Übersichtsarbeit zeigt: Strahlung kann das Immunsystem dauerhaft verändern
nternationales Forscherteam wertet über 200 Studien aus
Eine neue wissenschaftliche Übersichtsarbeit zeigt, dass bereits
Strahlenbelastungen im Bereich von 20-100 Milligray Auswirkungen auf das
Immunsystem haben können. Damit liegt die Schwelle unter den Werten, die
etwa bei einer Strahlenbehandlung eingesetzt werden. Ein internationales
Forscherteam, an dem auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beteiligt
war, hat dazu mehr als 200 Studien bewertet. Ein besonderes Augenmerk lag
auf der Analyse der Wirkung unterschiedlich hoher Strahlendosen.
Hohe Strahlendosen von über einem Gray, wie sie bei Strahlentherapien
eingesetzt werden können, haben bekanntermaßen eine starke Wirkung auf das
Immunsystem und können negative gesundheitliche Langzeitfolgen nach sich
ziehen. Jedoch reichen offenbar bereits Dosen von 20 – 100 Milligray aus,
um geringfügige, aber dauerhafte immunologische Veränderungen auszulösen.
Solche Werte können beispielsweise die Folge einer jahrelangen beruflichen
Strahlenbelastung sein. Nach jetzigem Kenntnisstand haben diese keine
direkten gesundheitlichen Auswirkungen. Ob daraus gesundheitlich negative
Langzeitfolgen resultieren können, muss noch untersucht werden.
Ionisierende Strahlung kann technisch erzeugt werden oder natürlich
entstehen, wenn bestimmte Atomkerne radioaktiv zerfallen. Neben der
natürlichen Strahlung können auf den Menschen Strahlenbelastungen etwa aus
medizinischen und technischen Anwendungen einwirken. Auch sind bestimmte
Berufsgruppen, wie etwa fliegendes oder medizinisches Personal, Strahlung
ausgesetzt.
Je geringer die Dosis, desto größer der Forschungsbedarf
Die Studienauswertung des Forscherteams zeigt unterschiedliche Effekte,
jeweils abhängig von der Strahlendosis:
Eine einmalige Ganzkörperdosis unter 100 Milligray könnte die
Leistungsfähigkeit des Immunsystems beeinträchtigen und die Alterung des
Immunsystems beschleunigen. Aber auch für niedrigere Belastungen wurden
länger anhaltende Veränderungen des Immunsystems beobachtet. Nach
derzeitigem Kenntnisstand haben diese biologischen Veränderungen aber
keinen direkten Einfluss auf die Gesundheit.
Bei Dosen von weniger als 20 Milligray sind weder für akute noch für
wiederholte Expositionen gesicherte Aussagen möglich.
Im Gegensatz zu diesen Beobachtungen können Dosen zwischen 100 Milligray
und 1 Gray eine entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkung bei
lokaler Anwendung haben. Dies ist jedoch nur bei bereits aufgetretenen
chronischen Entzündungen der Fall. Deshalb werden diese Dosen etwa bei
lokalen Therapien von Gelenkentzündungen angewendet.
Im Vergleich zu geringeren Dosen ist der Zusammenhang zwischen höheren
Strahlendosen und dem Immunsystem gut erforscht. Hier wurden
ausschließlich negative Auswirkungen beobachtet, beispielsweise eine
zeitlich begrenzte Unterdrückung des Immunsystems oder
entzündungsfördernde Prozesse. Diese Erkenntnisse beruhen weitgehend auf
den Ergebnissen von Strahlentherapiepatienten und den Studien zu den
japanischen Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki.
Offene Fragen zur chronischen Strahlenbelastung
In die aktuelle Bewertung wurden Studien zu unterschiedlichen
Expositionsszenarien einbezogen. Zum einen solche, bei denen einmalige
aber hohe Strahlenbelastungen untersucht wurden, aber auch Studien zu
Bevölkerungsgruppen, die erhöhter natürlicher Strahlung oder
Kontaminationen ausgesetzt sind, auch im Beruf. Dabei wurden neben akuten
Expositionen auch chronische Strahlenbelastungen berücksichtigt.
Experimentelle Studien und klinische Beobachtungen bestätigen den Einfluss
geringer, über einen längeren Zeitraum akkumulierter Strahlendosen auf das
Immunsystem. Zur besseren Einordnung der Dosen sind typische Dosiswerte
auf der Internetseite des BfS zusammengestellt. Dabei entspricht
beispielsweise eine effektive Dosis von 100 Millisievert einer einmaligen
Ganzkörperbestrahlung mit 100 Milligray Gamma-Strahlung.
In ihrem Resümee bekräftigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
den Bedarf an Forschungsprojekten zu den zugrundeliegenden Mechanismen und
daraus resultierender möglicher Langzeiteffekte insbesondere von
niedrigeren Strahlenexpositionen. Das würde zur Klärung der Frage
beitragen, ob strahleninduzierte immunologische Veränderungen das
Auftreten von Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen begünstigen.
Die Übersichtsarbeit „Low dose radiation effects on the immune system“
wurde in der Zeitschrift „Environment International“ veröffentlicht. Im
Editorial, das federführend vom BfS verfasst wurde, wird in die Thematik
eingeführt.
Bundesamt für Strahlenschutz
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) arbeitet für den Schutz des
Menschen und der Umwelt vor Schäden durch Strahlung. Das BfS informiert
die Bevölkerung und berät die Bundesregierung in allen Fragen des
Strahlenschutzes. Die über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewerten
Strahlenrisiken, überwachen die Umweltradioaktivität, unterstützen aktiv
im radiologischen Notfallschutz und nehmen hoheitliche Aufgaben wahr,
darunter im medizinischen und beruflichen Strahlenschutz. Ultraviolette
Strahlung und strahlenrelevante Aspekte der Digitalisierung und
Energiewende sind weitere Arbeitsfelder. Als wissenschaftlich-technische
Bundesoberbehörde betreibt das BfS Forschung und ist mit nationalen und
internationalen Fachleuten vernetzt. Weitere Informationen unter
www.bfs.de.