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Dr. Łukasz Jędrzejowski vom Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln ordnet die Bedeutung von Nebensätzen für die Bildung und die automatische Sprachverarbeitung ein.  Oestergaard  Daimler und Benz Stiftung/Łukasz Jędrzejowski
Dr. Łukasz Jędrzejowski vom Institut für deutsche Sprache und Literatur I der Universität zu Köln ordnet die Bedeutung von Nebensätzen für die Bildung und die automatische Sprachverarbeitung ein. Oestergaard Daimler und Benz Stiftung/Łukasz Jędrzejowski

Grammatik entlockt vielen nicht mehr als ein müdes Gähnen. Selbst
Rechtschreibung und Zeichensetzung leiden im Deutschen gegenwärtig unter
partieller Nichtbeachtung. Ganz im Gegenteil verhält es sich bei Dr.
Łukasz Jędrzejowski vom Institut für deutsche Sprache und Literatur I der
Universität zu Köln. Der Wissenschaftler untersucht die Rolle von
Nebensätzen in der deutschen Sprachgeschichte und leitet deren Relevanz
für den Bildungsbereich ab. Auch für die Entwicklung automatischer
Sprachverarbeitung und Übersetzungsprogramme sind die Forschungsergebnisse
wichtig. Gefördert wird dieses Projekt von der Daimler und Benz Stiftung.

Entscheiden Sie bei zweifelhaften Grammatikfragen nach Gefühl? Oder sehen
Sie in einem Regel-buch nach bzw. recherchieren im Internet? „Selbst wenn
man ein Lehrbuch wie den Duden zurate zieht, bringt das oft nicht die
gewünschte Klarheit“, erklärt Jędrzejowski. Bei Fragen der Interpunk-tion
oder Rechtschreibung funktioniere dieser Kniff meist, doch in der
deutschen Sprache und Grammatik gebe es zahlreiche Auffälligkeiten und
Unklarheiten.

Ein Beispiel dafür seien die Nebensatztypen im Deutschen. Es gibt
Relativsätze, die den Hauptsatz durch eine Information ergänzen: „Der
Hase, der dort hüpft, ist niedlich.“ Adverbialsätze hinge-gen übernehmen
die Funktion des Adverbs und ergänzen den Hauptsatz durch temporale,
kausale oder konditionale Informationen: „Weil es heute gewittert, bleibe
ich zuhause.“ Schließlich gibt es sogenannte Komplementsätze, die einem
Element des Hauptsatzes untergeordnet sind: „Er sag-te, dass er Reis
gekocht habe.“ Die Grenzen dieser drei Nebensatztypen seien laut
Jędrzejowski oft vage. Es lohne sich, bisherige Erkenntnisse der
Sprachwissenschaft auf den Prüfstand zu stellen. Die Daimler und Benz
Stiftung fördert sein Forschungsvorhaben im Rahmen des Stipendienpro-
gramms für Postdoktoranden über zwei Jahre mit einer Summe von 40.000
Euro.

„Adverbialsätze als nicht-kanonische Adjunkte“, so lautet offiziell der
offizielle, nicht gerade leicht verdauliche Titel des Forschungsthemas von
Jędrzejowski. Nicht-kanonisch bedeutet für Sprachwis-senschaftler nicht
eindeutig klassifizierbar. Eine der Forschungsfragen lautet daher, ob und
wie möglicherweise alle drei Nebensatztypen durch Adverbialsätze
realisiert werden können. Adverbi-ale Nebensätze stehen normalerweise für
fakultative Angaben – sie könnten weggelassen werden, ohne dass der
Hauptsatz als falsch empfunden würde: „Wir hätten die deutsche Grammatik
schnell begriffen, wenn sie einfach wäre.“ Auf den konditionalen
„wenn“-Satz ließe sich also verzichten. Überraschenderweise ist dies in
anderen Fällen jedoch nicht möglich, und zwar dann, wenn der Adverbialsatz
anstelle eines Komplementsatzes verwendet wird: „Uns wäre lieber, wenn die
deut-sche Grammatik einfach wäre.“ Die Entfernung des „wenn“-Satzes
funktioniert hier nicht.

Tatsächlich können Adverbialsätze aber auch die Funktion von Relativsätzen
übernehmen: „Auf der Feier erwartet euch fröhliche Musik, um das Tanzbein
zu schwingen!“ Der adverbiale „um-zu“-Satz beschreibt die Funktion der
Musik näher und übernimmt damit die Eigenschaft eines Relativ-satzes, der
normalerweise Zusatzinformationen über eine im Hauptsatz erwähnte Phrase
liefert. „Das Wissen um solche Grammatikklassifizierungen ist insbesondere
für die automatische Sprach-verarbeitung wichtig“, führt Jędrzejowski
aus. „Auch Übersetzungsmaschinen können exakter und damit fehlerfreier
arbeiten, je klarer die Vorgaben sind, auf die die Algorithmen
zurückgreifen.“

Die Entwicklung von Sprachen stellt stets einen evolutionären Prozess dar,
weshalb die Linguisten einen intensiven Blick auf Alt-, Mittel- und
Frühhochneudeutsch werfen. In der germanistischen Forschung sind jedoch
auch verwandte Gegenwartssprachen wie Luxemburgisch oder Schweizer-deutsch
in vielen Kontexten aufschlussreich. Wie haben sich Nebensätze im
Deutschen also entwi-ckelt? Um dies zu ergründen, durchforsten die
Sprachexperten unter anderem historische Literatur, etwa eine
mittelhochdeutsche Predigt Meister Eckarts (1260-1328). Darin ist zu
lesen: „War umbe izzest dû? War umbe slæfest dû? Umbe daz dû lebest (Warum
isst du? Warum schläfst du? Um dass du lebst).“

Sie fanden heraus, dass in den älteren Sprachstufen des Deutschen,
insbesondere im Alt- (750-1050) und Mittelhochdeutschen (1050-1350),
hauptsächlich „um(-zu)“-Sätze existierten, die aus heutiger Sicht
ungrammatisch wirken und längst von einem „zu“-Infinitiv abgelöst wurden.
Dank ihrer akribischen Textanalysen stellte die Forschungsgruppe von
Jędrzejowski fest, dass sich adver-biale „um-zu“-Sätze aus bestimmten
Sätzen, die damals den Charakter eines Relativsatzes hatten, entwickelt
haben. Dies erklärt den engen Zusammenhang zwischen Adverbial- und
Relativsätzen der gegenwartsdeutschen Sprache.

Einen weiteren vielversprechenden Ansatz stellt die Erforschung
sogenannter „ansonsten“-Sätze dar, die häufig in der juristischen
Fachsprache der Schweiz, Österreichs und Luxemburgs anzutref-fen sind. Von
besonderer Bedeutung ist hierbei die Stellung des Verbs. Ein Beispiel aus
einer Schweizer Landwirtschaftsverordnung des Kantons Wallis: „Die
Einsprache muss begründet sein, ansonsten sie unzulässig ist.“ Aus
standardsprachlicher Perspektive erwartet man das Verb je-doch an der
zweiten Stelle des Satzes: „Der Einspruch muss begründet sein, ansonsten
ist er unzu-lässig.“ Um hieraus neue Erkenntnisse zu gewinnen, haben die
Wissenschaftler einen methodolo-gischen Fragebogen entwickelt, mit dem sie
die notwendigen Sprachdaten in anonymisierter Form erheben. Teilnehmer aus
juristischen Fachbereichen der drei genannten Länder werden aufgefor-dert,
„ansonsten“-Sätze einzuschätzen und auf einer Skala von eins bis sieben zu
beurteilen, in-wieweit der vorliegende Satz für sie akzeptabel ist.

Durch die Analysen der Sprachforscher lassen sich die einzelnen
Nebensatztypen sowie die Abhän-gigkeitsrelationen in Satzgefügen besser
einordnen und verstehen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen unmittelbar
in die Weiterbildung von Deutsch-Lehrkräften und damit in die Befähigung
von Schülern. Jędrzejowski bietet an der Universität zu Köln sowie
weiteren Bildungseinrichtungen di-verse – von Studenten sehr gut besuchte
– Seminare an, etwa „Syntax und Interpunktion“. „Mit unserer Forschung
möchten wir dem Verfall von Deutschkenntnissen ein Stück weit entgegenwir-
ken“, betont er voller Begeisterung für sein Forschungsthema. „Durch ein
besseres Verständnis von Nebensätzen kann der Einzelne beispielsweise
Interpunktionsregeln mit größerer Sicherheit anwenden.“