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Am 20. März 2024 hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat
Berufskrankheiten (ÄSVB) die Anerkennung der Parkinson-Krankheit unter
bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch
Pestizide“ empfohlen.  Laut Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt ist
zu erwarten, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dies in
die Liste für Berufskrankheiten aufnimmt. Vermutet wird eine Aufnahme in
der zweiten Jahreshälfte 2024. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie
e.V. (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Parkinson und
Bewegungsstörungen e.V. (DPG) begrüßen diesen Schritt sowie die
ausführliche Aufarbeitung der aktuellen Literatur und Datenlage durch den
ÄSVB.

Die wissenschaftliche Evidenz für die Auslösung der Parkinson-Krankheit
durch bestimmte Pestizide ist in der Wissenschaftlichen Empfehlung des
Ärztlichen Sachverständigenbeirats für die Berufskrankheit „Parkinson-
Syndrom durch Pestizide“ ausführlich dargestellt.

Parkinson-Patientinnen und -Patienten, die eine berufliche Exposition mit
Pestiziden haben, sollten ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte vom
Umstand ihrer beruflichen Exposition unterrichten. Gegebenenfalls muss
dann eine Anzeige bei der Berufsgenossenschaft erfolgen.

Die aktuellen Kriterien für das Vorliegen einer Berufskrankheit sind: die
Erfüllung des Dosismaßes von mindestens 100 trendkorrigierten
Anwendungstagen (in eigener Vor- und Nacharbeit der Pestizid-Ausbringung
oder in eigener Pestizid-Ausbringung oder in eigener Störungsbeseitigung
im Rahmen der Pestizid-Ausbringung) und das gesicherte Vorliegen einer
Parkinson-Erkrankung. Alle Menschen, auf die dies zutrifft, haben das
Recht, sich an die Berufsgenossenschaft zu wenden.

Die kritische Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen der der
Empfehlung zugrunde liegenden Studien – tierexperimentellen, In-vitro- (in
der Regel Zell-Experimente) und epidemiologischen Studien
(Beobachtungsstudien in der Bevölkerung) sowie Metaanalysen (d. h. eine
Zusammenfassung und Auswertung mehrerer Studien) – erlaubt eine
differenzierte Sicht auf das komplexe Thema.

Hervorzuheben ist die dezidierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen
Substanzen und Substanzgruppen von Herbiziden, Fungiziden oder
Insektiziden, die unter dem Sammelbegriff „Pestizide“ als
Pflanzenschutzmittel Verwendung finden.

Die Darstellung bisher bekannter Mechanismen, die zur Entstehung von
Parkinson beitragen können, veranschaulicht, dass neben einer direkt
toxischen (giftigen) Wirkung auf Nervenzellen, insbesondere auf
dopaminerge Neurone (d. h. auf die Nervenzellen, die bei der Parkinson-
Erkrankung zugrunde gehen), auch Stoffwechselvorgänge verändert und
Mechanismen induziert werden, die ebenfalls zur Krankheitsentstehung
beitragen. Dies sind u. a. Störung der mitochondrialen Funktion (d. h. des
Energieapparats von Zellen), Bildung sogenannter freier Radikale und damit
Zunahme von oxidativem Stress (Zellstress), Störung des Aufbaus des
Stützapparats von Zellen und viele mehr.

Die bisherigen Erkenntnisse dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass
vieles noch unbekannt ist. Bei der Verursachung der Parkinson-Krankheit
spielen Umweltfaktoren, wie die Exposition gegen eines oder mehrere der in
der wissenschaftlichen Empfehlung behandelten Pestizide, aber auch andere
schädigende Umwelteinflüsse wie Feinstäube eine wichtige Rolle. Andere
Ursachen liegen in genetischen Veränderungen und Lebensstilfaktoren.
Dennoch konnte auf dem Boden der bereits bekannten Zusammenhänge die nun
vorliegende Empfehlung der Sachverständigen erarbeitet werden, die
erstmals eine einheitliche und wissenschaftlich fundierte Grundlage zur
Prüfung des Vorliegens einer Berufskrankheit gibt.

„Die Empfehlung‚ das ,Parkinson-Syndrom durch Pestizide‘ auf dem Boden der
bereits jetzt bekannten Zusammenhänge als Berufskrankheit anzuerkennen,
ist zu begrüßen“, so Prof. Dr. Daniela Berg, Vizepräsidentin der DGN und
Mitglied der DPG. „Zum einen, weil Betroffenen und ihren Familien
medizinisch und finanziell geholfen werden muss. Zum anderen wird
hierdurch die Notwendigkeit des Schutzes für exponierte Personen noch
klarer“, so die Parkinson-Expertin. Zum Schutzarsenal der Arbeitsmedizin
zählen das Tragen von Schutzkleidung inklusive Ganzkörper-Schutzanzügen,
Schutzhandschuhen und festem Schuhwerk sowie die Verwendung von
schützenden Kabinenfahrzeugen und Atemmasken. „Der Zusammenhang zwischen
individueller hoher Belastung durch die in der wissenschaftlichen
Empfehlung behandelten Pestizide und der Entstehung von Parkinson legt
nahe, sich beim Einsatz dieser Pestizide ihrer Gefahren viel stärker
bewusst zu werden, ihren Einsatz auch unter dem Aspekt des Schutzes vor
neurodegenerativen Erkrankungen auf das Notwendigste zu beschränken und
verstärkt nach für Mensch und Natur unschädlichen Ersatzstoffen zu
suchen“, so Prof. Dr. Joseph Claßen, 1. Vorsitzender der DPG. Die beiden
Fachgesellschaften betonen darüber hinaus, dass nicht zuletzt noch weitere
Forschung nötig ist, um die Zusammenhänge von Pestiziden und Parkinson
besser zu verstehen.

Prof. Dr. Daniela Berg, UKSH, Campus Kiel, Vizepräsidentin der DGN,
Prof. Dr. Joseph Claßen, Universitätsklinikum Leipzig, 1. Vorsitzender der
DPG