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„kurz & knackig“ heißt die neue Veranstaltungsreihe der
Koordinierungsstelle des Verbunds Transformationsforschung agrar
(trafo:agrar) Niedersachsen bei der Universität Vechta. Mit diesem Format
wollen die Organisator*innen aktuelle Ergebnisse sowie Themen und Projekte
aus dem Verbund während einstündigen Online-Veranstaltungen vor- und zur
Diskussion stellen. Den ersten Beitrag lieferte der Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und
gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) Prof. Dr. Achim Spiller von der
Universität Göttingen zum Thema „Noch ein Label? Klimalabel!
Gestaltungsempfehlungen für ein Klimalabel auf Lebensmitteln“.

Nach dem Grußwort vom Präsidenten der Oldenburgischen Industrie- und
Handelskammer, Gert Stuke, und der Einleitung durch Dr. Barbara
Grabkowsky, Leiterin der trafo:agrar – „Durchschnittlich wird etwa ein
Fünftel der Klimabelastung jeder/s Bundesbürger*in durch Lebensmittel
verursacht“ – startete Spiller seinen Vortrag. Die EU-Klimaschutzziele
sehen eine Klimaneutralität bis 2050 vor. Eine realistische Einschätzung
der Klimawirkung einzelner Lebensmittel sei für Konsumenten*innen aber oft
kaum möglich. Befragungen zeigten zum Beispiel, dass Verbraucher*innen
häufig davon ausgehen, dass die Plastikverpackung und der Transport für
hohe CO2-Emissionen sorgen würden. Doch ist in Wintermonaten die Tomate
aus der Region klimafreundlicher als importierte Ware, wenn Gewächshäuser
hier viel Energiebedarf aufweisen? Diese würden dazu führen, dass
vergleichbare Treibhausgaswerte von Tomaten aus den Gewächshäusern sogar
höher liegen würden, als von Milch oder Hähnchen; die wiederum hätten
niedrigere Werte als Käse oder Butter. Und genau diese Vergleiche könnten
laut Spiller Abhilfe bei der Einschätzung der Klimafreundlichkeit
schaffen. Doch bisher würden Verbraucher*innen diese
Treibhausgasemissionen in Kilogramm-CO2-Äquivalente (Infokasten) oft nicht
einschätzen können, sie hätten noch „kein Gefühl“ dafür, oder das Wissen
fehle. Ein Klimalabel könnte die Transparenz erhöhen und auch in der
Lebensmittelwirtschaft für mehr Aufmerksamkeit in Bezug auf den
Klimaschutz sorgen, meint der Experte für Marketing für Lebensmittel und
Agrarprodukte. Ein Klimalabel sei ein relativ preisgünstiges Instrument
der Klimapolitik, meint Spiller. Zumal neben einer vorangeschrittenen
Klimadiskussion in der breiten Öffentlichkeit auch große Unternehmen
solche Entwicklungen selbst vorantreiben würden – hier gelte es, sich dem
Thema nicht zu verschließen, sondern es aktiv mitzugestalten. Wichtig für
den Wissenschaftler sei aber auch die Frage nach der Umsetzung des Labels,
„damit es hilft“. Der Vorschlag: ein „verpflichtendes, staatliches,
zunächst im Wesentlichen auf Durchschnittswerten basierendes,
mehrstufiges, interpretatives Klimalabel“ – ein Label, das die
CO2-Äquivalente einerseits durch eine Farbskala wiedergibt, andererseits
aber auch exakte Werte für Verbraucher*innen, die sich in der Thematik
auskennen, angibt. Dies bewirke auch bei den Unternehmen eine Motivation
zur Verbesserung.

In der anschließenden Diskussion gaben Teilnehmende unter anderem zu
bedenken, dass es auch Zielkonflikte geben könnte, so zum Beispiel
zwischen Tierwohl- und Klimaschutzlabel. Dem Vorschlag das Klimalabel
zurückzustellen und zunächst auf das Thema Tierwohl einzugehen, um unter
anderem Landwirt*innen nicht zu überfordern, wiedersprach Spiller: „Die
Zeit haben wir nicht.“ Gesellschaftliche Entwicklungen liefen parallel und
keines der Themen sei zu vernachlässigen.

Mehr Informationen zum Thema unter „Veranstaltungen“ auf www.uni-
vechta.de/trafoagrar/

Treibhausgasemissionen in Kilogramm-CO2-Äquivalente
CO2-Äquivalente sind eine Maßeinheit, die den Effekt aller Treibhausgase
auf das Klima vergleichbar machen soll. Verschiedene Treibhausgase tragen
unterschiedlich stark zum Treibhauseffekt bei und bleiben zeitlich nicht
einheitlich in der Erdatmosphäre. Neben CO2 gibt es zum Beispiel Methan
und Lachgas.

So wird beispielsweise die Wirkung einer Tonne CO2 mit der Wirkung einer
Tonne Methan, oft über einen Zeitraum von 100 Jahren, verglichen. Demnach
ist eine Tonne Methan etwa 25 Mal klimaschädlicher als eine Tonne CO2.
Eine Tonne Methan entspricht damit etwa 25 Tonnen CO2-Äquivalenten.

Prof. Dr. Achim Spiller
Prof. Dr. Achim Spiller ist seit 2000 Professor für „Marketing für
Lebensmittel und Agrarprodukte" am Department für Agrarökonomie und Rurale
Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen und ordentliches
Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Er ist seit sechs
Jahren Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für
Ernährung und Landwirtschaft für „Agrarpolitik, Ernährung und
gesundheitlichen Verbrauchschutz“ und wurde nun auch zu dessen
Vorsitzenden gewählt. Darüber hinaus ist er Vorsitzender des
wissenschaftlichen Beirats des „Tierwohllabels des Deutschen
Tierschutzbundes“.

Im Juli 2020 wurde er in die vom Bundeskabinett eingerichtete
Zukunftskommission Landwirtschaft berufen. Seit 2019 ist er auf Einladung
der Bundesministerin Mitglied im BMEL Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung
(„Borchert-Kommission“). Im FAZ-Ökonomenranking wurde Achim Spiller 2015,
2016, 2018 und 2020 jeweils als einer der 100 führenden deutschen Ökonomen
ausgezeichnet.