Vorsicht bei Schmerzmitteln bei täglich auftretenden, andauernden Kopfschmerzen nach COVID-19
Wie auch Viren der Herpes-Familie kann SARS-CoV-2 die Entstehung von
täglich auftretenden, andauernden Kopfschmerzen („new daily persistent
headache“/NDPH) triggern. Da normale Schmerzmedikamente bei COVID-19
assoziierten Kopfschmerzen allgemein gut wirken, besteht die Gefahr, dass
Betroffene sie über Wochen und Monate täglich einnehmen. Davor warnen DGN-
Experten, denn die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln kann wiederum
Kopfschmerzen auslösen und zu einer Chronifizierung führen.
Kopfschmerzen sind ein häufiges Begleitsymptom von systemischen
Viruserkrankungen. Die IHS-Klassifikation (ICHD-3) [1] hat diesen
Kopfschmerztyp als Subtyp von sekundären Kopfschmerzen (solche, die in
Folge anderer Erkrankungen entstehen) aufgenommen. Man spricht von
„Kopfschmerz in Folge einer systemischen Virusinfektion“, wenn – wie der
Name schon sagt – eine systemische Viruserkrankung vorliegt und außerdem
eine Hirnhautentzündung (Meningitis) sowie Entzündung des Gehirns
(Enzephalitis) ausgeschlossen wurden.
Auch Kopfschmerzen, die bei einer akuten COVID-19-Erkrankung auftreten,
zählen zu diesem Krankheitsbild – allerdings gibt es eine Besonderheit:
Meistens entwickeln sich Kopfschmerzen in Folge einer viralen Infektion
parallel zur Virusinfektion: Verschlechtert sich der klinische Status der
Betroffenen, beispielsweise zu Beginn eines grippalen Infekts, nehmen die
Kopfschmerzen zu und im Verlauf des Genesungsprozesses gehen die
Kopfschmerzen dann wieder zurück. Wer den Infekt überstanden hat, ist in
der Regel frei von Kopfschmerzen. Nicht so bei Kopfschmerzen, die im
Zusammenhang mit einer akuten COVID-19-Erkrankung auftreten. Wie ein
Review in einer Fachzeitschrift der Amerikanischen Kopfschmerzgesellschaft
berichtete [2], persistieren die Kopfschmerzen bei bis zu 45% der Menschen
auch nach der COVID-19-Akuterkrankung. 60 Tage nach der akuten
Viruserkrankung, litten immerhin noch 16,5% an den Kopfschmerzen, nach 90
Tagen noch 10,6% und nach einem halben Jahr 8,4% - so das Ergebnis eines
systematischen Reviews, das in der Arbeit zitiert wird. „Angesichts der
hohen Infektionszahlen und mittlerweile über 30 Mio. Menschen in
Deutschland, die sich bisher mit SARS-CoV-2 infiziert haben, ist die
absolute Zahl der Menschen, deren Leben durch Kopfschmerzen in Folge von
COVID-19 längerfristig beeinträchtigt ist, sehr hoch“, erklärt Prof. Hans-
Christoph Diener, Pressesprecher der DGN.
Hinzu kommt, dass auch der individuelle Leidensdruck enorm ist. Die
Autorinnen und Autoren des Reviews führen u.a. eine Arbeit an, die zeigte,
dass 61% derer, die von „Long-/oder Post-COVID-Kopfschmerzen“ betroffen
sind, täglich Kopfschmerzen haben. „Offensichtlich ist SARS-CoV-2 ein
Trigger für sogenannte neue täglich auftretende, andauernde Kopfschmerzen
(„new daily persistent headache“/NDPH), ein Phänomen, das wir bisher vor
allem von Viren der Herpes-Familie kennen“, erklärt der Essener
Kopfschmerzexperte. Risikofaktoren für NDPH in Folge einer
COVID-19-Erkrankung scheinen weibliches Geschlecht, Kopfschmerzen als
ersten COVID-19-Symptom, ein eher schlechtes Ansprechen auf die
Schmerzmedikation und vorbestehende Kopfschmerzkrankheiten zu sein.
Wer allerdings daraus schließt, dass COVID-19 vorbestehende
Kopfschmerzerkrankungen aggraviert, aber nicht neu auslöst, liegt falsch:
In verschiedenen Studien gaben 47-80% der Patientinnen und Patienten mit
vorbestehenden Kopfschmerzerkrankungen an, dass sich die
COVID-19-assoziierten Kopfschmerzen von den bisherigen unterschieden. Sie
waren häufig beidseitig (während Migräne typischerweise nur einseitige
Schmerzen verursacht) und dumpf-drückend, also ähnlich wie
Spannungskopfschmerzen, aber bei einem Teil der Betroffenen waren sie auch
von einer Geräusch- oder Lichtempfindlichkeit oder Übelkeit und Erbrechen
begleitet, was man ansonsten nur von der Migräne kennt.
Eine gewisse Herausforderung stellt die Therapie dar. Zwar wirken
herkömmliche, frei verkäufliche Kopfschmerzmittel relativ gut bei
COVID-19-assoziierten Kopfschmerzen, zumindest wurde das für die Akutphase
der Viruserkrankungen beschrieben, sie sind aber aus zwei Gründen
problematisch: Zum einen ist bekannt, dass SARS-CoV-2 auch direkt die
Nieren angreift, weshalb man zumindest mit der Substanzklasse der
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), zu ihr gehört z.B. Ibuprofen,
vorsichtig sein sollte, da diese Präparate bei längerer Einnahme in
seltenen Fällen die Nieren schädigen können. Die zweite Gefahr ist, dass
bei täglichen Kopfschmerzen über einen längeren Zeitraum, so wie sie bei
vielen Long-/Post-COVID-Betroffenen auftreten, die tägliche Einnahme von
Schmerztabletten zur Normalität wird. Doch was viele nicht wissen:
Kopfschmerztabletten können, wenn sie zu häufig eingenommen werden,
Kopfschmerzen auslösen – und so entsteht ein Teufelskreis, der zur
Chronifizierung führt. Von einem „Medication Overuse Headache“/MOH ist
bereits auszugehen, wenn an über 15 Tagen pro Monat Kopfschmerzen
auftreten und diese über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten mit
einem oder mehreren Schmerzmedikamenten behandelt werden [3].
„Menschen mit Wochen oder gar Monate andauernden Kopfschmerzen nach einer
COVID-19-Erkrankung sollten daher sparsam mit Kopfschmerztabletten
umgehen, um nicht in das ‚Hamsterrad´ des medikamenteninduzierten
Kopfschmerzes zu geraten“, rät Professor Peter Berlit, DGN-
Generalsekretär. „Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber es
lohnt ich in jedem Fall, auch nichtmedikamentöse Strategien
auszuprobieren. Das Portfolio reicht von Bewegung an der frischen Luft
über Entspannungstechniken und Stressreduktion. In schweren Fällen sollte
eine auf Kopfschmerzen spezialisierte Neurologin/spezialisierter Neurologe
aufgesucht werden.“
Literatur
[1] https://ichd-3.org/9-headache-
attributed-to-systemic-infecti
viral-infection
[2] Sampaio Rocha-Filho PA. Headache associated with COVID-19:
Epidemiology, characteristics, pathophysiology, and management. Headache.
2022 Jun;62(6):650-656. doi: 10.1111/head.14319. Epub 2022 May 11. PMID:
35545780.
[3] Diener H.-C., Kropp P. et al., Kopfschmerz bei Übergebrauch von
Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH),
S1-Leitlinie, 2022; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.),
Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online:
www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 26.07.2022)