Unstatistik des Monats: „Mega“-Studie zum Maskentragen hat viele Mängel
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat auf Twitter auf eine Meta-
Studie zum Maskentragen verwiesen, die bei näherer Betrachtung viele
Mängel hat. Unter anderem beruhen die Zahlen auf kaum vergleichbaren
Studien.
Am 31. Juli 2022 setzte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
folgenden Twitter-Beitrag ab: „Für alle, die noch immer im Unklaren sind,
ob Masken gegen COVID schützen: hier eine neue amerikanische Mega-Studie,
die über 1.700 Studien auswertet. Der Nutzen der Masken ist sehr groß,
unumstritten und gilt für viele Bereiche.“ Der Tweet verweist auf einen
Preprint (eine noch nicht im Peer-Review begutachtete Studie) von sechs
amerikanischen Wissenschaftlern mit dem Titel „The Efficacy of Facemasks
in the Prevention of COVID-19: A Systematic Review“. Die Twitter-Meldung
wurde insbesondere in den Sozialen Medien intensiv diskutiert. Dass es
sich hier um eine „Meta“- und nicht um eine „Mega“-Studie handelt, macht
diese Meldung noch nicht zu einer Unstatistik – dieser Fehler ist
wahrscheinlich das Ergebnis einer Autokorrektur. Ein gröberer Fehler ist
jedoch die Aussage, dass die Studie über 1.700 Studien ausgewertet hätte.
Denn bereits in der Zusammenfassung zu Beginn des Artikels weisen die
Autoren darauf hin, dass in ihre Analyse lediglich 13 Studien eingehen.
Aber auch das ist noch keine Unstatistik wert. Die Unstatistik liegt
vielmehr in der Meta-Studie selbst.
Was macht eine solche Meta-Studie? Ausgangspunkt ist eine konkrete
wissenschaftliche Fragestellung, hier: Schützen Gesichtsmasken vor einer
Ansteckung mit COVID-19? Dann sucht man mit Hilfe von Stichworten (in der
Studie bspw. „masks“, „facemask“, „face covering“ sowie „COVID-19“ und
„“Coronovirus infections“) in verschiedenen wissenschaftlichen Datenbanken
(z.B. Pubmed, The Cochrane Library) nach einschlägigen empirischen
Studien. Mit dieser Vorgehensweise fanden die Autoren insgesamt 2.730
Treffer. Nach Bereinigung von Duplikaten blieben die vom
Gesundheitsminister zitierten 1.732 Studien übrig. Diese Studien wurden
dann von den Autoren nach bestimmten Kriterien gesichtet. Es verblieben 61
Studien, von denen nur 13 Studien in die Meta-Analyse eingingen. Und hier
liegt das erste Problem dieser Meta-Studie: die Autoren verlieren kein
Wort über die von Ihnen angelegten Kriterien für die Auswahl der Studien,
die für die Reduktion von über 1.700 auf 61 Studien verantwortlich waren.
Und warum nur 13 von 61 Studien, die die Kriterien erfüllen, in die
Analyse eingehen, bleibt ebenfalls ein Rätsel. Die Auswahl der in einer
solchen Analyse berücksichtigten wissenschaftlichen Studien ist aber der
entscheidende Schritt, über den vollkommene Transparenz herrschen sollte,
da dieser Schritt die Ergebnisse bereits festlegt.
Die Zahlen beruhen auf kaum vergleichbaren Studien
Doch damit nicht genug. Die Studie erfüllt auch nicht die meisten anderen
der sog. AMSTAR-Kriterien für Meta-Analysen, wie etwa die Bewertung der
wissenschaftlichen Qualität der Studien und deren Berücksichtigung bei den
Schlussfolgerungen. Die Autoren haben einfach 243 Covid-19 Fälle unter
allen 1539 Teilnehmern der 13 Studien gezählt (alle aus dem Jahre 2020),
wovon 97 der Infizierten Masken und 146 keine Masken trugen. Dann haben
sie die Zahl 97 durch 1238 (die Gesamtzahl der Personen mit Masken)
geteilt, was 7,8 Prozent ergibt. Bei Personen ohne Masken war der Anteil
an Infizierten dagegen 52 Prozent. (Wir haben diese Zahlen leicht
korrigiert, da sie in der Meta-Analyse widersprüchlich waren.)
Das Problem mit diesen Zahlen ist, dass diese auf kaum vergleichbaren
Studien beruhen. Die 13 Studien bestehen aus randomisierten Experimenten,
aber auch Befragungen und Fallstudien, wobei die jeweiligen
Studienteilnehmer häufig alles andere als repräsentativ für die jeweilige
Bevölkerung sind. In der Analyse erhalten alle diese Studien dasselbe
Gewicht. Aber sollte nicht beispielsweise eine Studie mit einer
repräsentativen Stichprobe und kontrolliertem Maskentragen ein höheres
Gewicht erhalten als eine Studie, in der nur Pflegekräfte in
Krankenhäusern berücksichtigt werden und lediglich gefragt wurde, ob
Masken getragen wurden?
Wirksamkeit des Maskentragens lässt sich nicht pauschal messen
Man kann die Wirksamkeit von Maskentragen auch nicht pauschal messen. Die
Autoren der Meta-Studie berichten selbst, dass das Tragen von Masken in
Kliniken die Gefahr sich zu infizieren von 33 auf 8 Prozent reduziert,
außerhalb von Kliniken jedoch von 83 auf 6 Prozent. Dabei wird nicht
gesagt, auf welchen Zeitraum sich die Reduktion bezieht und auf welche
Bedingungen die Ausgangsrisiken gemessen wurden.
Es gibt bessere Meta-Analysen, zum Beispiel von Kim und Kollegen, welche
die unterschiedliche Wirksamkeit verschiedener Masken in
Gesundheitseinrichtungen aufzeigen und auch die Notwendigkeit weiterer
randomisierter Studien mit Menschen aus der Allgemeinbevölkerung
unterstreichen. Eine solche randomisierte Studie mit 342.000 Teilnehmern
in Bangladesh berichtete etwa, dass ein Anstieg des Maskentragens von 13
auf 42 Prozent mit einer Reduktion von Covid-Erkrankungen innerhalb von
neun Wochen von 8,6 auf 7,6 Prozent einher ging. Wie bei Impfungen,
beträgt die Wirksamkeit nicht 100 Prozent, sondern sie hängt von vielen
Faktoren ab. Die aktuellsten Meta-Studien finden sich in dem seit 2020
immer wieder auf den neuesten Stand gebrachten „Living Rapid Review“. Er
zeigt derzeit, dass das korrekte Tragen von Masken die Wahrscheinlichkeit,
sich im Alltag mit Corona zu infizieren, etwas reduziert und insbesondere
andere schützt.
Es ist verständlich, dass ein Gesundheitsminister nicht die Zeit hat, die
Vielzahl der Studien gründlich zu lesen. Aber er sollte eigentlich Hilfe
erhalten. Sich auf einen schlecht gemachten Preprint zu berufen, kann
seinem Anliegen mehr schaden als es nutzt.
----------
Ihre Ansprechpartner/in dazu:
Prof. Dr. Gerd Gigerenzer Tel.: (030) 805 88 519
Prof. Dr. Thomas K. Bauer (RWI) Tel.: (0201) 8149-264
Sabine Weiler (Kommunikation RWI) Tel.: (0201) 8149-213
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd
Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-
Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden
Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen.
Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und
unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina
Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich
für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta
ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.
Neu erschienen: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über
Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch
(ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro.
Bei Weiterverbreitung von Texten aus der Reihe "Unstatistik des Monats"
muss klar erkennbar sein, dass es sich um die Übernahme eines fremden
Textes handelt. Zudem ist die Quelle https://www.unstatistik.de zu nennen.
Bitte informieren Sie die Pressestelle des RWI über die Verwendung des
Textes unter