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Welttag Diabetes: „Immer mehr Kinder und Jugendliche erhalten die Diagnose Diabetes“

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An der Universität Leipzig wird seit Jahren zu einer bedeutenden
Begleiterscheinung von Diabetes geforscht: der Adipositas. Die Biologin
Dr. Kathrin Landgraf untersucht im SFB 1052 „ObesityMechanisms“ mit
anderen Wissenschaftler:innen verschiedener Fachdisziplinen Ursachen,
Präventions- und Therapieansätze dieser Erkrankung. Ihr Kollege Dr. Robert
Stein forscht verstärkt an klinischen Ansätzen, insbesondere bei Kindern
und Jugendlichen. Die beiden berichten im Interview anlässlich des
Welttags Diabetes am 14.November über ihre Forschungen im Team von Prof.
Dr. Antje Körner im pädiatrischen Forschungszentrum der
Universitätsmedizin Leipzig.

Warum erkranken manche Kinder und Erwachsene an Diabetes und andere nicht?

Dr. Kathrin Landgraf: Warum manche Menschen eher zu Diabetes neigen als
andere, ist in der Wissenschaft noch nicht genügend verstanden. Diabetes
ist ein sehr komplexes Gefüge, viele Faktoren spielen da zusammen. Zum
einen wissen wir, dass die Umwelt eine große Rolle bei der Entstehung von
Diabetes spielt. Zum anderen ist eine genetische Veranlagung vorhanden.
Eine Hauptfragestellung, die wir im Labor beantworten wollen, ist,
herauszufinden, was die Faktoren sind, die eine Entstehung von Diabetes
begünstigen. Wir fokussieren uns in unserer Forschung speziell auf Kinder,
da frühe Anzeichen einer Insulinresistenz oder Störung im
Glukosestoffwechsel schon bei Kindern zu sehen sind. Darauf zielt ein Teil
unserer Forschungsprojekte im SFB 1052 direkt ab.

Dr. Robert Stein: Mittlerweile sind wir überzeugt, dass es verschiedene
Sub-Typen von Diabetes-Erkrankungen gibt, also weitaus mehr als die
bekannten Formen von Diabetes Typ 1 und Typ 2. Gerade beim Typ 2, an dem
mehr als 90 Prozent der erwachsenen Diabetes-Erkrankten betroffen sind,
aber mittlerweile auch immer mehr Jugendliche, liegt ein komplexes Gefüge
aus Umweltfaktoren und genetischer Veranlagung zugrunde. Beispielsweise
gibt es Unterformen, bei denen eher Übergewicht und Fettverteilung
entscheidend ist und dann gibt es Unterformen, bei denen eher das Alter
eine Rolle spielt. Je nach Ursachentyp verläuft dann auch das
Krankheitsbild unterschiedlich. Hier müssen wir ansetzen, weil es durchaus
Unterschiede in der Prävention und Therapie haben kann.

Diabetes und Adipositas: Wie bedingen sich diese beiden Krankheiten? Ist
die eine ohne die andere überhaupt denkbar?

Dr. Kathrin Landgraf: Adipositas ist natürlich ein sehr großer, wenn nicht
sogar der Hauptrisikofaktor für die Entstehung von Diabetes, zumindest für
den Typ 2. Der Fokus unserer Forschung liegt darauf, die Mechanismen zu
verstehen, die zu Adipositas wie auch assoziierten Erkrankungen wie
Diabetes im Kindesalter beitragen. Dabei sind wird insbesondere an
Prozessen im Fettgewebe interessiert, das heißt an Faktoren, die im
Fettgewebe selbst eine Rolle spielen. Wir untersuchen beispielsweise
genetische Risikofaktoren, wie das Adipositasgen TMEM18, und versuchen zu
verstehen, wie diese Faktoren an der Entstehung von Adipositas beteiligt
sein könnten, also wie dieses Gen im Körper funktioniert.

Dr. Robert Stein: Für den Zusammenhang zwischen Adipositas und Typ 2
Diabetes ist der Hauptmechanismus die Insulinresistenz. Insulin ist ein
wichtiges Hormon, welches den Blutzucker senkt und dafür verantwortlich
ist, dass der dort ankommt, wo wir ihn brauchen: beispielsweise als
Energielieferant im Muskelgewebe. Wenn der Körper aber resistent gegenüber
Insulin wird, bekommen wir ein Problem. Zuerst kann die Bauchspeicheldrüse
das kompensieren, indem sie mehr Insulin produziert, aber irgendwann ist
es auch damit vorbei und der Blutzucker steigt, es entwickelt sich der
manifeste Diabetes. Trotz allem sehen wir auch hier Unterschiede: Viele
Kinder und Jugendliche mit Adipositas haben bereits eine Insulinresistenz,
aber manche eben auch nicht, obwohl sie extremes Übergewicht haben. Wir
müssen in Zukunft besser verstehen, was diese Unterschiede ausmacht und
daran arbeiten wir.

Wie gehen Sie dabei methodisch vor?

Dr. Kathrin Landgraf: Im Sonderforschungsbereich 1052 kombinieren wir
verschiedene Patientenkohorten miteinander, die im Zusammenhang mit
Adipositas, aber auch mit Begleiterscheinungen wie Diabetes stehen. Wir
nutzen zum Beispiel eine klinische Kohorte von Kindern mit und ohne
Übergewicht, von denen wir Fettgewebsproben aus Routine-OPs bekommen.
Diese Kohorte ist einzigartig in Bezug auf die Anzahl der bereits
verfügbaren Proben und wie wir diese Proben im Labor auf funktioneller
Ebene charakterisieren. Untersuchungen in dieser Kohorte haben gezeigt,
dass das Adipositasgen TMEM18 mit bestimmten Fettgewebseigenschaften
zusammenhängt, die eine Entstehung von Typ 2 Diabetes begünstigen. In
Laborexperimenten an Zellkulturen und im Tiermodell ist es uns gelungen,
den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus aufzuklären.

Dr. Robert Stein: Wir haben in Leipzig das Glück, große Stichproben von
Kindern und Jugendlichen mit und ohne Übergewicht wissenschaftlich
untersuchen zu können. Diese Kohorten wurden über viele Jahre
zusammengetragen, beispielsweise über die Adipositas-Sprechstunde der
Kinderklinik und die LIFE Child Studie, aber sie werden auch beständig
weiterentwickelt und in ihrem Verlauf weiterverfolgt. Hierfür kooperieren
wir beispielsweise mit dem Helmholtz-Institut (HI-MAG) in Leipzig. Wir
können dann in diesen Kohorten nach Mustern und Auffälligkeiten suchen,
also nach bestimmten Gruppen, die sich anhand ihrer Daten unterscheiden
von den Gesunden. Dann versuchen wir herauszufinden, was diese
Unterschiede verursacht. Da stehen uns in der Forschung verschiedene
Werkzeuge zur Verfügung, zum Beispiel suchen wir im Blut nach
verschiedenen Biomarker. Wir haben Fettgewebsproben oder auch genetische
Proben, wie von Dr. Landgraf angeführt, die wir untersuchen. Und wir
können soziale und Umweltfaktoren einbeziehen, die uns, meist durch
Befragungen der Teilnehmer, zur Verfügung stehen. So versuchen wir, dass
extrem komplexe Puzzle der Erkrankung zu rekonstruieren.

Wohin geht die Entwicklung bei den Erkrankungen?

Dr. Robert Stein: Leider stellen wir fest, dass immer mehr Kinder und
Jugendliche die Diagnose Diabetes Typ 2 erhalten und dies in vielen
Ländern, weltweit. Diese Erkrankungsform tauchte bisher vorwiegend bei
Erwachsenen auf, die sogenannte Erkrankung des Wohlstandes. Das gibt uns
zu denken. Diabetes Typ 2 tritt bei Kindern meist in der Pubertät auf.
Dies ist eine sensible Phase, weil auch bei den meisten gesunden Kindern
kurzzeitig die Insulinresistenz steigt. Alarmierend ist hierbei, dass
betroffene Kinder und Jugendliche mit Typ 2 Diabetes in der Regel einen
schwereren Verlauf als Erwachsene erleben. Hier müssen wir auf der Hut
sein, und möglichst frühzeitig diejenigen mit dem höchsten Risiko
erkennen.

Wird Diabetes in der Zukunft heilbar sein, wenn die Krankheit besser
verstanden ist?

Dr. Robert Stein: In der Forschung gibt es sehr vielversprechende Ansätze.
Am wichtigsten halte ich die Prävention, insbesondere die Adipositas-
Prävention, denn wir wissen, dass Typ II Diabetes im Kindesalter häufig
noch reversibel ist, wenn man die Adipositas in den Griff bekommt. Wir
brauchen gute Programme, die auch auf gesellschaftlicher Ebene greifen.
Aber jeder Einzelne kann natürlich auch unabhängig davon schon frühzeitig
seinen Beitrag leisten, beispielsweise mit gesunder Ernährung und
ausreichendem Sport. Damit sind auch die kleinen Alltagsaktivitäten
gemeint: Nehme ich lieber die Treppe als den Fahrstuhl, fahre mit dem Rad
zur Arbeit anstelle das Auto zu nehmen. Die Idee, eine Zucker- und
Fettsteuer einzuführen, fände ich auch interessant. Eine komplette Heilung
anzunehmen, ist dennoch sehr optimistisch, denn Adipositas ist eine
chronische Erkrankung. Der Körper sträubt sich gegen eine Gewichtsabnahme,
das macht es auch so schwer, Adipositas dauerhaft zu behandeln. Im Moment
haben wir die Lebensstilinterventionen als Instrument, die zum Teil
Erfolge bringen, aber jedoch nicht immer das Ergebnis, was wir uns
wünschen. In Ausnahmefällen greifen wir auch bei Kindern und Jugendlichen
bereits auf Magen-Verkleinerungen zurück. Es gibt aber auch zum Beispiel
Therapieansätze wie neue Medikamente, die auf das Sättigungsgefühl
einwirken und so eine Gewichtsreduktion begünstigen. Dies ist aktuell
jedoch nur für seltene genetisch-bedingte Adipositas-Formen in Erprobung
und nicht für die Allgemeinheit gedacht. Auch für die Diabetes-Therapie
werden aktuell neue Medikamente entwickelt, welche neben einer besseren
Blutzuckerkontrolle auch das Gewicht günstig beeinflussen können. Das
heißt, wir werden die Erkrankung wahrscheinlich zukünftig nicht heilen,
aber dennoch besser therapieren können.

Dr. Kathrin Landgraf: Ich stimme Dr. Stein zu, ein Schlüssel zur
Regulierung von Adipositas und dem damit verbundenen Risiko für die
Ausbildung von Typ II Diabetes liegt in der Prävention. Darüber hinaus ist
ein Verständnis der physiologischen Mechanismen, welche im Körper während
der Anhäufung von Fettgewebe ablaufen und welche zur Entstehung von
Diabetes beitragen, von entscheidender Bedeutung. Dies könnte zum einen
dazu beitragen, das individuelle Risiko für Adipositas und Diabetes besser
einschätzen zu können und zum anderen zur Entwicklung von neuen
Therapiestrategien beitragen.

Adipositasforschung in Leipzig

Die Mechanismen der Entstehung und Behandlung von Adipositas zu
erforschen, ist seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der universitären
Forschung in Leipzig. Es besteht eine vielfältige Forschungslandschaft,
die sich der Prävention und Behandlung der Erkrankung widmet. Zu den
Themen der Adipositasforschung in Leipzig zählen unter anderem genetische
Assoziationen, Stoffwechselstörungen, Mechanismen der Fettakkumulation,
die Rolle des Gehirns beim Essen und therapeutische Interventionen zum
Gewichtsverlust und -erhalt.

Das Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung
(HI-MAG) ist eine gemeinsame Einrichtung des Helmholtz Zentrums München
mit der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig und dem
Universitätsklinikum Leipzig. Das Institut erforscht die molekularen
Grundlagen krankhafter Fettleibigkeit, um mithilfe eines klinisch-
translationalen Forschungsansatzes präzise Therapien für Adipositas und
deren Folgeerkrankungen zu ermöglichen.

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