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Erfolgreiche Auswilderung von Kulanen ist ein Meilenstein für Wiederherstellung des Steppenökosystems in Kasachstan

Kulane werden in die Freiheit entlassen  Quelle: ADCI  Copyright: Altyn Dala Conservation Initiative
Kulane werden in die Freiheit entlassen Quelle: ADCI Copyright: Altyn Dala Conservation Initiative
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Ein internationales Konsortium aus Forschungs- und
Naturschutzorganisationen entließ im August 2025 eine Gruppe von Kulanen –
stark gefährdeten asiatischen Wildeseln – aus dem Wiederansiedlungszentrum
„Alibi“ in die weiten Landschaften des Altyn-Dala-Reservats in Kasachstan.
Die Wildesel verbachten zuvor ein Jahr in einem Akklimatisierungsgehege
und tragen nun zur Renaturierung und zum Erhalt wertvoller Steppen-
Ökosysteme bei.

Mehrere Kulane tragen GPS-Halsbänder und solarbetriebene
GPS-Ohrmarken, die Einblicke in ihre Bewegungen in der Steppe liefern.

Kulane (Equus hemionus kulan) durchstreiften einst in großer Zahl die
Torgai-Steppe in Kasachstan, eine weitläufige Landschaft im Herzen der
zentralasiatischen Graslandökosysteme. Unter menschlichem Einfluss
verschwanden die charismatischen Säugetiere vor mehr als einem Jahrhundert
aus diesem Gebiet. Seit 2017 arbeitet die Altyn Dala Conservation
Initiative in einem internationalen Konsortium aus Wissenschafts- und
Naturschutzorganisationen daran, diese stark bedrohte Schlüsseltierart aus
anderen Teilen Kasachstans, wo sie heute in geringer Zahl wieder vorkommt,
zurückzubringen. Durch jährliche Umsiedlungen innerhalb Kasachstans wurde
nach und nach eine Kulan-Population zur Wiederansiedlung in der Torgai-
Steppe aufgebaut. Örtliche Ranger dokumentieren seit einigen Jahren
wiederholt Fohlengeburten – ein klares Zeichen für die Anpassungsfähigkeit
der Kulane und für das Potenzial für eine langfristige Erholung des
Bestandes.
Das Altyn-Dala-Reservat in der Region Kostanay wurde aufgrund seines
ausgedehnten, unbewohnten Steppenlebensraums und seiner bestehenden
Naturschutzinfrastruktur für die Wiederansiedlung ausgewählt. Es eignet
sich ideal für die Wiederherstellung der einheimischen Fauna
Zentralkasachstans.

Ein Jahr im Wiederansiedlungszentrum

Nach der Umsiedlung im vergangenen Jahr verbrachten die Kulane ein volles
Jahr unter ständiger fachkundiger Betreuung im Wiederansiedlungszentrum
„Alibi“ und passten sich in dieser Zeit gut an ihre neue Umgebung an. Sie
bildeten eine enge Gruppe ohne aggressives Verhalten oder soziale
Probleme, was für diese Tierart nicht selbstverständlich ist.
Beobachtungen im Winter zeigten, dass sie natürliches Grasen gegenüber Heu
bevorzugten und mit ihren Hufen den Schnee durchwühlten, um an das Gras zu
gelangen. Bei starkem Schneefall waren jedoch zusätzliche Fütterungen und
gelegentliche tierärztliche Eingriffe erforderlich. Diese erfolgreiche
Akklimatisierungsphase im neuen Lebensraum stellte sicher, dass die Tiere
bei guter Gesundheit und gut vorbereitet für das Leben außerhalb des
Geheges waren.

Wenig Stress, viele Erkenntnisse: Neue Methoden und Technologien beim GPS-
Tracking

Um ein langfristiges Monitoring der Gruppe zu ermöglichen, wurden sechs
Kulane mit Ortungsgeräten ausgestattet. Das Team setzte sowohl klassische
GPS-Halsbänder als auch neue solarbetriebene Ohrmarken ein – diese
Ohrmarken wurden zum ersten Mal bei Kulanen eingesetzt. Die Besenderungen
begannen im April dieses Jahres, als drei Kulane mit einer neuen Methode
im Akklimatisierungsgehege gefangen wurden. Normalerweise werden diese
intelligenten, sensiblen und schnellen Wildesel von einem fahrenden
Fahrzeug aus per Betäubungsgewehr immobilisiert. Um den Stress für die
Tiere zu reduzieren, gingen das tierärztliche Team und die Ranger dieses
Mal anders vor: Sie trainierten die Tiere mit strategisch platzierten
Wasserstellen, um sie aus einer entspannten Situation heraus mit hoher
Präzision und minimalem Stress von einem Versteck neben der Wasserstelle
aus zu betäuben. Mit dieser neuen, bisher noch nie dokumentierten Methode
gelang es, drei Jungtiere mit Ohrmarken und drei erwachsene Stuten sowohl
mit GPS-Halsbändern als auch mit Ohrmarken zu versehen.

„Kulane sind sehr wachsame und intelligente Tiere. Wir haben fast zwei
Wochen lang versucht, sie tagsüber zu fangen, wenn sie zum Trinken kamen,
aber sie bemerkten schnell, wenn etwas von ihrer gewohnten Routine abwich,
hielten sich tagsüber von der Wasserstelle fern und kamen nur noch nachts
zum Trinken, wie unsere Kamerafallen zeigten“, sagt Julia Bohner,
Wildtierärztin vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung
(Leibniz-IZW), die die veterinärmedizinischen Maßnahmen des Einsatzes
leitete. „Deshalb änderten wir unsere Taktik, passten unser Verhalten an
die Kulane an und arbeiteten ebenfalls nur noch nachts, als die Kulane
keine Menschen an der Wasserstelle erwarteten. Zur Immobilisierung
verwendeten wir ein Etorphin-freies Anästhesieprotokoll, das nur
geringfügige Nebenwirkungen auf das Atmungssystem hat, eine weniger starke
Fluchtreaktion auslöst und dadurch besonders gut für diese nächtlichen
Fangaktionen geeignet ist. Diese Vorgehensweise ermöglichte es uns, die
Tiere mit Hilfe von Nachtsichtgeräten innerhalb kurzer Zeit und meist in
nicht allzu weiter Entfernung der Wasserstelle zu finden.“
Das Einfangen der Kulane und das Anbringen der Sender unter diesen
Bedingungen in der Dunkelheit der Steppe waren nur durch die bis in
kleinste Detail abgestimmte Arbeit eines großen Teams möglich, in dem alle
koordiniert Hand in Hand arbeiteten – Transport der Ausrüstung, Entnahme
von Proben, Überwachung der Narkose, Anbringen der Halsbänder und zu guter
Letzt das Markieren der Tiere. Dank der neuen Routine verliefen alle
Narkosen reibungslos und die Vitalparameter während der Anästhesie waren
ausgezeichnet. Während der Erholungsphase nach der Betäubung standen die
Kulane ohne Schwierigkeiten, ruhig und entspannt wieder auf und konnten
sich fast sofort wieder der Gruppe anschließen. Das Team war mit dem
Ergebnis der Einsätze sehr zufrieden und ist zuversichtlich, diesen Ansatz
auch in Zukunft anzuwenden.

Die neu eingesetzten, leichten GPS-Ohrmarken sind so konzipiert, dass sie
die Tiere möglichst wenig stören. Sie werden mit Solarbatterien betrieben,
die eine Lebensdauer von bis zu fünf Jahren haben sollen. Vor der
Freilassung wurden die Tiere drei Monate lang sorgfältig überwacht, um
sicherzustellen, dass sie die Sender sie nicht beeinträchtigten.

Kulane erkunden die Steppe

Die Ortungsdaten zeigen bereits das charakteristische Wanderverhalten der
Kulane: Einige Tiere zogen nach Nordwesten, um Seen und Feuchtgebiete zu
erkunden, bevor sie auf dem gleichen Weg nach Süden zurückkehrten. Andere
bewegen sich mit durchschnittlich 26 km pro Tag auf neu geschaffenen
Pfaden nach Südosten. Diese Daten sind von großer Bedeutung – die Art und
Weise, wie diese Tierart neue Gebiete erkundet und Territorien auswählt,
wird das Vorkommen zukünftiger Generationen von Kulanen in der Steppe
prägen.
„Die Bewegungsdaten zeigen, dass sich verschiedene Kulan-Gruppen bereits
in denselben Gebieten begegnen. Wir hoffen, dass sich diese GPS-Signale in
Zukunft regelmäßig treffen und miteinander verflechten“, sagt Albert
Salemgareyev, Leiter des Wild Ungulate Reintroduction Centre der
Association for the Conservation of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK).
„Diese Kulane sind Pioniere einer zukünftigen Population und ebnen
buchstäblich den Weg, dem andere folgen werden. Das riesige neue Gebiet
kann anfangs verwirrend sein, und Kulane gedeihen am besten, wenn sie in
Gruppen leben und sich in Gruppen fortbewegen.“ In den kommenden Jahren
plant das Team, etwa 100 Kulane in die Region zu bringen. Mit mehr Tieren
in der Steppe werden sie sich leichter finden, neue zusammenhängende
Gruppen bilden und ihre Überlebenschancen verbessern, wodurch eine
nachhaltige und florierende zukünftige Population entsteht.

Pioniere einer zukünftigen Population und Erkenntnisse für zukünftige
Umsiedlungen

Die im August 2025 ausgewilderte Gruppe ist die erste, die eine über
50-stündige Umsiedlung auf dem Landweg vom Altyn-Emel-Nationalpark nach
Zentralkasachstan durchlaufen hat. Frühere Gruppen wurden auf dem Luftweg
transportiert – eine schnellere Methode, die jedoch die Anzahl der Tiere
pro Transfer stark einschränkt. Die neue Transportmethode auf dem Landweg,
wurde über fast ein Jahr hinweg entwickelt. Sie ermöglicht es, größere
Gruppen sicher und effizient zu transportieren. Für den Transport nutzte
das Team speziell angefertigte Transportcontainer, in denen die Tiere
gefüttert, getränkt und per Video überwacht werden können, um ihr
Wohlergehen während der 2.139 Kilometer langen Reise zu gewährleisten.
Jede Umsiedlung und Auswilderung liefert wertvolle Erkenntnisse und
Erfahrungen: Das Ziel des Teams ist es, alle Prozesse im Sinne der Tiere
laufend zu optimieren. In diesem Jahr werden die Kulane nach ihrer Ankunft
zunächst eine erste Akklimatisierungsphase in einem kleineren, 60 × 80
Meter großen Gehege verbringen. Hier können sie mit Futter und Wasser
versorgt, genau beobachtet, bei Bedarf gegen Parasiten behandelt und mit
Vitaminen zugefüttert werden. Diese Einrichtung gewährleistet eine
schnelle Erholung nach der langen Reise, bevor sie in größere
Akklimatisierungsgehege gebracht werden.
„Die Rückkehr der Kulane und Wildpferde ist mehr als eine Wiederansiedlung
– sie ist die Wiederbelebung des natürlichen Gefüges der Torgai-Steppe.
Diese Arten sind der Schlüssel zur Wiederherstellung des Gleichgewichts
dieses einzigartigen Ökosystems. Diese Leistung ist nur dank des
Engagements und der Partnerschaft vieler Organisationen möglich, die sich
gemeinsam für die Zukunft der wilden Landschaften Kasachstans einsetzen“,
sagt Stephanie Ward, Programmleiterin Kasachstan bei der Zoologischen
Gesellschaft Frankfurt (ZGF).

Über die Partnerschaft

Das Programm zur Wiederansiedlung der Kulane wird im Rahmen der Altyn Dala
Conservation Initiative umgesetzt – einer Partnerschaft zwischen dem
Forestry and Wildlife Committee des Ministry of Ecology, Geology and
Natural Resources der Republik Kasachstan, der Association for the
Conservation of Biodiversity of Kazakhstan (ACBK), der Zoologischen
Gesellschaft Frankfurt (ZGF), der Royal Society for the Protection of
Birds (RSPB) und Fauna & Flora. Die veterinärmedizinische Leitung der
Einsätze liegt beim Leibniz-IZW, weitere Unterstützung erhält das Projekt
vom Tiergarten Nürnberg und dem südafrikanischen Wildtiertransport-
Spezialisten Conservation Solutions.