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Blick in ein EPR-Spektroskop im Forschungsbreich
Blick in ein EPR-Spektroskop im Forschungsbreich "Ktalytische in situ-Studien" von Prof. Angelika Brückner LIKAT/Nordlicht

Forschende am Rostocker Leibniz-Institut für Katalyse konnten bei einer
Redoxreaktion die molekulare Arbeitsweise des Katalysators beobachten und
wichtige Zwischenschritte aufklären. Zu diesem Zweck koppelten sie,
erstmals weltweit, vier hochmoderne Messmethoden miteinander, die in
unterschiedlichen Bereichen von Wellenlängen arbeiten: mit Infrarot-, UV-
und Röntgenstrahlen sowie mit Mikrowellen im magnetischen Feld. Sie
deckten auf diese Weise den kompletten katalytischen Mechanismus für die
selektive Oxidation von Benzylalkohol zu Benzaldehyd auf. Als
Grundchemikalie wird Benzaldehyd, das intensiv nach Bittermandel riecht,
vor allem für Parfums und Kosmetik gebraucht.

Wie so oft in der Chemie läuft auch diese Reaktion quasi in einer Blackbox
ab. Ausgangsstoffe, Katalysator und Lösungsmittel kommen in ein
Reaktionsgefäß und reagieren dort zum gewünschten Produkt, dem
Benzaldehyd. So viel ist klar: Der Katalysator ermöglicht durch seine
Anwesenheit diesen Prozess oder beschleunigt ihn zumindest. Doch welche
seiner Komponenten in welcher Reihenfolge die Ausgangsstoffe aktivieren,
welche reaktiven Zwischenprodukte dabei entstehen und in welcher Weise sie
die Reaktion beeinflussen – das bleibt im Dunkel.

Umweltfreundliches Oxidationsmittel

Diese Informationen sind jedoch für ein gezieltes Katalysatordesign
essenziell. Für die Oxidation zu Benzaldehyd verwendet die Industrie
üblicherweise Oxidationsmittel, wie Chromat oder Hypochlorid, die für die
Umwelt problematisch und aufwendig zu entsorgen sind. Im Labor
experimentieren Forscher deshalb weltweit mit Sauerstoff, O2, als
eleganterem Oxidationsmittel, bekommen allerdings, was etwa die Ausbeute
betrifft, nur unzureichende Resultate. Ziel ist es also, den Katalysator
zu verbessern, wozu es am besten ist, ihn sozusagen bei der Arbeit
genauestens zu beobachten.
Das ist die Spezialität von Prof. Dr. Angelika Brückner, Leiterin des
Forschungsbereichs „Katalytische In-situ-Studien“ und ihres Themenleiters
Dr. Jabor Rabeah. Sie regen dazu Proben mit Strahlung unterschiedlicher
Energie und Wellenlänge an. Durch spezifische Absorptionen aller
beteiligten Spezies lassen sich Rückschlüsse auf ihre Eigenschaften, wie
Oxidationsstufen oder Bindungssituationen, und somit auch auf ihre
Funktion und Rolle im chemischen Prozess ziehen.

Hochkomplex und simultan

Herzstück der untersuchten Redoxreaktion ist ein Kupferkomplex, der von
einem organischen Liganden, gewissermaßen der Rüstung des Katalysators,
stabilisiert wird. Zum Katalysator gehört ebenfalls ein Hilfsstoff, in
diesem Falle ein Radikal namens TEMPO, eine Bezeichnung, die sich aus dem
Akronym seiner chemischen Struktur ableitet: TEtramethylPiperidinylOxyl.
Der Katalysator besteht also aus drei Komponenten, hinzu kommen der
Ausgangsstoff und das Oxidationsmittel O2. Solch einem „komplexen System“,
wie Brückner und Rabeah sagen, nähern sie sich am besten mit mehreren
unterschiedlichen Methoden. Die Hürde dabei war, dass diese Messungen im
selben Reaktionsgefäß, im selben Experiment, d.h. simultan, erfolgen
müssen. Angelika Brückner: „Nur so können wir identische
Versuchsbedingungen garantieren. Die Analysen einzeln und nacheinander
vorzunehmen, ist immer mit gewissen Unterschieden in den
Reaktionsbedingungen verbunden, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse
erschweren würde.“
Die Forschenden wählten für die parallelen Messungen zunächst Infrarot-
und etwas energiereichere UV-Strahlen sowie die Elektronen-
Paramagnetische-Resonanz (EPR-Spektroskopie), die ungepaarte Elektronen
erfasst. Zu klären war zum Beispiel die Rolle des Hilfsstoffs TEMPO, der
solch ein ungepaartes Elektron aufweist – was ihn zum einen hochreaktiv
macht und zum anderen die Bezeichnung als „Radikal“ einbringt.

Kooperation mit SOLEIL, Paris

Tatsächlich konnten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei ihren
ersten Messungen erkennen, dass TEMPO in die Reaktion eingreift. Doch auf
welche Weise? Wenn die Reaktion startet, verändert ein Teil der
Kupferpartikel seine Wertigkeit von Cu-I in Cu-II. Bisher ging die
Fachwelt zumeist davon aus, dass die Cu-II-Spezies während der Reaktion
eine Verbindung als sogenanntes Dimer eingeht und dass TEMPO vor allem für
Oxidation des Cu-I zu Cu-II verantwortlich ist.
Um diese Vermutungen aufzuklären, benötigten die Rostocker Chemiker und
Chemikerinnen einen präziseren Blick auf die Kupfer-Komponenten, und zwar
mit einem hochenergetischen Röntgenstrahl. Dazu kooperierten sie mit dem
Synchrotron SOLEIL in Paris. Zunächst erwarben sie ein kompaktes EPR-
Spektrometer, das sie durch geschickte Modifizierung der Messzelle mit
einer IR- und einer UV-Sonde komplettierten. Zudem passten sie es
konstruktiv für die Versuchsanordnung am Synchrotron an.
Mit vier derart ultrascharfen Sehhilfen bewaffnet konnten die LIKAT-
Forscher und Forscherinnen am SOLEIL in Paris erstmals ein und denselben
Prozess aus mehreren Perspektiven simultan beobachten. „Und wir konnten
endlich aufklären, was in der Fachliteratur bisher kontrovers diskutiert
wurde“, sagt Dr. Rabeah.

Modellreaktion für künftige Analysen

Sie entdeckten, dass TEMPO dabei gar nicht selbst oxidiert wird, wie
bisher angenommen. Stattdessen aktiviert es das Oxidationsmittel
Sauerstoff. Außerdem konnten sie zwar das vieldiskutierte Dimer
tatsächlich nachweisen. Sie fanden aber, dass es sich im Laufe der
Reaktion wieder in Monomere spaltet. Prof. Brückner: „Das aber hat
keinerlei Einfluss auf die Reaktivität des Systems. Demzufolge spielt
dieses Dimer für die Reaktion keine Rolle.“
Mit den Erkenntnissen kann die Fachwelt nun die Oxidation von
Benzylalkohol mittels Sauerstoff weitertreiben und vor allem optimieren.
Langfristig laufen diese Arbeiten darauf hinaus, den industriellen Prozess
durch einen umweltfreundlichen zu ersetzen. Und wie Jabor Rabeah betont,
lässt sich die neue Kopplungstechnik auch für mechanistische Analysen
anderer Reaktionen nutzen – bis hin zu Stoffwechselvorgängen in lebenden
Organismen.