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Zellkulturen für Gewebemodelle zum Testen von Substanzen am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien TLZ-RT  K. Dobberke  Fraunhofer ISC
Zellkulturen für Gewebemodelle zum Testen von Substanzen am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien TLZ-RT K. Dobberke Fraunhofer ISC

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt
ImAi soll einen tierversuchsfreien Ersatz für den weltweit bei der
Bewertung des Augenreizungspotenzials von Chemikalien eingesetzten Draize-
Test an Kaninchen schaffen. Der neue Test basiert auf im Labor
kultivierten Gewebemodellen der Augenhornhaut. Am Ende des Projekts soll
ein neues Standardverfahren verfügbar sein, das weltweit eingesetzt werden
kann.

Jede chemische Substanz, die in Umlauf gebracht wird, muss verschiedene
Tests durchlaufen, um das jeweilige Gefahrenpotenzial zu definieren und
entsprechend zu deklarieren. Einer dieser Tests untersucht die potenzielle
Gefahr für Augenreizungen, wenn die Substanz buchstäblich »ins Auge« geht
und klassifiziert die Substanzen entsprechend in die Kategorien »1« für
irreversible Schädigung, »2« für reversible Schädigungen oder »nicht
kennzeichnungspflichtig«, wenn die Substanz nicht reizend ist. Seit 1944
wird für die Einteilung der Schädlichkeit von Substanzen auf das Auge
weltweit ein belastender toxikologischer Test an lebenden Kaninchen
durchgeführt, der sogenannte »Draize Augenreizungstest« (gemäß OECD
Prüfrichtlinie TG 405), bei dem die Substanzen lebenden Kaninchen ins Auge
getropft werden. Um diese quälende Prozedur zu ersetzen, wurden bereits
verschiedene Anläufe unternommen, Gewebemodelle der menschlichen
Augenhornhaut (Cornea) im Reagenzglas (in vitro) zu kultivieren und als
Testsysteme zu verwenden. Da bisherige Gewebemodelle jedoch die
Unterscheidung zwischen irreversiblen und reversiblen Schädigungen nicht
ermöglichen, ist bislang nur eine Reduzierung, nicht ein Ersatz der
Tierversuche gelungen. Eine leistungsfähige Alternative zum Tierversuch
ist dabei nicht nur aus ethischen Gründen erforderlich. Nach EU-Recht sind
Tierversuche inzwischen generell nur eingeschränkt erlaubt. So dürfen
bereits heute beispielsweise neue Substanzen, die in Kosmetika verwendet
werden sollen, in der EU nicht mehr am Tier getestet werden.

Würzburger Forscher am Translationszentrum für Regenerative Therapien des
Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC setzen nun ihre langjährige
Erfahrung im Bereich der humanen Gewebemodelle ein, um gemeinsam mit
Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung, der Goethe-Universität
Frankfurt sowie der Unternehmen Clariant Produkte GmbH und Courage Khazaka
Elektronik GmbH auf der Basis eines neuen langlebigen Cornea-Modells ein
leistungsfähiges Testsystem zu entwickeln. »Das Projekt soll den ‚Draize-
Eye-Test‘ nicht nur vollständig ersetzen, sondern darüber hinaus auch
zuverlässigere Vorhersagen erlauben, da dem Gewebemodell menschliche
Zellen als Basis dienen«, umreißt Institutsleiter Prof. Dr. Gerhard Sextl
das Ziel. Finanziert wird das ehrgeizige Projekt durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Förderprogramms
»Alternativen zum Tierversuch«.

»Kernstück des Testsystems wird unser modifiziertes Cornea-Modell sein. Um
die unterschiedlichen Kategorien der Augenschädigung unterscheiden zu
können, müssen wir im Projekt jedoch auch eine nicht-invasive Messmethodik
entwickeln, die eine wiederholte Untersuchung der künstlichen Hornhaut
ohne zusätzliche Störung erlauben«, erklärt Gesamtprojektleiter Dr.
Christian Lotz vom Fraunhofer Translationszentrum Regenerative Therapien.
Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Messergebnisse auch eine
zuverlässige Vorhersage über eine potenzielle Schädigung des Auges
ermöglichen. Gelingt die Umsetzung der ehrgeizigen Ziele, wird das neue
Testverfahren am Ende des Projekts für den Einsatz als neues
Standardverfahren zur Ermittlung des Gefahrpotenzials von Chemikalien
validiert. »Unser Ziel ist die Entwicklung einer Prüfrichtlinie im Rahmen
der OECD, die dann in der Gefahrenbewertung von Chemikalien als
tierversuchsfreie Alternative zur Verfügung steht«, so Lotz weiter. Dann
könnte nach beinahe 80 Jahren endlich das Ende des »Draize-Eye-Tests«
bevorstehen – dem nicht nur die Kaninchen keine Träne nachweinen werden.

Das Translationszentrum für Regenerative Therapien am Fraunhofer-Institut
für Silicatforschung ISC in Würzburg arbeitet schon seit geraumer Zeit
erfolgreich an unterschiedlichsten Gewebemodellen, die auf der In-vitro-
Kultivierung menschlicher Zellen aufbauen. Eine wichtige Triebfeder ist
dabei das 3R-Prinzip als Grundsatz der experimentellen wissenschaftlichen
Arbeit, das bereits 1959 von den britischen Wissenschaftlern William
Russel und Rex Burch formuliert wurde. Danach sollen Tierversuche so weit
wie möglich durch andere Verfahren ersetzt (Replacement), die Anzahl der
Tiere verringert (Reduction) und ihr Leiden in den Versuchen minimiert
werden (Refinement). So ist es vor zwei Jahren am Translationszentrum in
Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Würzburg sogar gelungen, ein
Modellsystem der menschlichen Blut-Hirn-Schranke im Reagenzglas
herzustellen – ein Erfolg, der international hohe wissenschaftliche
Anerkennung fand und dem große Bedeutung für die Reduzierung von
Tierversuchen bei der Entwicklung neuer Pharmazeutika gegen Erkrankungen
des Gehirns beigemessen wird. Darüber hinaus werden unter anderem
Gewebemodelle der oberen Atemwege, Hautmodelle, Modelle des Darmtrakts
sowie Cornea-Modelle am Translationszentrum Regenerative Therapien
entwickelt. Sie werden eingesetzt, um pharmazeutische Wirkstoffe und
physiologische Vorgänge bei Erkrankungen zu untersuchen.

Mehr über das Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien:
https://www.regenerative-therapien.fraunhofer.de/

Mehr zu In-vitro-Testsystemen unter:
https://www.regenerative-therapien.fraunhofer.de/de/arbeitsgebiete/in-
vitro-testsysteme.html


Über das Projekt:

ImAi - Validierung eines impedanzbasierten Augenschädigungtests zur
Erkennung aller GHS Kategorien

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF
Förderkennzeichen: 031L0227A

Partner:

Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Translationszentrum für
Regenerative Therapien, (Koordinator)

Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Clariant Produkte GmbH (Clariant)

Courage + Khazaka Electronic GmbH (C+K)

Goethe Universität (GU), Institut für pharm. Technologie