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Am 27. Januar findet im Rahmen des Hauptseminars „Der deutsche
Vernichtungskrieg im östlichen Europa 1939-1945“ von Prof. Dr. Martin
Aust, Leiter der Abteilung für Osteuropäische Geschichte an der
Universität Bonn, eine Online-Podiumsdiskussion zu Erinnerungskulturen in
Deutschland, Polen und Russland statt. Die Veranstaltung aus der Reihe
„Geisteswissenschaft im Dialog“ (GiD) ist eine Kooperation der Max Weber
Stiftung mit ihrem Deutschen Historischen Institut in Moskau sowie der
Universität Bonn und steht allen Interessierten offen. Eine Anmeldung ist
bis zum 25. Januar 2021 möglich.

Bonn/Moskau, den 13.01.2021 – In den zurückliegenden dreißig Jahren ist
eine neue Erinnerungskultur entstanden. Sie stellt die Verfolgten und
Opfer von Diktaturen und Massenverbrechen in den Mittelpunkt. In jüngster
Zeit – vor allem aus Anlass des 80. Jahrestags des deutsch-sowjetischen
Nichtangriffsvertrags und seines geheimen Zusatzprotokolls, des Beginns
des Zweiten Weltkrieges 1939 sowie in Verbindung mit dem 75. Jahrestag
seines Endes 1945 – hat jedoch die Politik den Umgang mit der
Vergangenheit konfliktreich aufgeladen. In Deutschland, Russland und Polen
sind geschichtspolitische Tendenzen kritisch zu beobachten, die zwar vom
Inhalt her grundverschieden, in ihrer Funktion jedoch sehr ähnlich sind:
es geht nicht mehr um einen Dialog, sondern um eine affirmative
Selbstbespiegelung.

Das politisch motivierte Sprechen über die Vergangenheit reanimiert
vielfach nationale Abgrenzungsdiskurse, in denen es um feste
Zuschreibungen geht, wer als Opfer und wer als Täter zu gelten hat. Diese
konfrontative Ausrichtung macht eine von Empathie mit Verfolgten und
Opfern geleitete Erinnerungskultur kaum möglich. Doch gleichzeitig und
verbunden mit dem Verlust der letzten Zeitzeugen, entstehen neue – noch
von der politischen Macht unabhängige – Formate der Kriegserinnerung. Es
kommen vergessene und unbequeme, heroische und leidvolle Geschichten an
das öffentliche Licht. Diese sind nicht mehr unpersönlich oder abstrakt
und haben somit das Potential, die Gesellschaften gegen die
Ausgrenzungsdiskurse der Gegenwart zu sensibilisieren.

Das Podium diskutiert, welche Wege zum Erhalt und zu einer Revitalisierung
einer lebendigen, empathischen und lokal verwurzelten Erinnerungskultur
denkbar sind – sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch über
Ländergrenzen hinweg. Warum an den Zweiten Weltkrieg erinnern: Welche
Bedeutung hat die Vergangenheit für unsere Gegenwart? Wie können wir das
Konfrontative, das uns die Geschichtspolitik aufzwingt, überwinden und
zurückkehren zu dialogischem Erinnern und gegenseitiger Empathie? Wie
lässt sich eine in den Gesellschaften Osteuropas doch sehr lebendige
Erinnerung im deutschen Gedächtnis verankern, ohne eine Opferkonkurrenz
entstehen zu lassen? Liegt womöglich in der tatsächlichen Verbindung der
Erinnerung an den Holocaust mit dem Vernichtungskrieg gegen Polen und die
Sowjetunion eine Chance, das festgefügte Gedenken wieder zugänglicher,
weil fassbarer, zu gestalten?

Diese und weitere Fragen diskutieren:

Prof. Dr. WŁODZIMIERZ BORODZIEJ, Universität Warschau
PD Dr. ANDREAS HILGER, Stellvertretender Direktor des Deutschen
Historischen Instituts Moskau
HERA SHOKOHI, BA, Studierende im MA Studiengang Osteuropäische Geschichte
an der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Moderation: Dr. EKATERINA MAKHOTINA, Rheinische Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn


GiD Lab „Erinnerungskulturen im Zeichen von geschichtspolitischem Stress:
aktuelle Herausforderungen in Deutschland, Polen und Russland“
27. Januar 2021, 10-12 Uhr, online

Eine Anmeldung ist bis zum 25. Januar 2021 per E-Mail
(Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) möglich.

Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe: gid.hypotheses.org


Die MAX WEBER STIFTUNG – DEUTSCHE GEISTESWISSENSCHAFTLICHE INSTITUTE IM
AUSLAND fördert die Forschung mit Schwerpunkten auf den Gebieten der
Geschichts-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in
ausgewählten Ländern und damit das gegenseitige Verständnis. Sie unterhält
zurzeit weltweit zehn Institute sowie weitere Forschungsgruppen und Büros.
Mit ihren Infrastrukturen bietet die MWS beste Voraussetzungen für
exzellente geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung, die durch
unmittelbare Nähe zu den Forschungsgegenständen und im Austausch
unterschiedlicher Perspektiven und Herangehensweisen entsteht.

Das DEUTSCHE HISTORISCHE INSTITUT MOSKAU – eines der zehn Institute der
Max Weber Stiftung – setzt sich seit seiner Gründung im Jahr 2005 dafür
ein, die wissenschaftliche Zusammenarbeit von Historikerinnen und
Historikern aus Russland und Deutschland zu fördern. Das Institut
unterstützt insbesondere jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus Russland und Deutschland bei der Erforschung der eng miteinander
verwobenen Geschichte der beiden Staaten. Den Prinzipien der
wissenschaftlichen Objektivität und Transparenz verpflichtet, koordiniert
das Institut deutsch-russische Forschungsprojekte aus dem Bereich der
Neueren und Neuesten Geschichte (16.-20. Jahrhundert) in globaler
Perspektive.

Die RHEINISCHE-FRIEDRICH-WILHELMS-UNIVERSITÄT BONN ist eine von elf
deutschen Exzellenzuniversitäten und die einzige Universität mit sechs
Exzellenzclustern. Geprägt wird die Universität seit 200 Jahren durch
herausragende Persönlichkeiten verschiedenster Fächer und ein
forschungsgeleitetes Studium. Mit rund 35.000 Studierenden, 6.000
Promovierenden, 550 Professuren und 6.000 Beschäftigten gehört sie zu den
größten traditionsreichen und forschungsstärksten Universitäten in
Deutschland. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie mehr Nobelpreisträger
und Fields-Medaillisten hervorgebracht als jede andere deutsche
Hochschule.