Pin It

Die EU beschert ihren Mitgliedern durch den Abbau von Handelskosten hohe
Einkommensgewinne. Durch den Binnenmarkt, die Zollfreiheit, den Euro, die
Schengenzone und Handelsabkommen mit Dritten liegt das preisbereinigte
Bruttoinlandsprodukt jährlich um insgesamt circa 940 Milliarden Euro
höher. Alleine Deutschland profitiert durch ein Plus von jährlich gut 170
Milliarden. Großbritannien hat unter allen EU-Ländern die kleinsten
relativen Gewinne, kleine Länder an der Peripherie die größten.

Dabei hat der Binnenmarkt, also die Abschaffung nichttarifärer
Handelshemmnisse etwa durch die gegenseitige Anerkennung von Normen und
Standards, den Mitgliedsländern die größten Wohlfahrtsgewinne beschert, er
macht die Europäische Union als Ganzes jedes Jahr um 643 Milliarden Euro
und Deutschland um 132 Milliarden Euro reicher. „Der Binnenmarkt ist das
Kronjuwel der EU-Integration“, sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des
Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), anlässlich unter seiner
Federführung durchgeführter Berechnungen.

Gemeinsam mit weiteren Forscherinnen und Forschern hat er untersucht,
welche Kosten den EU-Mitgliedsländern durch die Abwicklung einzelner
Integrationsmaßnahmen entstehen, um dadurch im Umkehrschluss die hohen
Wohlfahrtsgewinne aufzuzeigen, welche die (noch) 28 Mitgliedsländer daraus
ziehen konnten. Berechnet wurden die Folgen einer Abwicklung der
Europäischen Zollunion, des Europäischen Binnenmarktes, der Europäischen
Währungsunion, der Schengen-Vereinbarung und der Freihandelsabkommen der
EU mit Drittländern.

Auch die Effekte von Fiskaltransfers nach und aus Brüssel sind
berücksichtigt. Dabei stellen die Forscher nur auf Handelseffekte ab,
Effekte der Freizügigkeit von Kapital und Arbeit werden nicht beachtet.
Die Ergebnisse beschreiben daher Untergrenzen, sie sind unter dem Titel
„Die (Handels-)Kosten einer Nicht-EU“ (https://www.ifw-
kiel.de/de/publikationen/kiel-policy-briefs/2019/die-handels-kosten-einer-
nicht-eu-0/
) in der Schriftenreihe Kiel Policy Brief erschienen.

Eine Abwicklung des EU-Binnenmarktes hätte im Verhältnis stärkere negative
Effekte auf Produktion, Handel und Einkommen der Mitgliedsländer, als die
Abschaffung aller anderen Integrationsschritte zusammen. Für große Länder
wie Deutschland macht der Binnenmarkt circa 80 Prozent des Gesamteffektes
aus. In kleineren Ländern, die stark von Nettotransfers profitieren, ist
der relative Beitrag des Binnenmarktes kleiner. In Polen oder Ungarn
beträgt er nur 50 Prozent des Gesamteffektes, in Litauen liegt er unter 50
Prozent.

Großbritannien profitiert am wenigsten von seiner Mitgliedschaft im
Binnenmarkt, weil das Land vor allem im Dienstleistungssektor aktiv ist,
wo der Binnenmarkt weniger Vorteile bietet, und auch aufgrund geringerer
Sprachbarrieren mehr Handel auch außerhalb des Binnenmarktes betreibt.

„Der Binnenmarkt ist der Wohlfahrtsmotor der EU und der Zugang dazu ihr
stärkster Trumpf in internationalen Verhandlungen“, sagte Felbermayr.
„Daher sollte die europäische Politik durch ein Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten auch den Ländern einen Zugang dazu ermöglichen, denen
die Kompetenzverlagerung auf die supranationale Ebene zu weit oder zu
schnell geht. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf das Vereinigte
Königreich und den Brexit.“

Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen würden bei einer Abwicklung des
Binnenmarktes insbesondere die kleineren EU-Länder einen Rückgang
verzeichnen wie Luxemburg (-19,7 Prozent) und Malta (-14,3 Prozent) sowie
mittel-und osteuropäische Mitgliedstaaten wie Ungarn (-10,6 Prozent), die
Tschechische Republik (-9,5 Prozent), die Slowakische Republik (-9,5
Prozent), Slowenien (-7,7 Prozent), Estland (-7,8 Prozent) oder Polen
(-5,9 Prozent). Die Einkommenseffekte für die größeren Länder wie
Deutschland (-3,9 Prozent), Frankreich (-2,9 Prozent), Italien (-2,5
Prozent) oder das Vereinigte Königreich (-2,3 Prozent) fallen dagegen
deutlich geringer aus.

Die Abschaffung der Europäischen Zollunion hat deutlich geringere Effekte.
Die größten Einkommensverluste hätten Irland (-0,7 Prozent), die
Tschechische Republik (-0,4 Prozent) und die Niederlande (-0,4 Prozent) zu
verbuchen. Für einige EU-Mitgliedsländer wären die Einkommenseffekte
aufgrund der Zolleinnahmen sogar leicht positiv.

Eine Auflösung der Eurozone würde mit Einkommensverlusten für alle
Eurozonenmitglieder einhergehen. Am stärksten wäre Luxemburg (-3,9
Prozent), am geringsten Italien (-0,3 Prozent) betroffen. Die höchsten
Einkommensverluste bei einer Wiedereinführung von Grenzkontrollen im
Schengen-Raum hätten periphere und ärmere Mitgliedsländer wie Ungarn,
Estland, Slowenien, Lettland, Litauen oder die Tschechische Republik zu
tragen. Eine Aufkündigung aller regionaler Freihandelsabkommen würde die
Mitgliedsländer der EU verhältnismäßig schwach treffen, während
Partnerländer der Abkommen wie die Schweiz (-1,2 Prozent)
Einkommensverluste hinnehmen müssten.