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Wieder wurden die Bulgar*innen zu den Urnen gerufen. Und wieder zeichnet
sich eine schwere bis unmögliche Regierungsbildung ab. Doch trotz des
widersprüchlichen Ergebnisses hat die Parlamentswahl vom 11. Juli 2021
auch eine klare Botschaft gebracht, kommentiert Prof. Dr. Ulf Brunnbauer,
Historiker und Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und
Südosteuropaforschung:

Trotz einer hochgradigen politischen Polarisierung, trotz des
unbestrittenen Veränderungsbedarfs in Bulgarien betrug die Wahlbeteiligung
nur etwas mehr als 40 Prozent. Drei Jahrzehnte nach der Demokratisierung
des Landes scheinen viele Menschen den Glauben verloren zu haben, mit
ihrer Stimme etwas zu bewegen. Wer mag es ihnen verdenken, wenn die
Parteien es nicht einmal geschafft haben, eine Regierung zu bilden? Die
Gefahr ist jedoch groß, dass ein Gewirr aus Antipolitik, Korruption und
betonharten Blockaden die Politik in Sofia weiterhin fesselt und so Frust
und Demokratiemüdigkeit weiter wachsen.

Denn eine Regierungsbildung wird auch im neuen Parlament schwierig, sofern
die Akteure nicht von ihren einzementierten Positionen abweichen. Am
meisten wird nun von der erst 2020 vom TV-Unterhaltungsstar und Musiker
Slavi Trifonov gegründeten Protestpartei „Es gibt so ein Volk“ abhängen.
Nur, was diese Formation genau will, kann niemand sagen, denn der
Parteichef weigerte sich im Wahlkampf, an Debatten teilzunehmen oder
Interviews zu geben. Eine solche Antipolitik ist jedoch kaum angetan, die
tiefgehenden Probleme Bulgariens zu lösen. Ob die politische Elite des
Landes aber kompromissbereit und sachorientiert genug ist, um das Leben
der frustrierten Bevölkerung tatsächlich zu verbessern, das muss sich erst
zeigen. Die geringe Wahlbeteiligung sollte Warnung genug sein, und die
Botschaft des Wahlergebnisses ist eigentlich klar: Kooperiert – endlich!
Die Bulgar*innen wollen die Macht nicht in die Hand einer Partei legen;
die Wählerschaft zeigt sich hier weise. Ob das auch für die von ihr
Gewählten gilt?

Der gesamte Kommentar unter: https://ostblog.hypotheses.org/2053

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– und zwar aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Am IOS forschen
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