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Hagia Sophia  unsplash/adliwahid
Hagia Sophia unsplash/adliwahid

Forschungen am Exzellenzcluster über Umwandlungen religiöser Gebäude wie
Synagogen, Kirchen und Moscheen von der Antike bis heute – Dossier-Beitrag
der Judaistinnen Kogman-Appel und Kleybolte über Synagogenzerstörungen im
Mittelalter – Byzantinist Grünbart über „national(istisch)e
Befindlichkeiten“ rund um die Hagia Sophia

Die Umwidmung religiös und politisch aufgeladener Gebäude wie die der
Hagia Sophia in Istanbul ist aus historischer Sicht seit der Antike kein
neues Phänomen. „Vorgeschichte und Kontext solcher Umwandlungen sind dabei
stets Veränderungen der Machtverhältnisse und der Wunsch, diese deutlich
sichtbar zu machen“, schreiben die Judaistinnen Prof. Dr. Katrin Kogman-
Appel und Franziska Kleybolte vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“
der WWU. Über Epochen, Religionen und Regionen hinweg lasse sich eine
Vielzahl solcher Fälle finden. „Architektur und Bildsprache ritueller
Räume haben ein großes Potential, Identität auszudrücken und sich damit
von anderen Gruppen abzusetzen“, erläutern die Wissenschaftlerinnen in
ihrem Dossier-Beitrag Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Ein
Ereignis mit historischen Parallelen, der im Cluster-Web Beispiele aus
Antike, Mittelalter und Gegenwart aufzeigt. Sie erforschen das Phänomen am
Beispiel mittelalterlicher Gebäude im heutigen Spanien im Vergleich der
Religionen und Regionen. „Auf der Iberischen Halbinsel ereigneten sich
Appropriationen in Folge von Eroberungen, massenhaften Zwangstaufen und
Vertreibungen jüdischer und muslimischer Minderheiten.“

Diese mittelalterlichen Umwandlungen von Synagogen in Kirchen seien „Akte
der Machtübernahme“ gewesen, die „den Triumph der Kirche über das
Judentum“ ausdrücken sollten, so Kogman-Appel und Kleybolte. Die
Bildsprache der Gebäude wurde religiös umgedeutet, neue Kunstwerke etwa
antijüdischen Inhalts aufgestellt und Baumaterial der Synagogen
wiederverwendet. „Den Eroberten, so sie noch am Ort lebten, führte dies
ihre Niederlage nur zu deutlich vor Augen.“ Aber auch wirtschaftliche
Motive spielten eine Rolle, denn meist verlor die jüdische Gemeinde mit
der Synagoge auch den gesamten öffentlichen und privaten Besitz.

Sterbliche Überreste entfernen, Wände übertünchen

Man weiß wenig über Umweihungsrituale, wie die Judaistinnen ausführen,
doch seien die Umwidmungen als „Reinigung“ verstanden worden. Viele
Kirchen wurden Maria, der Reinen, geweiht. „In Rothenburg o.d.T. etwa
wurde bei der Umwandlung 1519 darauf geachtet, dass sich keine sterblichen
Überreste eines Juden mehr am Ort finden und die Tünche von der Wand
abgeschlagen und neu gestrichen wurde, um alles ‘Jüdische’ aus den Mauern
zu vertreiben.“ Ein ähnlicher Schritt erfolgte bei der Umwandlung der
Hagia Sophia in eine Moschee nach der Osmanischen Eroberung
Konstantinopels im Jahre 1453. „Auch sie wurde ‚gereinigt‘, die
byzantinischen Mosaiken übertünchte man weiß, um der koranischen
Zurückhaltung Bildern gegenüber zu folgen.“

Mit Blick auf die Gegenwart schreiben die Forscherinnen: „Bei der
Übernahme, Weiterverwendung und Umwandlung von religiös und politisch
aufgeladenem Raum, handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall – weder
innerhalb der Türkei noch in der longue durée betrachtet: So wurde 2011 im
türkischen Iznik ein Museum – ehemals eine Moschee ¬– wieder in eine
solche umgewandelt; gleiches wurde 2013 für das türkische Trabzon
überlegt; und auch in der Geschichte ist es seit der Antike ein Phänomen,
welches sich über Epochen, Religionen, und Regionen hinweg immer wieder
finden lässt.“ Das Forschungsprojekt aus dem Fach Jüdische Studien am
Exzellenzcluster trägt den Titel Gebäude wechseln ihre Identität. Iberien
709–1611. Vorangegangen war in der ersten Förderphase das Projekt
Spätantike Heiligtumszerstörungen des Althistorikers Prof. Dr. Johannes
Hahn.

„Hagia Sophia nicht religiöser Fall, sondern national(istisch)e
Befindlichkeit“

Der Beitrag Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee. Ein Ereignis
mit historischen Parallelen ist in einem Themen-Dossier auf der Website
des Exzellenzclusters mit dem Titel Hagia Sophia – Religiöse Gebäude und
die Geschichte ihrer Umnutzungen erschienen. In einem weiteren Dossier-
Beitrag zeichnet der Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart die
wechselvolle Geschichte der Hagia Sophia mit ihren inneren und äußeren
Veränderungen vom sechsten bis 21. Jahrhundert nach. Er betont, die
Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee sei weniger eine religiöse
Angelegenheit als eine „national(istisch)e Befindlichkeit“. Das Gebäude
sei seit mehr als 550 Jahren keine christliche Kirche mehr. Sein Beitrag
trägt den Titel „Religion und Politik am Goldenen Horn? Hagia Sophia, das
nächste Kapitel“. (vvm/maz)