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Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts / Deutsche
Gesellschaft für Palliativmedizin legt Eckpunktepapier vor:
Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz absolute Ausnahme
bleiben! / DGP-Präsidentin Prof. Dr. Claudia Bausewein zur möglichen
Neuregulierung der Suizidassistenz: Beratung, Begutachtung und Umsetzung
strikt voneinander trennen

„Suizidprävention muss Normalität werden, Suizidassistenz hingegen
absolute Ausnahme bleiben!“ so Dr. Bernd Oliver Maier, Vizepräsident der
Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), bei der heutigen
Vorstellung der „Eckpunkte der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin
zu einer möglichen Neuregulierung der Suizidassistenz und Stärkung der
Suizidprävention“. Sterbe- und Todeswünsche sind nach
palliativmedizinischer Erfahrung zumeist von großer Ambivalenz
gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund äußert sich Prof. Dr. Claudia
Bausewein, Präsidentin der DGP, unmissverständlich zu den Grundpfeilern
eines möglichen Umgangs mit dem Wunsch nach Suizidassistenz: „Beratung,
Begutachtung und Durchführung müssen strikt voneinander getrennt sein!“

Eine Regelung zur Suizidassistenz kann aus Sicht der DGP nur geschaffen
werden, wenn parallel die Suizidprävention umfassend gestärkt und deren
Bedeutung bereits im Titel entsprechender Gesetzentwürfe ausgewiesen wird.
Denn, so Maier: "Menschen, die sich mit der Frage der Lebensbeendigung
auseinandersetzen, sind in aller Regel in einer Notlage." Sie benötigen
einen Schutzraum in Form von Angeboten ergebnisoffener Beratung, in der
gemeinsam herauszufinden ist, "warum in dieser bestimmten Situation der
Mensch dieses Leben, wie er es jetzt leben muss, vielleicht nicht
weiterleben will."

Palliativversorgung als Teil der Suizidprävention

Die Palliativmedizin versteht sich als ein Teil der Suizidprävention, da
sie durch Linderung von Leidenszuständen, eine ganzheitliche Betrachtung
der schwerkranken Patientinnen und Patienten zusammen mit ihnen
nahestehenden Menschen sowie eine Verbesserung der Lebensqualität in sehr
vielen Fällen Sterbewünschen wirksam begegnen kann. Im Falle neuer
Regelungen zur Suizidassistenz sieht die DGP die Notwendigkeit einer
Differenzierung zwischen Menschen, deren Lebenserwartung durch eine
schwere Erkrankung auf Wochen oder Monate begrenzt ist, und Menschen, die
aufgrund anderer krisenhaft erlebter Situationen eine Beihilfe zum Suizid
wünschen. Dies in Anbetracht dessen, dass sich Lebenssituationen und
Lebensrealität der Betroffenen derart grundsätzlich unterscheiden, dass
nach Ansicht der DGP hier auch in der Verfahrensweise differenziert
vorgegangen werden muss, um dem Einzelnen mit seinem Sterbewunsch
angemessen gegenüber zu treten.

Was das insbesondere für das Ersuchen um Suizidassistenz lebenslimitierend
erkrankter Menschen heißt, erläutert die DGP in ihrem Eckpunktepapier: Die
aus einem vermeintlich „freien Willen“ resultierenden Entscheidungen
können nur getroffen werden, wenn ausreichende Informationen und
Kenntnisse zu den Folgen einer Entscheidung und zu möglichen Alternativen
vorliegen. Damit ist für schwerstkranke Menschen mit Suizidwunsch eine
umfassende Beratung zum Lebensende und zur Hospiz- und Palliativversorgung
gemeint, dies durch qualifizierte Einrichtungen der spezialisierten
Palliativversorgung zu körperlichen, psychischen, sozialen und
spirituellen Dimensionen möglichen Leids des Betroffenen.

Wie lassen sich Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit
prüfen?

Die Begutachtung zur Überprüfung der Freiwilligkeit und Ernsthaftigkeit -
basierend auf Kenntnissen zur individuellen Lebenssituation der
Betroffenen - sollte von zwei unabhängigen qualifizierten Fachkräften mit
einer spezifischen Befähigung, davon mindestens eine Ärztin oder ein Arzt
mit spezialisierter palliativmedizinischer oder
psychotherapeutischer/psychiatrischer Erfahrung, erfolgen, um eine
Beeinträchtigung der freien Willensbildung durch somatische, psychische
und soziale Faktoren ausschließen zu können. Zur Überprüfung der
Dauerhaftigkeit des Suizid-Ansinnens sollten bei Menschen mit einer
schweren bzw. lebenslimitierenden Erkrankung mindestens 30 Tage zwischen
erster Begutachtung und Ausführung liegen. In dieser möglicherweise hoch
belastenden Zeit der letzten Entscheidung sollten Beratung, Unterstützung
und Begleitung in angemessenen Zeitintervallen angeboten werden, nicht
nur, um eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Sterbewunsch zu
ermöglichen.

Zur Durchführung der Suizidbeihilfe merken die Autorinnen und Autoren des
DGP-Papiers an: „Neben einer vielfach diskutierten ärztlichen Verordnung
sind zwingend alternative Wege, wie z. B. Abgabe einer zum Tode führenden
Substanz durch eine Behörde, zu prüfen, da die Ausübung eines Grundrechtes
nicht zwingend an eine ärztliche Beteiligung gebunden sein kann.“ Und:
„Für die verwendeten Betäubungsmittel muss ein Sicherungssystem für
vorsätzlichen oder versehentlichen Fehlgebrauch eingerichtet werden.“

DGP befürchtet Druck auf hochbetagte pflegebedürftige Menschen

Die DGP unterstreicht abschließend: „Ebenso müssen der Ausbau und die
Verbesserung der Versorgung von hochbetagten und schwer erkrankten
Menschen sowie die Qualifikation der Akteure im Gesundheitswesen auch
bezüglich des Umgangs mit Sterbewünschen weiter gestärkt werden. Bei einer
als Normalfall akzeptierten Regelung zum assistierten Suizid ist zu
befürchten, dass sich stark pflegebedürftige Menschen einer
Erwartungshaltung oder einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt fühlen,
keine Belastung für Familie oder Gesellschaft zu sein. Auch diese
Problematik muss in einer Neuregelung angemessen Berücksichtigung finden.“

Ebenfalls sieht die DGP die in der aktuellen Diskussion besonders
herausgestellte Rolle von Ärztinnen und Ärzten bei der Durchführung der
Suizidassistenz kritisch, unterstützt vielmehr die Position der
Bundesärztekammer in den Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung:
„Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter
Achtung ihres Willens beizustehen“. Eine Definition der ärztlichen
Aufgaben obliegt einzig diesem Berufsstand selbst, erklärt Claudia
Bausewein. Die DGP sieht außerdem die Beihilfe zum Suizid nicht als
Aufgabe der Hospiz- und Palliativversorgung und ist der Überzeugung, dass
von einer Normalisierung der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung eine
besondere Gefahr der Beeinflussung insbesondere kranker, schwacher und
abhängiger Menschen ausgeht.

Öffentlicher Diskurs zum Umgang mit dem Lebensende

Im Rahmen einer möglichen gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz
fordert die DGP:
●       Offene und breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den
Vorstellungen zum Umgang mit dem Lebensende sowie die Beseitigung von
Informationsdefiziten zu den Möglichkeiten der Hospiz- und
Palliativversorgung, den Patientenrechten bei schweren Krankheiten und am
Lebensende sowie zur Suizidprävention. Das BMG soll hierzu einen
öffentlichen Diskurs initiieren.
●       Stärkung der Suizidprävention durch niedrigschwellige Angebote zur
Suizidprävention sowie Ausbau und Förderung der Hospizarbeit und
Palliativversorgung.
●       Begleitende Forschung zum assistierten Suizid und zu Umständen,
die zu Suizidwünschen führen.
●       Konsequente Verankerung von Aus-, Fort- und Weiterbildung aller
relevanten Berufsgruppen im Gesundheitswesen und in der Suizidprävention
zum Umgang mit Sterbewünschen und den Möglichleiten der Hospiz- und
Palliativversorgung.
●       Qualitätssicherung der bestehenden Angebote der Hospiz- und
Palliativversorgung sowie der Suizidprävention.

Originalpublikation:
https://www.dgpalliativmedizin.de/images/210224_DGP_Eckpunkte_Suizidassistenz_Suizidpr%C3%A4vention.pdf