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Studie untersucht die Erreichbarkeit von Gedächtnisambulanzen in Bayern

Um eine Demenz frühzeitig zu diagnostizieren, sind Gedächtnisambulanzen
von zentraler Bedeutung. Diese hochspezialisierten Einrichtungen
ermöglichen eine Diagnostik nach den aktuellen medizinischen Standards.
Ein interdisziplinäres Forschungsteam der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU) hat nun die Erreichbarkeit von
Gedächtnisambulanzen in Bayern und damit die Fahrtdauer untersucht, um vom
Wohnort zur nächstgelegenen Gedächtnisambulanz zu gelangen. Menschen mit
leichten kognitiven Beeinträchtigungen sowie Menschen mit Demenz, die
speziell in ländlichen Gemeinden leben, müssen deutlich längere
Fahrtzeiten auf sich nehmen als Menschen aus städtischen Gebieten. Dies
berichten die Forschenden des Digitalen Demenzregisters Bayern (digiDEM
Bayern) in der renommierten Fachzeitschrift „Das Gesundheitswesen“.*

Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT), sogenannte
Biomarker oder psychologische Testverfahren: Mit der zunehmenden
Verfeinerung der diagnostischen Möglichkeiten werden Gedächtnisambulanzen
für Menschen mit Gedächtnisbeeinträchtigungen künftig immer wichtiger.
Gedächtnisambulanzen tragen als spezialisierte Einrichtungen maßgeblich zu
einer qualitativ hochwertigen Diagnose und damit zu einer abgesicherten
Abklärung bei, ob eine Demenz vorliegt – oder ob eine andere Erkrankung
für Einbußen bei der Gedächtnisleistung verantwortlich ist. So können zum
Beispiel Depressionen, Stoffwechselstörungen und
Schilddrüsenunterfunktionen zu einem Rückgang der kognitiven
Leistungsfähigkeit führen.

Demenzen häufig nicht oder viel zu spät diagnostiziert

Diese Abklärung ist gerade dann wichtig, wenn es um die zeitgerechte
Diagnostik von demenziellen Erkrankungen geht. „Demenzerkrankungen werden
häufig überhaupt nicht oder erst viel zu spät und in weit
fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert“, erläutert Jana Rühl,
Erstautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei digiDEM
Bayern. Je früher aber eine Demenz erkannt wird, desto früher können die
damit einhergehenden Symptome wie beispielsweise Unruhe, Angst oder
Teilnahmslosigkeit, entsprechend behandelt werden „Außerdem steht An- und
Zugehörigen mehr Zeit zur Verfügung, um sich auf die Erkrankung
einzustellen und die künftige Versorgung zu planen“, sagt Jana Rühl.

Strategische Schlüsselfunktion der Gedächtnisambulanzen

Gedächtnisambulanzen kommt zudem eine strategische Schlüsselfunktion zu.
Nur sie können jene Patientinnen und Patienten identifizieren, die für die
Therapien mit neuen Anti-Alzheimer-Medikamenten geeignet sind. Dazu
gehören Betroffene, bei denen gleichzeitig eine sogenannte leichte
Gedächtnisbeeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) und eine

diagnostisch nachgewiesene sogenannte Alzheimer-Pathologie vorliegt. In
Bayern ist auf der Grundlage von internationalen epidemiologischen Studien
und den aktuellen Bevölkerungsdaten von rund 313.000 Patientinnen und
Patienten mit MCI und gleichzeitig einer Alzheimer-Pathologie auszugehen.

Längere Fahrtzeiten in ländlichen Räumen

Welche entscheidende Rolle deshalb die Erreichbarkeit der in Bayern
bestehenden Gedächtnisambulanzen spielt, unterstreichen die
Studienergebnisse. Nur fünf der insgesamt 29 Gedächtnisambulanzen in
Bayern befinden sich in den ländlichen Regionen. Zwischen städtischen und
ländlichen Räumen zeigten sich also große Unterschiede. „In ländlichen
Räumen müssen Betroffene häufig weite Wege zurücklegen“, erklärt die
Humangeographin Jana Rühl. „Die Hälfte der Menschen mit Demenz, die im
ländlichen Bereich leben, muss fast 40 Minuten fahren.“

„Für betagte und hochbetagte Menschen können 40 Minuten eine große
Beschwernis bedeuten, wobei die Rückfahrt noch gar nicht eingerechnet
ist“, sagt der Neurologe Prof. Dr. Peter Kolominsky-Rabas, Co-Autor und
digiDEM Bayern-Projektleiter. „Mehr als ein Viertel – was rund 27.500
Menschen entspricht – müssen sogar mehr als 40 Minuten Fahrtzeit zur
nächsten Gedächtnisambulanz in Kauf nehmen“, weiß Jana Rühl. Anders
hingegen die Hälfte der Betroffenen, die in städtischen Räumen leben. Sie
können die nächste Gedächtnisambulanz in unter 20 Minuten erreichen.

Dringender Handlungsbedarf

Dieses Missverhältnis gilt den Forschenden zufolge besonders für
bayerische Gemeinden nahe der tschechischen und österreichischen Grenze.
„Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Betroffene haben nicht nur
besonders weite Wege zur nächsten Gedächtnisambulanz zurückzulegen.
Zukünftig werden diese Gemeinden verstärkt von Überalterung betroffen
sein. Dies bedeutet, dass mit mehr Demenzpatientinnen und Demenzpatienten
und mit einem Mehr an Demenzdiagnostik zu rechnen ist“, erläutert Prof.
Dr. Peter Kolominsky-Rabas.

Die Analysen der Reisezeiten beruhen dabei auf geschätzt 234.032 Menschen
mit Demenz, die zum Stichtag 31.12.2020 in Bayern lebten. Dies entspricht
einem Anteil von 8,6 Prozent an den über 65-jährigen Bayerinnen und
Bayern.

In der Studie kommt das Forschungsteam um Jana Rühl aber auch zu dem
Schluss: Der Großteil der Menschen mit Demenz in Bayern erreicht die
jeweils nächstgelegene Gedächtnisambulanz im Durchschnitt in unter 40
Minuten Fahrtzeit.

Wie Fahrtzeiten reduziert werden könnten

Im Rahmen der Publikation simulierte die Autorengruppe ergänzend
verschiedene Szenarien für die Oberpfalz mit einem oder mehreren
zusätzlichen Standorten für eine Gedächtnisambulanz. Prof. Dr. Peter
Kolominsky-Rabas kommt zum dem Schluss: „Der gezielte Ausbau von
Gedächtnisambulanzen in Gebieten, die lange Fahrtzeiten erfordern, wäre
sinnvoll. Als Innovation ist auch eine auf die Menschen zugehende
Diagnostik in Form mobiler Diagnostikangebote denkbar.“

Der Neurologe betont: „Ähnlich wie dem in Bayern bereits etablierten
Mammo-Mobil könnte ein ‚digiDEM Bayern Diagnostik-Mobil‘ die Abklärung vor
Ort wohnortnah ermöglichen und damit den Zugang zur Diagnostik
niederschwellig und zeitsparend gestalten.“

Direkt zur Studie:
* https://www.thieme-
connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-2233-6168