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Amphibs Seymouria sanjuanensis  Oliver Wings  Freistaat Thüringen, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Weimar Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Amphibs Seymouria sanjuanensis Oliver Wings Freistaat Thüringen, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Weimar Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Ein interdisziplinäres Forschungsteam startet mit der Fossillagerstätte
„Bromacker“ im Thüringer Wald ein einmaliges Projekt mit paläontologischer
Ausgrabung. Ziel ist es, detaillierte Einblicke in die Paläobiologie
früher Landwirbeltiere und ihrer Lebensräume zu erhalten. Gleichzeitig
können Bürgerinnen und Bürger den Forschenden beim BROMACKER-Projekt über
die Schulter blicken.

Mit dem Projekt BROMACKER startet im August eine neuartige,
wissenschaftliche Kooperation an der weltweit einzigartigen
Fossillagerstätte „Bromacker“, mitten im Herzen Deutschlands, im Thüringer
Wald. Nach mehr als einem Jahrzehnt gibt es dort erstmals wieder
systematische Ausgrabungen und geologische Bohrungen. Aber nicht nur das:
Das Ziel der Kooperation ist es, anhand der Fossillagerstätte „Bromacker“
Forschung und Wissensvermittlung so miteinander zu verzahnen, dass die
Öffentlichkeit ein Fenster zur frühen Evolution der Landwirbeltiere
bekommt. In den kommenden fünf Jahren arbeiten hierfür das Museum für
Naturkunde Berlin - Leibniz-Institut für Evolutions- und
Biodiversitätsforschung, die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, die
Friedrich-Schiller-Universität in Jena und der Nationale GeoPark Thüringen
Inselsberg-Drei Gleichen zusammen. Das deutschlandweit einzigartige
Forschungsprojekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
gefördert.
Forschende werden geologischen, taxonomischen, paläoökologischen und
physiologischen Fragen nachgehen, um in Zukunft das Leben an der
Fossillagerstätte „Bromacker“ als Ganzes besser zu verstehen. Mit neuen
Arten der Wissenschaftskommunikation nimmt die Öffentlichkeit am Forschen
teil und kommt mit Forschenden ins Gespräch. So wird es neben einem
Bromacker Lab(oratorium), auch digitale Medien und Führungen zur
Ausgrabungsstelle sowie Einblicke in die Live-Präparation und Live-CT-
Scans von Fossilien geben. Im Verlauf des Projektes soll es
voraussichtlich für Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftler
die Möglichkeit geben, an Forschungsaufgaben mitzuwirken.
„Forschung ist spannender als jeder Blockbuster. Wir öffnen Forschung und
stellen Kontakt zu Forschenden her: Nicht erst, wenn die Forschung
abgeschlossen ist, sondern schon während der ersten Ausgrabung. Die
„Bromacker“-Fundstelle ist ein unermesslicher Schatz von Millionen Jahre
alten, frühen Landwirbeltieren, der nun endlich für die breite
Öffentlichkeit aus seinem Dornröschenschlaf geholt wird“, sagt Johannes
Vogel, Generaldirektor am Museum für Naturkunde Berlin. „Als
Forschungsmuseum treiben wir die Öffnung der Wissenschaft mit dem
Zukunftsplan weiter voran und wollen von Menschen lernen. Unterstützen Sie
uns, machen Sie mit.“

Dreidimensionale Fossilien

„Die „Bromacker“-Fundstelle ist weltweit einzigartig, wenn es um
erstklassig erhaltene, dreidimensionale Wirbeltierfossilien und eine
außerordentlich große Artenvielfalt im frühen Perm vor etwa 290 Millionen
Jahren geht. Die Ausgrabungen und modernsten Forschungsansätze werden
wertvolle Einblicke in die Paläobiologie und Ökologie früher
Landwirbeltiere und ihrer Umwelt geben“, sagt Jörg Fröbisch, Professor für
Paläobiologie und Evolution und Projektleiter (MfN). „Wir wollen
herausfinden, wie die Evolution von stabilen Ökosystemen funktioniert.
Insbesondere die Evolution der frühesten Pflanzenfresser und die
darauffolgende Evolution der trophischen Pyramide mit vielen
Pflanzenfressern an der Basis und wenigen Top-Prädatoren, also
Fleischfressern, an der Spitze, sind von besonderem Interesse.“
„Unser Ziel ist es, den Lebensraum dieser Reptilien und ihrer Nahrung
sowie das vorherrschende Klima in diesem von Flüssen, Sümpfen und Seen
geprägten Gebiet dreidimensional zu rekonstruieren“, sagt Christoph
Heubeck von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Geologische Studien
von unseren Mitarbeitenden und Studierenden an den zahlreichen
Aufschlüssen der Umgebung, eine detaillierte Kartierung, mehrere
Flachbohrungen in der Umgebung der fossilführenden Steinbrüche sowie eine
geologische Tiefbohrung im Zentrum des Sedimentbeckens werden dazu
beitragen. Die Ergebnisse wollen wir auch in einem dreidimensionalen,
interaktiven Computermodell darstellen.“

Wissenschaftskommunikation der Zukunft

„Dieses Projekt verbindet erstmals die Forschungsfelder Naturwissenschaft
und Wissenstransfer auf Augenhöhe. BROMACKER hat das Potential,
deutschlandweit und international ein beispielgebender Ansatz zu werden:
Für mehr Dialog über Forschung“, sagt Tobias Pfeifer-Helke, Direktor der
Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, in deren Sammlungen auch die
Fossilien der bisher in der Fossillagerstätte entdeckten zwölf Arten von
Landwirbeltieren zu Hause sind.
„Direkt in der thüringischen Ausgrabungsstätte soll eine Besucherplattform
entstehen, von der das Publikum bei Events und Führungen die Arbeit der
Paläontologinnen und Paläontologen verfolgen kann und einen authentischen
Blick auf die Arbeitsplätze in einer der weltweit bedeutendsten
Fossillagerstätten bekommt“, sagt Syliva Reyer-Rohde, Leiterin des
Managementbüros des Nationalen GeoParks Thüringen Inselsberg-Drei
Gleichen.
„Das Museum für Naturkunde Berlin hat in den vergangenen Jahren
erfolgreich mit vielen offenen Formaten der Wissenschaftskommunikation
experimentiert. Diese Erfahrungswerte fließen hier als Grundlage in die
Entwicklung von innovativen Angeboten für Bürgerinnen und Bürger ein. So
wird beispielsweise die Präparation der Fundstücke in Berlin live für das
Publikum sichtbar gemacht. Wir möchten aber nicht nur neue Einblicke und
Erlebnisse für die Öffentlichkeit schaffen, sondern auch über die
beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass sich
hochkomplexe Forschung und bestimmte Formen der Wissenschaftskommunikation
vereinen lassen“, sagt Uwe Moldrzyk, Leiter des Forschungsbereiches Museum
und Gesellschaft, MfN.

Über den Grabungsort „Bromacker“

Obwohl Deutschland kein großer Flächenstaat ist, zeichnet es sich durch
seine komplexe und vielseitige Geologie aus und beherbergt damit einige
weltweit berühmte Fossilfundstellen verschiedenster Erdzeitalter. Die
Fossillagerstätte „Bromacker“ in der unterpermischen Tambach-Formation
zwischen den Gemeinden Tambach-Dietharz und Georgenthal im Thüringer Wald
ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Sie repräsentiert außerhalb der USA
eine der bedeutendsten und produktivsten Fossillagerstätten für
Landwirbeltiere (terrestrische Tetrapoden) aus dem frühen Perm von vor
etwa 290 Millionen Jahren. Im späten 19. Jahrhundert fanden Forschende
zunächst Trittsiegel und Grabspuren.
Thomas Martens, ein Paläontologe vom Museum der Natur in Gotha, fand 1974
erstmals Knochen. Nach der deutschen Wiedervereinigung führte er,
gemeinsam mit David Berman und Amy Henrici vom Carnegie Museum in
Pittsburgh und Stuart S. Sumida von der California State University, San
Bernardino, 1993 bis 2010 jährliche Grabungen durch, die zahlreiche, teils
komplette Skelette in einem für Europa einzigartigen Erhaltungszustand
lieferten.
Die Bedeutung der Fossillagerstätte „Bromacker“ für die Dokumentation der
frühen Evolution von Wirbeltieren an Land ist in ihrem Stellenwert mit
anderen herausragenden Fundstellen in Deutschland vergleichbar, wie zum
Beispiel dem UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel und den weltweit bekannten
Fundstellen in Holzmaden und Solnhofen.