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Je mehr CO2 wir bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas emittieren,
desto mehr erwärmen wir unser Klima - das klingt einfach und das ist es
auch. Verschiedene Analysen haben unterschiedliche Schätzungen darüber
vorgelegt, wie viel CO2 die Menschheit noch ausstoßen kann, wenn wir die
globale Erwärmung auf die international vereinbarten 1,5 und deutlich
unter 2 Grad Celsius begrenzen wollen. Eine neue Studie zeigt, dass
fehlende Klarheit über die Gründe dieser Abweichungen zu unnötiger
Verwirrung geführt hat.

Die Studie erleichtert den Vergleich unterschiedlicher Analysen, indem sie
die relevanten Faktoren zur Schätzungen der verbleibenden CO2-Budgets
identifiziert. Dadurch macht sie die Schätzungen leichter vergleichbar,
was auch ihre Nutzung durch Entscheidungsträger erleichtern wird. Aus
klimapolitischer Sicht bleibt die Grundaussage gleich: Selbst wenn das
verbleibende Kohlenstoffbudget zur Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C um
die Hälfte höher wäre, hätten wir nur noch 10 Jahre Zeit, bis die
Emissionen auf Null reduziert werden müssen.

„Die CO2-Emissionen von der Industrie bis zum Verkehr auf Null zu bringen,
erfordert sofortige Maßnahmen. Ob wir das ein paar Jahre früher oder
später erreichen, ist unerheblich dafür, dass wir jetzt Maßnahmen
ergreifen müssen", sagt Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für
Klimafolgenforschung (PIK), einer der Autoren der Studie. „Doch die
Klärung verschiedener Berechnungen des CO2-Budgets ist mehr als nur eine
akademische Frage. Es sagt uns etwas über die Risiken". Eine der
wichtigsten Erkenntnisse der jetzt in Nature veröffentlichten Studie ist,
dass Rückkopplungen im Erdsystem, wie etwa das Tauen des Permafrostes und
damit die Freisetzung des starken Treibhausgases Methan, ein
unterschätzter wichtiger Faktor für den Umfang des verbleibenden
CO2-Budgets sein könnten.

„Vorliegende Schätzungen des Kohlenstoffbudgets vernachlässigen oft das
Tauen des Permafrostes und andere langsame Rückkopplungen des Erdsystems,
die zu einer weiteren Erwärmung des Planeten führen könnten. Das bedeutet,
dass unser Spielraum noch kleiner sein könnte, als wir dachten", erklärt
Kriegler. „Die impliziten Grundannahmen für CO2-Budgetberechnungen wie
diese zu präzisieren, ist wichtig, um politische Entscheidungsträger mit
fundierten Informationen zu unterstützen".

Rückkopplungen des Erdsystems und andere wichtige Faktoren

Ein weiteres Beispiel für Unterschiede zwischen den Schätzungen des
Kohlenstoffbudgets ist die Art der Temperaturmessung, die sie
veranschlagen. Einige Schätzungen beziehen sich auf die
Oberflächenlufttemperatur der Erde. 1,5 Meter über dem Boden gemessen, ist
dies im Grunde die Temperatur, die die Menschen empfinden. Einige
Schätzungen des Kohlenstoffbudgets beziehen jedoch die Temperaturen der
Meeresoberfläche in ihre Bemessung der Erderwärmung ein. Da sich die
Meeresoberflächentemperaturen langsamer erwärmen als die Lufttemperaturen,
scheint es, als könne mehr CO2 ausgestoßen werden, bevor die 1,5 Grad
Celsius-Grenze überschritten wird. Doch die so berechneten Budgets hätten
auch klare Klimafolgen: eine verhältnismäßig heißere Erde. In ihrer Studie
empfehlen die Autoren, ausschließlich die Oberflächenlufttemperatur für
die Schätzung des verbleibenden CO2-Budgets zu wählen.

In einer Schlüsselgleichung für aktuelle und zukünftige Schätzungen des
verbleibenden Kohlenstoffbudgets definieren die Wissenschaftler fünf
Faktoren. Einer davon, die zukünftige Erwärmung durch Nicht-
CO2-Emissionen, hängt stark von den politischen Entscheidungen über
Treibhausgase jenseits von CO2 ab, die wir weiterhin emittieren werden. Je
weniger wir den Planeten mit Treibhausgasen wie Methan erwärmen, desto
größer wird unser verbleibendes Budget für CO2-Emissionen sein. Neben den
Rückkopplungen des Erdsystems bezieht sich die größte Unsicherheit auf
unsere Schätzung, wie stark sich das Klima als Reaktion auf die gesamten
CO2-Emissionen erwärmt. Weitere Unsicherheiten ergeben sich aus der
Bandbreite der historischen vom Menschen verursachten Erwärmung und dem
Ausmaß der zusätzlichen Erwärmung nach Erreichen des Netto-Nullpunktes der
CO2-Emissionen. Als wichtigen Meilenstein zur Verringerung dieser
Unsicherheiten weisen die Autoren auf den sich derzeit in Vorbereitung
befindlichen 6. Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate
Change (IPCC) hin.

Der Ansatz der Autoren baut auf der Argumentation des IPCC-Sonderberichts
über 1,5 Grad globale Erwärmung auf, an dem sie mitgearbeitet haben. Der
Bericht schätzt das verbleibende CO2-Emissionsbudget ab 2018 auf 420
GtCO2, wenn mit einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit die Erderwärmung
auf 1,5°C begrenzt werden soll, bzw. 580 GtCO2 für eine 50-prozentige
Wahrscheinlichkeit. Die Annahmen über zukünftige Nicht- CO2-Emissionen
können diese Schätzungen um 250 GtCO2 nach oben und unten verändern. Von
diesen Schätzungen müsste man die CO2-Emissionen aus dem Tauen des
Permafrosts und anderen nicht erfassten Rückkopplungen des Erdsystems
abziehen, die vorläufig auf mindestens 100 GtCO2 geschätzt werden. „Wie
groß das Budget am Ende ist, können wir nicht genau sagen, weil es auch
von künftigen Entscheidungen über andere Treibhausgase als CO2 und von
Unsicherheiten in natürlichen Systemen abhängt. Aber wir wissen genug, um
sicher zu sein, dass keine Zeit mehr zu verlieren ist, um die
Treibhausgasemissionen deutlich zu reduzieren", sagt Kriegler.

Auf dem Laufenden bleiben, um fundierte Entscheidungen treffen zu können

„Alle Faktoren unserer Gleichung werden im Verlauf des wissenschaftlichen
Fortschritts aktualisiert werden - einige dieser Aktualisierungen werden
die CO2-Budgets kleiner machen, während andere sie etwas größer machen",
sagt Joeri Rogelj vom Grantham Institute am Imperial College London, einer
der Leitautoren der Studie. „Die explizite Darstellung dieser regelmäßigen
Aktualisierungen hilft aber dabei, sie transparent zu kommunizieren. Es
ist wichtig, dass die politischen Entscheidungsträger über den neuesten
Stand der Wissenschaft auf dem Laufenden gehalten werden, denn der nächste
Bericht des IPCC im Jahr 2021 soll unser Wissen über die verbleibenden
CO2-Budgets konsolidieren, um die Erwärmung auf 1,5°C und deutlich unter
2°C zu begrenzen."

„Wie wir uns heute verhalten, wird entscheiden, ob wir eine realistische
Chance haben, die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. An diesem Ergebnis
ändert unsere Studie nichts", fügt Rogelj hinzu. „Alles, was wir über die
Größenordnung der erwarteten Klimaauswirkungen in einer Welt mit mehr als
1,5 Grad Temperaturzunahme wissen und unser besseres Verständnis der
verschiedenen Faktoren, die die Größe des verbleibenden Kohlenstoffbudgets
beeinflussen, lässt keinen Zweifel: Wir brauchen einen Vorsorgeansatz mit
entschlossenen Klimaschutzmaßnahmen in den nächsten fünf bis zehn Jahren,
um die Risiken zu begrenzen und Optionen offen zu halten – egal, in welche
Richtung die Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets variieren."

Artikel: Joeri Rogelj, Piers M. Forster, Elmar Kriegler, Christopher J.
Smith, Roland Séférian (2019): Estimating and tracking the remaining
carbon budget for stringent climate targets. Nature [DOI:
10.1038/s41586-019-1368-z]

Weblink zum Artikel nach Veröffentlichung:
https://doi.org/10.1038/s41586-019-1368-z