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Seidenstickbild
Seidenstickbild "Kaiseradler". DSM

Viele Objekte in den Beständen des Deutschen Schifffahrtsmuseums /
Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) stammen aus der Zeit des
Kaiserreichs. Welche Rolle sie innerhalb der Kolonialgeschichte spielten,
ist oftmals ungeklärt. In seiner Rolle als Forschungsmuseum fragt das DSM
auch nach der Herkunft seiner eigenen Museumsobjekte.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben europäische Militärs,
Wissenschaftler und Kaufleute diverse Kultur- und Alltagsobjekte aus den
damaligen Kolonien in ihre Heimatländer verbracht. Wie sie in welche
Institutionen gelangten, ob sie gekauft, getauscht oder geraubt wurden,
wird inzwischen weltweit kritisch hinterfragt.

Damals entstanden in Europa naturkundliche und ethnologische Sammlungen an
Museen, aber auch an Universitäten, die hierfür auf den Import von
außereuropäischen Objekten per Schiff angewiesen waren. „Zur Erforschung
dieser diffizilen Umstände braucht es sowohl Detektiv-Kenntnisse als auch
Kenntnisse der maritimen Geschichte, über beides verfügen unsere
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am DSM“, sagt Prof. Dr. Ruth Schilling,
wissenschaftliche Leiterin für den Programmbereich Schifffahrt und
Gesellschaft am DSM.

Über die Nachverfolgung von Schiffsrouten lassen sich Transportlogistik
und die Rolle der Akteure gemeinsam betrachten. Die koloniale Geschichte
der Objekte am Museum ist bisher kaum erforscht und stellt das DSM wie
viele andere Museen vor eine Herausforderung. Der Wunsch, sich der eigenen
Sammlungs- und Objektgeschichte zu stellen, steht einer oftmals
schwierigen Quellenlage gegenüber. Mit dem Transport von Objekten nach
Europa veränderte sich oftmals auch ihre kulturelle Funktion. Sie wurden
aus ihrem ursprünglichen Nutzungszusammenhängen entnommen und dienten der
objektaufnehmenden Gesellschaft vielfach als symbolhafte Gegenstände, die
fremde Kulturen repräsentierten.

Die Forschung am DSM beleuchtet auch solche Fragen der Bild- und
Objektwirkung. Ein gutes Beispiel hierfür sind Seidenstickbilder aus dem
Besitz von Seeleuten, meist Marine-Angehörigen, die in China und Japan
eingesetzt waren und diese Bilder als Souvenirs mit nach Hause brachten.
Auf den ersten Blick erscheinen sie als Erzeugnisse traditioneller
ostasiatischer Seiden-stickkunst. Auffällig ist das ähnliche Design dieser
Stickereien und die Abbil-dung spezifischer nationaler Symbole, wie etwa
Nationalfahnen oder der deutsche Reichsadler, die auf Wunsch der
Kundschaft aus den Kolonialmächten in den Bildern dargestellt wurden.

Seidenstickbilder wurden vor Ort in Massenproduktion von spezialisierten
Werkstätten hergestellt, die von der großen Nachfrage nach ostasiatischen
Seidenstickereien profitierten. Die Bilder können daher als hybride
Objekte definiert werden. Sie zeigen auf der einen Seite, wie der
Kolonialismus Jahrhunderte alte Handwerkskünste beeinflusste und wie in
dieser Zeit unterschiedliche Kulturen miteinander verflochten wurden. Auf
der anderen Seite zeigen sie aber auch, wie die national-imperialistischen
Bestrebungen des Kaiserreichs auf die persönliche Sphäre und vermutlich
auch auf das Selbstbild deutscher Seeleute Einfluss nahmen.

Zu untersuchen bleibt auch, welche Rolle der Schiffsverkehr als solcher
bei der Auswahl der exportierten Objekte spielte – und inwieweit er die
Herstellung mancher Objekte überhaupt erst begründete. Hier sei es
hilfreich, sowohl die Objekte als auch die Transportbedingungen in den
Blick zu nehmen: „Wie groß ist ein Objekt, passt es auf ein Schiff, wie
kann es verpackt oder beschriftet werden? Wir wollen unseren Bestand
daraufhin abklopfen, welche Informationen wir daraus ziehen können, welche
Auswirkungen die Infrastruktur der Zeit hatte und welche politischen
Entwicklungen damit einhergingen“, so Schilling.

Heute ist die Geschichte von kolonialzeitlichen Objekten ein
gesellschaftliches und politisch umstrittenes Thema, zu dem das DSM seinen
Beitrag liefern wird und auch unter maritimen Museen eine Debatte um
kolonialzeitliches Sammlungsgut anstoßen möchte.