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Diplom-Psychologin Josephin Jahnke vom FamilieNetz schult eine Mutter von zu früh geborenen Zwillingen.  Holger Ostermeyer  Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Diplom-Psychologin Josephin Jahnke vom FamilieNetz schult eine Mutter von zu früh geborenen Zwillingen. Holger Ostermeyer Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Dank der Initiative #SchüttelMichNicht der Babylotsen der Charité –
Universitätsmedizin Berlin und dem German Council of Shopping Places
(GCSP) kann das Perinatalzentrum des Universitäts-Kinder-Frauenzentrums am
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden mit einer gespendeten
Simulationspuppe die lebensbedrohlichen Folgen des heftigen Schüttelns von
Neugeborenen anschaulich demonstrieren. Eltern krank oder zu früh
geborener Babys werden durch das FamilieNetz begleitet und so unter
anderem auf die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt vorbereitet. Dabei
geht es auch um das Bewältigen von Stresssituationen zu Hause.

Eine der Herausforderungen von Eltern zu früh oder krank geborener Kinder
kann darin bestehen, dass sie auf Grund ihrer Unreife häufig und lange
schreien und mitunter schwer zu beruhigen sind. Damit Eltern lernen, mit
dieser Situation zurechtzukommen und nicht in der Stresssituation
überzureagieren, werden sie vom FamilieNetz geschult. Dabei wird nun auch
die gespendete Simulationspuppe eingesetzt.

„Nachdem es gelungen ist, auch die medizinische Versorgung von extrem früh
oder krank geborenen Babys in hoch spezialisierten Zentren verlässlich auf
einem sehr hohen Niveau sicherzustellen, rückte in den vergangenen Jahren
die Lebensqualität dieser Kinder und ihrer Eltern stärker in den Fokus",
sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner
Uniklinikums: "Mit dem Ziel, auch bei den oft intensivmedizinisch
versorgten Neugeborenen so früh wie möglich sichere Eltern-Kind-Bindungen
aufzubauen nimmt unser Projekt 'FamilieNetz' hier eine Vorreiterrolle ein.
Die Simulationspuppe ist in diesem Rahmen ein praxisnahes Mittel, das die
Eltern befähigen kann, auch in Stresssituationen richtig zu agieren.“

„Keine Mutter, kein Vater will seinem Baby schaden. Und doch passiert das
immer wieder“, sagt Josephin Jahnke. Die Diplom-Psychologin arbeitet im
FamilieNetz, einem Versorgungsbereich, der in der Universitäts-
Kinderklinik insbesondere für die psychosoziale und spezielle pflegerische
Begleitung von Familien zu früh oder krank Neugeborener zuständig ist.
Dabei bereitet sie die Familien auch auf die Grenzsituation vor, wenn sich
ein Kind über eine lange Zeit nicht beruhigen lässt und 20 Minuten oder in
extremen Fällen sogar mehr als eine Stunde durchgehend schreit. In solchen
Fällen die Nerven zu verlieren, ist nichts Außergewöhnliches: „Das kann
jedem so ergehen“, ist sich Josephin Jahnke sicher. „Wir schätzen, dass in
Deutschland jedes Jahr bis zu 200 Kinder aufgrund eines Schütteltraumas in
eine Klinik gebracht werden. Die Dunkelziffer liegt vermutlich doppelt so
hoch. Zwischen zehn und 30 Prozent davon überleben die dabei entstandenen
Hirnverletzungen nicht“, sagt Dr. Christian Karpinski von der Klinik für
Kinderchirurgie, der zugleich zur Leitung der Kinderschutzgruppe am
Universitätsklinikum gehört. 50 bis 70 Prozent der Babys, die mit
Schütteltrauma in Kliniken gebracht werden, erleiden schwerste bleibende
körperliche und geistige Beeinträchtigungen. Das sind Krampfanfälle,
Erblindungen, Sprachstörungen, Lernschwierigkeiten oder
Entwicklungsverzögerungen. Lediglich zehn bis 20 Prozent der Säuglinge
überleben ein Schütteltrauma ohne bleibende Schäden.

Beim Schütteln schleudert der Kopf unkontrolliert hin und her. Denn der
Säugling kann – wegen seiner schwachen Nackenmuskulatur – den Kopf noch
nicht allein halten. Die gewaltsamen Bewegungen führen dazu, dass das
Gehirn im Schädel hin- und hergeworfen wird. Dabei können Nervenbahnen und
Blutgefäße reißen. Rein äußerlich sind diese Verletzungen oft nicht
sichtbar. Die akut auftretenden Symptome könnten auch andere Ursachen
haben. Typische Anzeichen sind Blässe, Reizbarkeit, Apathie, Erbrechen,
Krampfanfälle oder Atemstillstand.

Babys schreien in den ersten Lebenswochen besonders häufig

Im Mittel schreien Babys ab der 2. bis zur 6. Lebenswoche zwei Stunden am
Tag. Dies reduziert sich danach schrittweise und sinkt nach der 12.
Lebenswoche auf durchschnittlich weniger als eine Stunde täglich. Gerade
in den ersten Monaten scheinen viele Schreianfälle unvorhersehbar und
lassen sich nicht nachvollziehen. In bis zu zehn Prozent dieser Anfälle
ist das Baby untröstlich. Alle Versuche der Eltern, das Kind zu beruhigen,
bleiben erfolglos. Dies kann bei den Eltern Gefühle der Hilflosigkeit,
Frustration und Wut auslösen und schließlich zum Schütteln des Kindes im
Affekt führen.
Die noch immer verbreitete Ansicht, dass das Schreien in den ersten
Lebensmonaten auf Probleme des Darmtrakts – sogenannte „Dreimonatskoliken“
– zurückzuführen sei, ist nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr
zutreffend. Vielmehr gehen die Expertinnen und Experten davon aus, dass
das Schreien mit verschiedenen Reifungsprozessen zusammenhängt. In den
ersten Lebensmonaten lernt der Säugling in einem Anpassungs- und
Reifungsprozess Schlaf- und Wachzustände, Hunger und Sättigung zu
regulieren. Insbesondere bei zu früh geborenen Babys können hier
Verzögerungen auftreten, so dass die Eltern dieser Kinder häufiger und
intensiver mit dem Problem konfrontiert werden.

Wann das Schreien auffällig wird

Der amerikanische Kinderarzt Morris Wessel benannte 1954 Kriterien, nach
denen das Schreien eines Säuglings als exzessiv beurteilt wird: Die
tägliche Schreidauer liegt über drei Wochen an mindestens drei Tagen der
Woche bei mindestens drei Stunden. Das betrifft zwischen fünf und 19
Prozent der Säuglinge. Babys schreien, weil sie ihre Bedürfnisse noch
nicht anders ausdrücken können. Sie können erkrankt sein und schreien in
der Folge der mit der Erkrankung verbundenen Schmerzen – hier ist
unbedingt die kinderärztliche Untersuchung angezeigt. Schreien ist für sie
aber auch der einzige Weg zu zeigen, dass ihnen etwas fehlt. „Trösten Sie
Ihr Kind, wenn es schreit. So erlebt ihr Kind, dass sie für es da sind,
und es kann Vertrauen aufbauen“, sagt Josephin Jahnke. Ursachen, weshalb
Babys schreien, sind Müdigkeit oder Hunger, das Gefühl, dass es ihnen zu
warm oder zu kalt ist, dass sie eine nasse oder volle Windel haben, sie
eine zu laute Umgebung stört oder ihnen gerade körperliche Nähe vor allem
zu Mutter oder Vater fehlt oder aber auch zu viel wird. „Wichtig zu wissen
ist, dass Babys niemals schreien, um ihre Eltern oder andere Menschen zu
ärgern. Zu so einem absichtsvollen Handeln sind Babys noch gar nicht in
der Lage“, betont die Diplom-Psychologin.

Betroffene Eltern sollten fachlichen Rat einholen

Anhaltendes, unstillbares Schreien kann bei den Betreuungspersonen zu
starker Erschöpfung und Gefühlen der Hilfslosigkeit, aber auch zu Ärger
und Wut führen. Diese Anspannung und Erregung überträgt sich auf das Kind.
Zudem können vielen verschiedene Beruhigungsversuche zu einer weiteren
Überreizung des Kindes führen: Es entsteht ein Teufelskreis und die
Beziehung zwischen Säugling und Bezugsperson ist zunehmend gestört.
Deshalb sollten sich Eltern, die vom Schreien ihres Kindes stark
verunsichert sind, sich erschöpft fühlen und in Folge dessen ihrem Kind
gegenüber negative Gefühle empfinden, frühzeitig professionelle Hilfe
suchen. Hierfür stehen die kinderärztlichen Praxen, die sogenannten
Schreiambulanzen oder die Familien- und Erziehungsberatungsstellen zur
Verfügung. Die Stadt Dresden selbst unterhält die
(Schrei-)Babysprechstunde; am Universitätsklinikum sind beispielsweise das
FamilieNetz in der Nachsorge und das Sozialpädiatrische Zentrum der Klinik
und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin oder die Mutter-Kind-Ambulanz
der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik zuständig.

Weiterführende Informationen

Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung informiert auf seinen Internetseiten
weiterführend über die Ursachen des Baby-Schreiens, gibt Tipps für
einfache Hilfen und bietet Unterstützung bei der Suche nach wohnortnahen
Schreiambulanzen an:

       https://www.elternsein.info/schreien/baby-schreit-viel/
       https://www.elternsein.info/schuetteln/gefahr-schuetteln

https://www.elternsein.info/fileadmin/user_upload/elternsein.info/pdf
/NZFH-Schuetteltrauma-Flyer.pdf

       https://www.elternsein.info/suche-schreiambulanzen

Kontakt für Eltern

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
FamilieNetz in der Nachsorge
Tel.: 0351 458 10421
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
www.ukdd.de/kik/familienetz