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Die hohen Zuwanderungszahlen im Jahr 2015 waren das Ergebnis eines
Aufwärtstrends, der sich seit Jahren abzeichnete. Zudem hat die
Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel im September 2015, Tausende von
Asylsuchenden über die Grenze nach Deutschland einreisen zu lassen, nicht
zu einer dauerhaft erhöhten Zuwanderung geführt. Dies belegt eine neue
Studie, die die Migrationsbewegungen und -absichten für die Jahre 2000 bis
2020 analysiert und mit anderen EU-Zielländern vergleicht.

„Eine offene Migrationspolitik für Menschen in Not führt nicht
zwangsläufig zu einer langfristig anhaltenden Zuwanderung. Zwar
verbreitete sich die Nachricht von Angela Merkels Entscheidung rasant über
Medien und soziale Netzwerke, doch der von Kritikern befürchtete Pull-
Effekt, dass sich erst deswegen viel mehr Asylsuchende auf den Weg nach
Deutschland machen würden, trat nicht ein“, so Tobias Heidland, Direktor
des Forschungszentrums Internationale Entwicklung am Institut für
Weltwirtschaft. „Selbst die Auswanderungsabsichten potenzieller Migranten
in den Herkunfts- oder Erstasylländern wie der Türkei stiegen höchstens
kurzfristig an.”

Für die Studie untersuchten die beiden Autoren eine breite Palette von
Datenquellen: verschiedene Datensätze des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge, der Europäischen Union, Umfragedaten in den Herkunftsländern
und Google-Suchdaten. Die Ergebnisse zeigen, dass Merkels Entscheidung im
Jahr 2015 keinen messbaren Einfluss auf die nachfolgenden
Migrationsbewegungen nach Deutschland bis 2020 – dem Beginn der Corona-
Pandemie – hatte.

Die hohen Migrationszahlen nach Deutschland im Jahr 2015 waren dagegen das
Ergebnis eines Aufwärtstrends, der bereits 2010 begann und sich 2014 und
2015 zum Teil durch Finanzierungslücken bei der Versorgung von
Flüchtlingen in den Erstaufnahmeländern im Nahen Osten intensivierte.
Statt sich weiter zu beschleunigen, gingen die Migrationszahlen nach 2015
deutlich zurück – sogar schneller als in anderen EU-Zielländern.

Eine Vielzahl von Faktoren sind für den starken Rückgang in der Migration
nach 2015 verantwortlich, insbesondere die zunehmend restriktive
Migrationspolitik Deutschlands (wie das EU-Türkei-Abkommen, die Schließung
der Balkanroute, die Beschränkung des Familiennachzugs, etc.) sowie die
verbesserten Lebensbedingungen für syrische Flüchtlinge in den Lagern des
Nahen Ostens.

„Unsere Analyse zeigt sowohl, dass eine Willkommenspolitik nicht
zwangsläufig mehr Zuwanderung produziert, als auch, dass Staaten sich
schnell an veränderte Rahmenbedingungen anpassen und Migration regulieren
können“, erläutert Jasper Tjaden, Professor für angewandte Sozialforschung
und Public Policy an der Universität Potsdam und Co-Autor der Studie. „Was
wir aus der deutschen Flüchtlingspolitik seit 2015 lernen können, ist auch
für andere Staaten relevant: Sie können dringend benötigten
Flüchtlingsschutz gewähren – und wieder begrenzen, wenn Kapazitäten
erreicht sind.“