Pin It

Politikwissenschaftler Herfried Münkler in Münster: Europäische Union
sollte sich an früheren Großreichen orientieren – „Imperien haben
zerstörerische Kriege verhindert und Austausch geschaffen“ – Vortrag im
Rahmen der Ringvorlesung „Imperien und Zugehörigkeiten“ des
Exzellenzclusters „Religion und Politik“

Historische Imperien wie das antike Römische Reich oder das British Empire
sollten nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Prof. Dr.
Herfried Münkler einer Neubewertung unterzogen werden. „Imperien werden
meist als aggressive Akteure gesehen, die plündern und unterdrücken.
Manche wurden aber zu Hütern und Sachwaltern eines gemeinsamen Raumes,
sicherten Frieden und sorgten für kulturellen Austausch und eine
gemeinsame Werte- und Rechtsordnung“, sagte der Professor von der
Humboldt-Universität zu Berlin am Dienstagabend in Münster.  Die
Europäische Union (EU) lasse sich als ein solches Imperium verstehen und
könne aus den früheren Großreichen lernen. „Uns steht das Ende des
amerikanischen Zeitalters bevor: Die EU sollte spezifisch europäische
Interessen und Werthaltungen in die Neugestaltung der Weltordnung
einbringen, wenn der alte Kontinent im 21. Jahrhundert noch eine Rolle
spielen will.“ Wie das in regionaler und globaler Hinsicht gelingen könne,
lasse sich an früheren imperialen Ordnungen ablesen, „die große
zerstörerische Kriege verhinderten und kulturellen Austausch schufen.“

„Die EU bezeichnet sich selbst als ‚Raum des Friedens und des
Wohlstands‘“, führte Münkler in der Ringvorlesung „Imperien und
Zugehörigkeiten“ des Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU aus.
„Das kommt der Selbstlegitimation imperialer Ordnungen zu jeder Zeit
gleich.“ In seinem Vortrag setzt der Wissenschaftler den
Imperialismustheorien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts eine
„Imperiumstheorie“ entgegen, „die der Analyse der Vergangenheit dienen
kann, aber auch der Selbstaufklärung der EU über sich selbst“.  Ins
Zentrum seiner Imperiumstheorie stellt Münkler nicht die Ausbeutung von
Kolonien, sondern die Bereitschaft der Reiche, in Gemeingüter zu
investieren. „Imperien stellen Werte wie Wohlstand, Sicherheit und Frieden
sowie Güter in großen geographischen Räumen bereit. Das funktioniert nur,
wenn sie daraus nicht nur für sich Nutzen ziehen wollen.“ Als aktuelles
Beispiel nannte Münkler das internationale Klimaabkommen. „Donald Trumps
Austritt aus dem Abkommen war die Weigerung, in Gemeingüter zu
investieren.“ Sein ‚America first‘ sei als Gegenparole dazu zu verstehen.

„Langlebige Imperien haben in ihre Peripherie investiert“

„Unser Blick auf historische Imperien ist durch die im öffentlichen
Diskurs dominanten Imperialismustheorien des späten 19. und frühen 20.
Jahrhunderts verstellt“, so Münkler weiter. „Viele imperiale Ordnungen
lassen sich als Friedensordnungen betrachten. Namen wie die pax romana,
pax americana, aber auch pax mongolica oder pax sovietica stehen geradezu
für die Verhinderung großer zerstörerischer Kriege.“ Das Römische Reich
der Antike und das Britische Reich der Neuzeit hätten über lange Zeit ihre
Ränder und die Peripherie am Fortbestand der imperialen Ordnung zu
interessieren vermocht. „Langlebige Imperien haben in ihre Ränder
investiert und sie an den Vorteilen imperialer Ordnung, nämlich
Sicherheit, Frieden und Wohlstand, teilhaben lassen.“

Ringvorlesung im ersten Cluster-Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“

Die interdisziplinäre Ringvorlesung „Imperien und Zugehörigkeiten“ des
Exzellenzclusters untersucht den Einfluss von Kolonialmächten auf die
sozialen, kulturellen und religiösen Zugehörigkeiten von
Bevölkerungsgruppen in Großreichen und die Folgen bis heute und nimmt an
Fallbeispielen von der Antike bis in das 20. Jahrhundert in den Blick, wie
die Vielschichtigkeit von Zugehörigkeiten und religiösen Identitäten
imperiale Gesellschaften beeinflussten und welche Dynamiken sozialer
Formierung damit verbunden waren. Die Vortragsreihe bildet den Auftakt zum
ersten Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung. Dynamiken sozialer
Formierung“ des Exzellenzclusters, das sich im Jahresprogramm 2020/21 mit
dem Entstehen sozialer Gruppen befasst sowie mit den Identitäten und
Konflikten, die daraus erwachsen.