Alzheimer-Diagnostik: Ultralange Eiweiss-Fasern geben Hinweise für ein Demenzrisiko
m Verlauf einer Alzheimer-Erkrankung tauchen bestimmte Eiweisse im
Nervenwasser (Liquor) von Betroffenen auf. Empa-Forschende haben nun
gemeinsam mit der Klinik für Neurologie des Kantonsspitals St. Gallen ein
breites Spektrum an Eiweissbausteinen und -fasern im Liquor sichtbar
gemacht. Ihr Fazit: Ultralange feine Eiweiss-Fasern sind ein eindeutiges
Kennzeichen für eine Alzheimer-Demenz. Die kürzlich in «Communications
Biology» publizierte Studie liefert neue Erkenntnisse zur Rolle von
Eiweiss-Anhäufungen bei der Entstehung von Demenzerkrankungen und soll
deren Früherkennung verbessern.
Die Früherkennung und Behandlung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer ist
noch immer eine der grossen Herausforderungen der modernen Medizin. Dass
bestimmte Eiweisse im Nervenwasser (Liquor) zur Diagnose von Alzheimer
herangezogen werden können, ist zwar bereits bekannt. Die derzeitigen
Nachweisverfahren für derartige «Biomarker» mittels biochemischer Tests
können jedoch lediglich die Anwesenheit und Menge der verdächtigen
Eiweisse ermitteln. So lassen sich keine Aussagen über ihre ursprüngliche
Struktur und Form machen.
Derartige Informationen könnten jedoch Rückschlüsse auf das
Krankheitsstadium und die Effizienz von möglichen Behandlungen erlauben.
Ein Team der Empa und der Klinik für Neurologie des Kantonsspitals St.
Gallen hat nun die für Alzheimer aussagekräftigen Proteine mittels
Rasterkraftmikroskopie unter möglichst realitätsnahen Bedingungen sichtbar
gemacht. Die Ergebnisse haben die Forschenden kürzlich im Fachblatt
«Communications Biology» publiziert.
Molekül in natürlicher Gestalt
Mit der neuen Studie ergänzen die Forschenden ihre Einblicke in die
Alzheimer-Entstehung und -Diagnose um ein weiteres Puzzleteil. In einer
früheren Arbeit hatte das Team um Empa-Forscher Peter Nirmalraj vom
«Transport at Nanoscale Interfaces»-Labor in Dübendorf die potenziell
problematischen Eiweissstoffe bereits im Blut in ihrer natürlichen Gestalt
darstellen können. Für diese Arbeit wurde das Team bereits von der «Franco
Regli Foundation» in Bern ausgezeichnet. Nun zeigen die Forschenden die
unverfälschte Gestalt der Proteine detailliert auch direkt im Liquor auf.
Eindrückliche Präzision
Gelingen konnte dies dank einer Technologie, die mit eindrücklicher
Präzision die Welt der Moleküle in ihrem Innersten erkennbar macht: die
Rasterkraftmikroskopie (AFM). In der Grösse an ein herkömmliches
Tischmikroskop erinnernd, ermöglicht die AFM-Technologie indes
morphologische Beobachtungen im Nanometerbereich, ohne dabei die Eiweisse
zu zerstören. Und bei der Analyse von Grösse, Struktur, Form und
räumlichem Aufbau der Protein-Ansammlungen direkt im Liquor konnte das
Team nun eine Verbindung zum Krankheitsstadium erkennen. «Während sich bei
Menschen in einer frühen Phase der Erkrankung lediglich kurze
Eiweissfasern mit rund 100 Nanometern Länge fanden, tauchten in späteren
Krankheitsphasen Fasern mit einer vielfach grösseren Ausdehnung auf, die
mehrere Mikrometer lang werden konnten», sagt Biophysiker Nirmalraj. Bei
gesunden Personen waren hingegen keine oder wenige besonders kurze Fasern
in den Proben enthalten.
Rückenwind für AFM-Technologie
Nach diesen Pilotstudien mit 33 Personen wird das Team jetzt die
Anstrengungen verstärken und die im Labor gesammelten Erkenntnisse mit
Daten von grösseren Patientinnen- und Patientengruppen abgleichen. Zudem
sollen weitere Informationen über die chemischen Eigenschaften der
Eiweisse in verschiedenen Körperflüssigkeiten erforscht werden. Rückenwind
erhielt Empa-Forscher Nirmalraj bereits durch die Unterstützung der
Zürcher Stiftung Synapsis, um die Arbeiten an einem Bluttest für Alzheimer
mit der AFM-Technologie weiter voranzutreiben.
«Die AFM-Technologie hat das Potenzial, die herkömmlichen Biomarker-Tests
zu ergänzen und die Früherkennung von Alzheimer zu verbessern», ist
Nirmalraj überzeugt. Denn während die Biomarker-Tests die Eiweissmengen
angeben, könne die AFM-Technologie Informationen zur Struktur und Form von
Eiweissansammlungen und damit zum Verlauf der Erkrankung angeben. Darüber
hinaus werde man das Krankheitsgeschehen weiter ergründen können, um die
Basis für neue, wirksamere Medikamente zu liefern.