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Gruppen-Selbstwissen im Blick: Dr. Lukas Schwengerer
Gruppen-Selbstwissen im Blick: Dr. Lukas Schwengerer

Jeder Mensch kennt seine Überzeugungen und Absichten. Besitzen Gruppen
auch so ein Selbstwissen? Das fragt Dr. Lukas Schwengerer von der
Universität Duisburg-Essen (UDE). Der Philosoph analysiert, wie es
entsteht und wie viel etwa soziale Gruppen in Online-Medien davon haben.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert sein Projekt
„Kollektives Selbstwissen“ ab April 2022 für drei Jahre mit dem Programm
„Eigene Stelle“.

Wie kommen wir zu Wissen und Überzeugungen? Das ist die Frage, die den
33-Jährigen grundsätzlich beschäftigt. Statt den Blick auf die
Einzelperson zu richten, betrachtet er vor allem soziale Gruppen oder
unsere Interaktion mit technologischen Dingen wie Internet und Handy.

Selbstwissen hilft Einzelpersonen, über eigene Vorurteile oder den eigenen
Dogmatismus zu reflektieren. Dasselbe gilt für Selbstwissen in Gruppen.
Doch darüber, wie diese ihr Wissen erlangen, ist noch wenig bekannt. „Im
Alltag sprechen wir oft so, als könnten soziale Gruppen ihre Absichten
ähnlich gut erkennen wie eine Person“, sagt Schwengerer. Ein einfaches
Beispiel: „Wenn Rot-Weiß Essen bekannt gibt, neue Spieler verpflichten zu
wollen, zweifeln wir nicht, dass der Verein von dem Wunsch weiß.“ Das gilt
auch für Familien, Freunde oder Firmen, die als Einheit handeln.

Aber lassen sich die Gruppen über einen Kamm scheren? Sie sind doch
vollkommen anders aufgestellt als einzelne Menschen, verfolgen
verschiedene Ziele. „Das stimmt. Wichtiger ist, dass ihre Einstellungen im
Prozess entwickelt werden – entweder in Diskussionen oder darüber, dass
sich die Mehrheitsmeinung durchsetzt“, sagt Schwengerer. Die Gruppe leitet
ihre Absichten aus Beobachtungen der Prozesse ab. „Je genauer diese
festgehalten werden, desto mehr Wissen gewinnt die Gruppe über sich. Aber
wenn die Entscheidungen diffus sind, kennt sie ihre Wünsche und
Überzeugungen oft nicht.“ Spannend sei herauszufinden, wie sie sie in
total unstrukturierten Situationen wissen kann.

Im DFG-Projekt wird Schwengerer unter anderem analysieren, wie relevant
das Selbstwissen für Gruppen in Online-Medien ist. „Wenn sie ihre Meinung
bilden und ihre mentalen Zustände kennen, können die Gruppen in der online
vernetzen Welt besser erkennen, ob ihre Meinungsbildung durch Filterblasen
beeinträchtigt wird“, erklärt er. Zugleich helfe es ihnen, besser
gerechtfertigte Überzeugungen zu formen. „Die Gruppen können das
Selbstwissen als Basis nutzen, um intellektuell tugendhafter zu werden –
offener, undogmatischer, vorsichtiger, weniger polarisiert“, so der
soziale Erkenntnistheoretiker.