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Prof. Fröhlich über Deutschlands Außenpolitik sowie seine Rolle in Europa
und der Welt

Zu zaghaft, zu zurückhaltend, zu passiv – die deutsche Außenpolitik wird
nicht von allen positiv gesehen. Nichtsdestotrotz ist die deutsche
Außenpolitik besser als ihr Ruf. In seinem Buch „Das Ende der
Selbstfesselung“ beschreibt Prof. Dr. Stefan Fröhlich, Professur für
Internationale Politik und Politische Ökonomie der Friedrich-Alexander-
Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), warum. Wir haben mit ihm über die
aktuelle und zukünftige Außenpolitik Deutschlands sowie seine Rolle in
Europa und in der Welt gesprochen.

Prof. Fröhlich, warum ist deutsche Außenpolitik besser als ihr Ruf?

Gleich welche Führungsrolle man Deutschland zuschreibt oder Erwartungen
man an die deutsche Außen- und Europapolitik hat, die politische Stärke
Berlins wird von manchen Beobachtern nach wie vor mehr als Risiko denn als
Chance Europas gesehen. Dabei zweifelt im Grunde keiner ernsthaft an
seinen Absichten, im Gegenteil wünschen sich die meisten ausdrücklich mehr
politische Führung des Landes. Der dennoch häufig zu vernehmende Ruf im
In- und Ausland nach mehr Verantwortung folgt einem ganz einfachen
Narrativ: Danach soll Deutschland die Rolle des „wohlwollenden Hegemons“
einnehmen, für Europa das sein, was Amerika angeblich für die Welt nach
1945 war – altruistische „Führungsnation“ im Dienst einer stabilen
europäischen und Weltwirtschaft. Begründet wird diese Forderung mit dem
stereotypen Vorwurf, jahrzehntelang Trittbrettfahrer gewesen zu sein und
sich globaler Verantwortung entzogen zu haben.

Die Analyse deutscher Außenpolitik ergibt nach meiner Überzeugung ein
anderes Bild: Unabhängig davon, dass Deutschland seit 2010 unfreiwillig
zur zentralen Macht in Europa aufgestiegen ist, handelte Berlin in zwei
großen Krisen der vergangenen Jahre, Euro- und Ukrainekrise, nicht im
Alleingang, sondern am Ende als pragmatische, durchaus erfolgreiche
Führungsmacht und in Zusammenarbeit mit seinen Bündnispartnern und anderen
Institutionen. Eine Ausnahme stellte die Flüchtlingskrise im Jahr 2015
dar.

Selbstbeschränkung oder Hegemonie – wie schätzen Sie die Rolle
Deutschlands innerhalb Europas ein?

Die bisherige Debatte zwischen diesen beiden stereotypen Narrativen ist
schlichtweg überholt. Und sie wird zunehmend widersprüchlicher und
grotesker. Deutschland hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach mit
früheren außen- und sicherheitspolitischen Tabus gebrochen und politische
Verantwortung übernommen. Und mitnichten war sein Handeln dabei Ausdruck
eines plötzlich weniger durch Vorbildfunktion denn durch Hegemonie
geprägten Engagements. Dies gilt insbesondere für sein Krisenmanagement im
Nahen und Mittleren Osten, wo das Land sich mittlerweile nicht nur als
Vermittler und humanitärer Dienstleister, sondern in nahezu allen Krisen
auch mit zivil-polizeilichen und mitunter sogar militärischen Mitteln
engagiert. Zugegeben, unser Beitrag zu einer regelbasierten Weltordnung
könnte unbestritten noch größer und entschlossener ausfallen. Es ist aber
ebenso unstrittig, dass Deutschland in den oben genannten Krisen innerhalb
Europas wie auch im globalen Maßstab längst seinen wertvollen Beitrag zur
Lösung der zentralen Herausforderungen leistet. Bestes Beispiel aus
jüngster Vergangenheit ist Berlins Auslegung der UN-Resolution 2249 vom
August 2015 im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den IS in Syrien, deren
Wortlaut keine explizite Autorisierung von militärischer Gewalt enthält.

Übrigens gibt es genügend Gründe, warum der von Deutschland und Europa
angemahnte Ansatz, in solchen Konflikten zunächst auf Prävention und
Diplomatie zu setzen, grundsätzlich richtig ist, zumal alle Konflikte der
jüngsten Vergangenheit sich am Ende tatsächlich nicht militärisch lösen
ließen. Deutschland kann aber (militärische) Mitverantwortung dort nicht
verweigern, wo die eigenen, im Einklang mit dem Völkerrecht stehenden
Prinzipien eigentlich eine deutsche Beteiligung erfordern. Hier klingen
die Stimmen derer geradezu zynisch, die einerseits nach wie vor beständig
fordern, dass das Land mehr Mut aufbringen und für seine eigene Sicherheit
sorgen müsse, andererseits aber im gleichen Atemzug vor deutschem
Interventionismus warnen.

Wie kann Deutschland zwischen Mächten wie den USA, Russland und China
bestehen?

Um im Machtkampf der Großmächte bestehen zu können und als strategischer
Akteur ernstgenommen zu werden, braucht Deutschland, beziehungsweise
Europa, nicht nur mehr sicherheitspolitische Selbstbestimmung, sondern
eine pragmatische Sicht auf die globalen Herausforderungen. Mit Blick auf
das transatlantische Verhältnis bedeutet dies eine Politik, die auf
Provokationen verzichtet, weil solche die Konflikte mit einem Präsidenten,
der Außenpolitik als ein Nullsummenspiel betrachtet, nur verschärfen.
Trump ist nicht nur das Produkt der Selbstradikalisierung der
Republikaner, sondern auch die Quittung für die jahrelange mangelnde
Strategiefähigkeit der Europäer, insbesondere Deutschlands. Amerika mag
auch nach Trump nicht mehr das sein, was es vor Trump war. Eine tragfähige
transatlantische Partnerschaft aber gibt es künftig so oder so nur mit
einem stärkeren Europa.

Im Übrigen gilt: Auch in Trumps Amerika herrscht in weiten Teilen des
Landes und der politischen Eliten nach wie vor die Einsicht, wonach
„America first“ im Verbund mit Partnern leichter durchzusetzen ist als
alleine; und diese sitzen allemal immer noch eher in Europa als in
Russland, China oder sonst wo auf der Welt. Und der so vehement
kritisierte Rückzug Amerikas aus multilateralen Vereinbarungen bedeutet
bislang jedenfalls noch keine generelle Missachtung des Völkerrechts oder
völkerrechtlicher Vereinbarungen – mit Ausnahme der Aufkündigung des Iran-
Abkommens und der auch von Deutschland unterstützten Luftschläge gegen das
Regime Assad. Was die deutschen Militärausgaben betrifft, die deutlich
unter der von den NATO-Partnern zugesagten Höhe liegen, ist Berlin
unstrittig im Zugzwang.

Mit Blick auf den Handelsstreit sollten wir uns bewusst sein, dass die EU
wie auch China ihre Wirtschaft mindestens in gleichem und noch stärkerem
Maße vor der ausländischen Konkurrenz schützen als die USA. Im
Durchschnitt liegt das EU-Zollniveau sogar über dem der USA, die immerhin
die Hälfte aller Importe zollfrei ins Land lassen – im Fall der EU gilt
dies nur für ein Viertel der Einfuhren.

Warum eigentlich fällt es Deutschland, beziehungsweise Europa, vor diesem
Hintergrund so schwer, auf Amerika zuzugehen und gemeinsam mit Washington
von China Gleichbehandlung, Reziprozität, im Sinne des zentralen WTO-
Prinzips zu fordern? Es ist höchste Zeit, dass China deutschen und
europäischen Unternehmen die gleichen Rechte einräumt, die chinesische bei
uns genießen. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass Peking
Sonderbündnisse mit osteuropäischen Staaten schließt und über das
Seidenstraßenprojekt rigoros seine ökonomischen Interessen in Europas
Nachbarschaft verfolgt. Ähnlich lässt sich schließlich im Fall Russlands
argumentieren.

Viele Bürger haben das Vertrauen in die Politik verloren. Wie kann dieses
wiederhergestellt werden?

Der Paradigmenwechsel der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist in
weiten Teilen der Öffentlichkeit noch nicht angekommen, obwohl die Bürger
dieses Landes Umfragen zufolge instinktiv spüren, dass ihre und Europas
Sicherheit sich dramatisch verringert haben. Das liegt nicht nur an der
erwähnten Widersprüchlichkeit der strategischen Debatte, sondern auch
daran, dass die Politik sich unverändert scheut, der Öffentlichkeit die
Bedrohlichkeit der Entwicklung der letzten Jahre zu kommunizieren. Dadurch
versäumt sie es, die Voraussetzung dafür zu schaffen, die Selbstfesselung
und eben das damit verbundene Image des Trittbrettfahrers endgültig hinter
sich zu lassen.
Gelingen wird dies nur, so banal es klingt, wenn die Politik sich wieder
als handlungsfähig erweist, nicht den Eindruck erweckt, nur von
Ereignissen getrieben zu sein, der Bevölkerung die Notwendigkeit ihrer
Entscheidungen erklärt und dem Gefühl des schleichenden Kontrollverlusts
in Fragen der äußeren wie inneren Sicherheit entschlossen entgegentritt.
Entscheidend wird sein, dass das Momentum der letzten Jahre in dieser
Umbruchphase nicht verlorengeht. Die Zeichen dafür stehen vielleicht
besser, als die stereotypen Kritiken im In- und Ausland es verheißen:
Sieht man einmal vom linken und rechten Rand im Lande ab, so hat doch die
solide Mehrheit der politischen Mitte begriffen, dass es ein Zurück in der
Außen- und Sicherheitspolitik vor die Krisenjahre der Jahre 2013 bis 2015
nicht geben darf.

Welche außenpolitischen Veränderungen kommen in Zukunft auf Deutschland,
aber auch Europa, zu?

Die Welt befindet sich, glimpflich betrachtet, in Unordnung. Die
Garantiemacht USA zieht sich zurück, ohne dass bisher Alternativen zur
Verfügung stehen. Die etablierten Organisationen wie die UN, der
Internationale Währungsfonds oder die Welthandelsorganisation, die diese
Vorherrschaft begründet haben, gelten zunehmend als wirkungslos.
Chronisches Krisenmanagement, bei dem mit großem Aufwand und hohen Kosten
bescheidene politische Gewinne erzielt werden, und Ineffizienz untergraben
den westlichen moralischen Führungsanspruch. Russland und China haben dies
nicht nur erkannt, sondern betrachten es als gemeinsame Herausforderung,
diesen Führungsanspruch und mithin die Durchsetzung westlicher Werte
zumindest zurückzudrängen – so in der Ukraine und in Syrien. Gleichzeitig
sinkt im Westen das Vertrauen in öffentliche Institutionen, die aus den
Konzepten der Aufklärung, Vernunft und Wissenschaft hervorgegangen sind.
Das Ergebnis ist, dass populistische Bewegungen hervortreten, die in ihrem
Wesen geradezu die Antithese dieser Konzepte sind.

Auch wenn die stereotypen Kritiken aus dem In- wie Ausland nach wie vor
anderes suggerieren wollen, erlebt Deutschland gerade das Ende einer Ära.
Es ist in der politischen Realität des 21. Jahrhunderts angekommen, schon
deshalb, weil die globalen Herausforderungen nun einmal nicht vor unseren
Grenzen Halt machen. Ob das Land will oder nicht, es muss den
eingeschlagenen Weg fortsetzen und fallweise Moral und Interessen
gegeneinander abwägen. Das bedeutet nichts anderes, als einen
realistischen Blick auf die Welt zu ertragen. Deutschland muss hinnehmen,
was es nicht ändern kann wie etwa auf unbestimmte Zeit eingefrorene
Konflikte an Europas Peripherie, die Rückkehr der Großmachtpolitik oder
wechselseitige Abhängigkeiten, die die Zusammenarbeit mit Peking und
Moskau erfordern. Das Land muss das korrigieren, was korrigiert werden
muss wie mangelnde Investitionen und die Erhöhung der
Verteidigungsausgaben in Richtung des Zwei-Prozent-Ziels, und beharrlich
für das eintreten, was andere heute in Frage stellen, also das Eintreten
für die Grundprinzipien des Völkerrechts, die konstitutiv bleiben für jede
Ordnung.