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Prof. Dr. Ralf Hohlfeld und Isabel Käsbauer, die das Projekt auf Seiten der Studierenden koordiniert hat.  Valentin Brandes  Universität Passau
Prof. Dr. Ralf Hohlfeld und Isabel Käsbauer, die das Projekt auf Seiten der Studierenden koordiniert hat. Valentin Brandes Universität Passau

Prof. Dr. Ralf Hohlfeld, Kommunikationswissenschaftler an der Universität
Passau, hat gemeinsam mit Studierenden mehr als 1800 Telegram- und
Facebook-Posts von Verschwörungs-Influencern und prominenten AfD-
Mitgliedern zur COVID-19-Pandemie inhaltlich analysiert. Die Studie zeigt:
Der Diskurs auf Telegram ist sehr viel radikaler. Der Begriff „Corona-
Leugner“ trifft allerdings überwiegend nicht zu.

Die Forschungsgruppe hat in einen tiefen Abgrund geblickt, erklärt
Studienleiter Prof. Dr. Ralf Hohlfeld, Inhaber des Lehrstuhls für
Kommunikationswissenschaft an der Universität Passau: „Wir sehen in der
Summe der Beiträge vor allem eine krude Mischung aus Geschichtsklitterung,
Herabsetzung, Hetze, Aufwiegelung und Antisemitismus.“ Der Begriff
„Corona-Leugner“ beschreibe die Bewegung in den sozialen Netzwerken
allerdings unzureichend. Denn die Existenz des Virus werde überwiegend
nicht verneint, sondern stehe im Zentrum der Verschwörungserzählungen.

Gemeinsam mit 24 Studierenden des Masterstudiengangs „Medien- und
Kommunikation“ nahm Prof. Dr. Hohlfeld Gruppen und Kanäle von prominenten
Populistinnen und Populisten in den Blick, darunter Attila Hildmann, Eva
Hermann, Michael Wendler und Rüdiger Dahlke. Darüber hinaus flossen Posts
ausgewählter Politikerinnen und Politiker der Alternative für Deutschland
(AfD) ein, darunter Björn Höcke. Das Passauer Team analysierte von März
bis Dezember 2020 mehr als 1.800 Telegram- und Facebook-Posts, die einen
inhaltlichen Bezug zur COVID-19-Pandemie aufwiesen.  Die Forscherinnen und
Forscher arbeiteten mit einer quantitativen Inhaltsanalyse, die sie mit
computergestützten Verfahren der Stichprobengenerierung anreicherten.

Radikalere Diskurse auf Telegram

„Wir konnten feststellen, dass die ablehnende Haltung zur Pandemie und zum
auslösenden Virus Sars-COV-2 ein durchgängiges Muster in allen
untersuchten Gruppen ist“, fasst Prof. Dr. Hohlfeld zusammen. Dabei
äußerten sich die untersuchten Personen und Gruppen auf Telegram radikaler
als auf Facebook. Telegram sei zur Haupt-Plattform für
Verschwörungserzählungen geworden. Dies sei kaum verwunderlich, denn:
„Während bei Facebook in der jüngeren Vergangenheit Regulierungsmaßnahmen
zivilisierend auf die Kommunikation einwirken, ist Telegram vollkommen
unreguliert, Gesetzesverstöße lassen sich hier nicht ahnden.“

Corona-Virus im Zentrum der Verschwörungserzählungen

„In 40 Prozent der Kommunikation der rechtspopulistischen Akteurinnen und
Akteure sowie ihrer Gruppen finden sich eindeutige Bezüge auf
Verschwörungserzählungen“, sagt Isabel Käsbauer, die das Projekt auf
Seiten der Studierenden koordiniert hat. Die Verschwörungen seien meist
pandemiespezifisch ausgerichtet und schüfen ein stark vernetztes
Paralleluniversum. Das Corona-Virus werde etwa als künstlich gezüchtetes
Kontrollinstrument aufgefasst, mit dem die Regierung die Bevölkerung
kontrollieren und unter ihren Willen zwingen wolle. Die Etablierung einer
Diktatur sei Fluchtpunkt der meisten Verschwörungsmythen.

Herabsetzende Rhetorik gegen Politikerinnen und Politiker

Fast drei Viertel der Beiträge auf den rechtspopulistischen Plattformen
war dem Passauer Forschungsteam zufolge von negativer Rhetorik und
Herabsetzung geprägt. Diese richtete sich in 53 Prozent der Fälle gegen
Politikerinnen und Politiker, in jeweils neun Prozent waren
Medienvertreterinnen oder -vertreter sowie Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern betroffen. Neben Angriffen auf konkrete Personen wiesen
die Forscherinnen und Forscher in fast jedem dritten Beitrag eine
deutliche Wissenschaftsskepsis nach.

30 Prozent der Hassposts mit Handlungsaufforderungen

Die radikale Ablehnung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wirkte sich
auch auf die Kommentare der Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer aus: Je
negativer die Politik bewertet wurden, desto ablehnender waren die
entsprechenden Kommentare.

Knapp 30 Prozent der pandemiebezogenen Kommunikation rechtspopulistischer
Akteurinnen und Akteure auf Telegram und Facebook enthielten
Aufforderungen zum Handeln. In einem Viertel dieser Fälle waren diese
extrem radikal. Darunter fanden sich Aufrufe, den Bundestag zu stürmen,
und Morddrohungen gegen die Bundeskanzlerin.

Die Studie der Forschungsgruppe hat im Rahmen des Hauptseminars
„Populismus, Postfaktizität und Medienkommunikation“ im Wintersemester
2020/21 an der Universität Passau stattgefunden und fügt sich in die
Forschung des Lehrstuhls zum Thema Fake News und Desinformation ein. Das
Team hat die englischsprachige Studie unter dem Titel „Communicating
COVID-19 against the backdrop of conspiracy ideologies: How public figures
discuss the matter on Facebook and Telegram“ als Preprint, also als
Vorveröffentlichung, auf der Wissenschaftsplattform ResearchGate
publiziert.

Weitere Informationen:
-       Link zur Original-Studie: https://bit.ly/2Sv660h
-       Magazin-Beitrag des Autoren-Teams zur Studie: https://www.digital
.uni-passau.de/beitraege/2021/social-media-analyse-zu-corona-mythen/