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Der BioEconomy HUB will Bioökonomie-Unternehmen durch Zugang zu Pilotanlagen und etablierten Infrastrukturen, Dienstleistungen und Netzwerken unterstützen.  Gunter Binsack / Fraunhofer CBP
Der BioEconomy HUB will Bioökonomie-Unternehmen durch Zugang zu Pilotanlagen und etablierten Infrastrukturen, Dienstleistungen und Netzwerken unterstützen. Gunter Binsack / Fraunhofer CBP

Mitteldeutschland ist in Bewegung: Der beschlossene Kohleausstieg stellt
Sachsen-Anhalt und weitere betroffene Bundesländer vor die
Herausforderung, einen grundlegenden Strukturwandel einzuleiten. Zudem
macht die derzeit grassierende Covid-19-Pandemie ganz aktuell noch einmal
deutlich, wie entscheidend es ist, den Wandel durch die Erschließung
innovativer Branchen mit lokaler Wertschöpfung aktiv zu gestalten und als
Chance für die Zukunft zu nutzen. Aus diesem Grund engagieren sich das
Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biologische Prozesse CBP in Leuna und der
Cluster BioEconomy in Halle für die Errichtung eines BioEconomy HUB, das
junge Unternehmen im Bereich der Bioökonomie fördern soll.

Im Jahr 2038 soll endgültig Schluss sein mit der Braunkohleförderung und
-nutzung in Deutschland. So sehen es Kohleausstiegsgesetz und das
Strukturstärkungsgesetz der Bundesregierung vor. Die Regionen, die bisher
vom Kohletagebau lebten oder stark geprägt waren, stehen somit am
Scheideweg. Ein grundsätzlicher Strukturwandel ist unausweichlich, um die
Zukunft der betroffenen Bundesländer und Regionen zu sichern. Politik,
Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft sind gemeinsam gefragt, diesen
Wandel zu gestalten. Die aktuelle Coronavirus-Pandemie verstärkt hierbei
noch einmal den Druck, die Regionen so aufzustellen, dass sie die
Herausforderungen der Zukunft meistern können. So hat die Krise deutlich
den Bedarf an dezentralen Lösungen zur Stärkung lokaler Wirtschaftskraft
aufgezeigt.

Ein entscheidender Faktor, um die Zukunftsfähigkeit der betroffenen
Regionen zu garantieren, ist die Stärkung ihrer Innovationskraft. Als
besonders erfolgversprechenden Wirtschaftszweig sieht Fraunhofer hier die
Bioökonomie. »Die Verknüpfung von Biologie und Biotechnologie mit
ressourceneffizienten Verfahren nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft
trägt nicht nur zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise, sondern durch
die Defossilierung von Stoffströmen auch zu mehr Klimaschutz bei«, sagt
Dr. Markus Wolperdinger, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen-
und Bioverfahrenstechnik IGB und Sprecher des Strategischen
Forschungsfelds Bioökonomie bei Fraunhofer.

Bioökonomie-Standort Leuna stärkt Innovationskraft der Region

Als Teil der Region Mitteldeutschland ist Sachsen-Anhalt eines der vom
Strukturwandel stark betroffenen Bundesländer. Gleichzeitig verfügt das
Land über ein großes Innovationspotenzial. Ein Beispiel hierfür ist die
Chemiebranche des Landes, die im »Chemiedreieck« auch in Leuna zu Hause
ist. In Leuna gehen Tradition und Zukunft Hand in Hand: Wo seit über
hundert Jahren Chemie erforscht und produziert wird, sichern Initiativen
wie die Gründung des Fraunhofer CBP im Jahr 2012 und die Einrichtung des
Leistungs- und Transferzentrums Chemie- und Biosystemtechnik sowie der in
Halle (Saale) ansässige BioEconomy e.V. die starke Innovationskraft der
Region.

»Dass das finnische Unternehmen UPM sich in Leuna ansiedelt, um hier die
weltweit erste großindustrielle Bioraffinerie zur chemischen Verarbeitung
von Buchenholz zu betreiben, ist vor allem ein Ergebnis der konsequenten
Aktivitäten des BioEconomy Clusters – im Zusammenwirken mit Akteuren auf
Ebene des Landes und der Kommunen«, verdeutlicht Prof. Dr. Matthias
Zscheile, Geschäftsführer der BioEconomy Cluster Management GmbH.

Das Fraunhofer CBP unternimmt nun zusammen mit dem BioEconomy Cluster in
Halle einen Vorstoß, um die Bioökonomie als Lösung für die Fragen und
Herausforderungen des Strukturwandels zu etablieren. Mithilfe des
BioEconomy HUB, eines Technologie- und Dienstleistungszentrums zur
Förderung von Unternehmen im Bereich der Bioökonomie, sollen Firmen die in
dieser Branche tätig sind oder neu einsteigen unterstützt und somit die
Region gestärkt werden. Davon profitieren längerfristig nicht nur einzelne
Wirtschaftssektoren − wie die in Sachsen-Anhalt bedeutenden Branchen der
Zucker-, Stärke-, Holzwerkstoff- oder Zellstoff-Industrie − sondern auch
der Standort Mitteldeutschland als Ganzes.

»Die Bioökonomie ist für Sachsen-Anhalt und den mitteldeutschen Raum eine
hochpriorisierte Zukunftsbranche. Unser Ziel ist es, wirtschaftliche
Wachstumskerne zu etablieren und neue biobasierte Wertschöpfungsketten –
auf dem regional Vorhandenen aufsetzend – weiter auf- und auszubauen«, so
Zscheile.

BioEconomy HUB: »Haus für Firmen« am Chemiestandort Leuna geplant

Gemeinsam mit einer wachsenden Zahl von Partnern aus Forschung und
Wirtschaft sowie aus der Politik wollen das CBP und der BioEconomy Cluster
den BioEconomy HUB am Standort Leuna errichten. Geplant ist ein Neubau in
direkter Nachbarschaft zum CBP zur Unterstützung von jungen Firmen und
KMU, aber auch Unternehmen der Großindustrie, die ihr Portfolio mit
bioökonomischen Geschäftsmodellen erweitern wollen.

»Unternehmer im Bereich der Bioökonomie sehen sich mit besonderen
Herausforderungen konfrontiert, bei denen wir ihnen helfen können«,
erklärt Gerd Unkelbach, der Leiter des CBP, einem Standort des Fraunhofer
IGB. Besonders problematisch ist laut Unkelbach, dass die Unterstützung
zum Anschub für Gründer meist nur über einen Zeitraum von fünf Jahren
ausgelegt ist. Danach beginnt eine neue kritische Phase, da die
Unternehmen dann oft einen hohen Kapitalbedarf haben und gleichzeitig die
Absatzmärkte für ihre Produkte oder Dienstleistungen noch nicht groß genug
sind.

»An dieser Stelle setzen wir mit unserem BioEconomy HUB an«, so Unkelbach.
»Junge Firmen finden darin nicht nur ein räumliches Zuhause in Form von
Büro- und Laborräumen, sondern können auch auf bereits vorhandene
Pilotanlagen und etablierte Infrastrukturen, Dienstleistungen und
Netzwerke zurückgreifen, die ihnen das Überleben in einer schwierigen
Phase ihrer Geschäftsentwicklung sichern können. Das CBP geht dabei als
Dienstleister zur Hand, vor allem mit seiner langjährigen Expertise und
seinen Kapazitäten im Bereich der Skalierung von Bioraffinerieverfahren
oder Prozessen der industriellen Biotechnologie. So begleiten wir
Bioökonomie-Unternehmen auf ihrem Weg von der Idee bis hin zum marktreifen
Produkt.«

»Am Standort Leuna ist darüber hinaus die Anbindung an die
Grundlagenforschung an einer Reihe exzellenter Universitäten und
Hochschulen gewährleistet und damit der wissenschaftliche Nachwuchs im
Bereich der Bioökonomie gesichert«, ergänzt Prof. Dr. Markus Pietzsch von
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Auf diese Weise wird dieser sehr wissens- und kostenintensive Bereich
effizient ausgelastet und unnötige Mehrfachstrukturen verhindert, was
wiederum zu deutlichen Kosteneinsparungen führt.

»Modellregion nachhaltige Chemie« − Bioökonomie in Mitteldeutschland hat
großes Potenzial

Im Zuge der Diskussion der neuen Gesetze zum Kohleausstieg und zur
Strukturstärkung der vom Kohleausstieg betroffenen Regionen in Bundestag
und Bundesrat am 3. Juli 2020 haben die betroffenen Bundesländer in einer
eigenen Erklärung noch einmal die Dringlichkeit und Bedeutung der
Strukturkräftigungsmaßnahmen unterstrichen und sich zur Einrichtung des
BioEconomy HUB bekannt.

In der bevorstehenden Transformation erkennt der CBP-Leiter eine große
Chance. »Durch den Wandel von einer weitgehend auf fossilen Rohstoffen
basierenden Wirtschaft zu einer stärker auf erneuerbaren Ressourcen
beruhenden, rohstoffeffizienteren und kreislauforientierten Industrie kann
sich Mitteldeutschland zu einer ›Modellregion nachhaltige Chemie‹
entwickeln«, beschreibt Unkelbach das Potenzial einer erfolgreichen
Strukturstärkung mithilfe der Bioökonomie.

Der geplante BioEconomy HUB soll die Bereitstellung und den
projektbezogenen Betrieb von Anlagen zur chemischen und biotechnologischen
Konversion von nachwachsenden Rohstoffen inkl. Produktionspersonal an
einem zentralen Industriestandort gewährleisten. Damit soll den jungen
Unternehmen der Bioökonomie die Möglichkeit geboten werden, in einer
»Shared Economy« kleinteilig und doch kostengünstig zu produzieren, um
sich auf diese Weise ihre Märkte zu erobern bzw. ihre Technologien bis zur
industriellen Reife weiterzuentwickeln.

Darüber hinaus werden langfristige Ziele zur Erweiterung des
Standortportfolios verfolgt, um so weitere Großansiedlungen der
Bioökonomie anzuziehen und Mitteldeutschland als weltweiten Hotspot der
Bioökonomie zu etablieren. »Die Ansiedlung von UPM am Chemiestandort Leuna
hat gezeigt, dass unser strategischer Ansatz zur Bildung einer
Modellregion der Bioökonomie für Sachsen-Anhalt und den mitteldeutschen
Raum richtig ist«, so Zeile.

Derzeit befindet sich die Errichtung des BioEconomy HUB noch in der
Konzeptionierungsphase. Im Mittelpunkt der Planungen steht bisher die
Kooperation zwischen dem Fraunhofer CBP, dem BioEconomy Cluster und der
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Partner sind in der
regionalen Wirtschaft und Forschungslandschaft bestens vernetzt. »Wir
hoffen, dass wir noch zahlreiche weitere Partner mit ins Boot holen
können, zum Beispiel weitere Firmen und Hochschulen«, sagt Unkelbach. »Je
breiter die Unterstützung ist, die wir erhalten, desto schneller und
effizienter wird der Bioeconomy HUB seine Wirkung entfalten«, ergänzt
Cluster-Manager Zscheile.