Produktionsfaktor hierzulande ist das ‚Kapital in den
Köpfen‘. Die Bereiche Arbeitsmarkt und Fachkräfte spielen im rohstoffarmen
Deutschland eine besondere Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit des
Industriestandortes. Traditionell gehört das deutsche Qualifikationsniveau
der Arbeitskräfte hier zur Spitzengruppe, und auch im Bereich Forschung
und Innovation nimmt Deutschland nach wie vor eine Spitzenstellung ein.
Allerdings weisen deutsche Arbeitnehmerinnen und -nehmer bei den digitalen
Kompetenzen und bei der Weiterbildungsintensität (Lebenslanges Lernen)
z.T. deutliche Defizite auf, was künftig zu Diskrepanzen zwischen den
gebotenen und gewünschten Kompetenzen bei Arbeitsangebot und -nachfrage
führen dürfte. Erschreckend niedrig ist in Deutschland die
Innovationsbeteiligung von Frauen und der im internationalen Vergleich
sehr geringe Anteil von Frauen in MINT-Studiengängen. Der
Industriestandort Deutschland kann es sich nicht leisten, dieses große
Potenzial weiterhin ungenutzt zu lassen. Eine gezielte Frühförderung von
Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern erscheint daher unabdingbar.

Allerdings benötigen wir nicht nur mehr Bildung und eine bessere Förderung
benachteiligter Gruppen, sondern – gerade auch im universitären Bereich –
bessere Bedingungen. In der gesamten Europäischen Union fehlt es an
Spitzenuniversitäten auf Augenhöhe mit den amerikanischen
Spitzenuniversitäten und den aufsteigenden chinesischen Universitäten.
Aktuell rangiert laut dem „World Universities Ranking“ der Times Higher
Education keine Universität aus einem Land der Europäischen Union unter
den 30 weltbesten Universitäten. Da Weltklasse-Universitäten teuer sind,
sollte die EU gemeinschaftlich in diesem wichtigen Bereich mehr
investieren, etwa im Rahmen der Important Projects of Common European
Interest (IPCEI).

Die Stärkung des Industrie- und Innovationsstandortes Deutschland ist aber
nicht nur eine Gestaltungsaufgabe für die Politik. Nicht zuletzt muss auch
die deutsche Bevölkerung ihre Komfortzone verlassen: In Deutschland gibt
es eine besonders stark ausgeprägte, gesellschaftliche Präferenz für
Sicherheit und Besitzstandswahrung. Viele Schwächen, die Stakeholder für
den Industriestandort Deutschland sehen, lassen sich daraus ableiten.
Beispiele dafür sind das wenig technologiefreundliche Klima, hohe
bürokratische Hürden für die Gründerszene und hohe Unternehmenssteuern,
der vielfach als zu langsam empfundene Ausbau der digitalen Infrastruktur
oder der Mangel an Wagniskapital durch konservative, risikoscheue
Strategien in der Kapitalanlage. Dieses Phänomen ist nicht neu, wird
allerdings durch die demografische Entwicklung verstärkt und könnte –
gerade in Zeiten disruptiver Veränderungen – zu einer Hypothek für den
Industriestandort Deutschland werden.“

Erste Ergebnisse des Gutachtens wurden am Mittwoch, 24. Juni 2020, von
IfW-Präsident Gabriel Felbermayr auf der Berliner Standortkonferenz des
BMWi mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorgestellt. Hier finden
Sie eine allgemeine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse:
https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2020
/industriepolitik-internationale-arbeitsteilung-essenziell-fuer-erfolg-
deutscher-unternehmen/
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In voller Länge finden Sie das Gutachten „Analyse der industrie-relevanten
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland im internationalen
Vergleich“ hier: https://www.ifw-kiel.de/index.php?id=14698&L=1