Vom Lifestyle-Gadget zum Diagnoseinstrument? Wearables in der Rheumatologie
Blutdruck, Herzfrequenz, Schrittzahl oder Schlafqualität – kontinuierlich
und in Echtzeit zeichnen Wearables gesundheitsrelevante Daten auf. Die
Informationen, die die kleinen, mit immer besseren Sensoren ausgestatteten
Geräte sammeln, sind längst nicht mehr nur für Fitness-Fans interessant.
Auch in der Medizin wird ihre Bedeutung zunehmend erkannt, und es gibt
erste Ansätze, sie für Prävention, Diagnose und Monitoring zu nutzen.
Welches Potenzial die Wearables speziell bei der Behandlung entzündlich-
rheumatischer Erkrankungen haben, lotet ein Übersichtsbeitrag in der
„Zeitschrift für Rheumatologie“ aus, dem offiziellen Organ der Deutschen
Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh).
Ob als Armband, Brustgurt, oder integriert ins T-Shirt – Wearables werden
ihrem Namen gemäß am Körper getragen und begleiten ihre Besitzer oft rund
um die Uhr, nahezu unbemerkt und ohne ihre Aktivitäten zu beeinflussen.
„Wearables bieten somit die bislang einmalige Möglichkeit, nicht nur
punktuell in der Arztpraxis, sondern kontinuierlich und über einen
längeren Zeitraum hinweg diagnostisch wertvolle Daten zu erheben“, sagt
Dr. med. Martin Krusche, stellvertretender Leiter der Sektion für
Rheumatologie und entzündliche Systemerkrankungen der III. Medizinischen
Klinik und Poliklinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, der den
Übersichtsartikel mit verfasst hat. Denn längst gehen die Funktionen
mancher Wearables weit über die für Freizeitsportler interessante Messung
von Schrittzahl, Puls und zurückgelegter Distanz hinaus. Smartwatches
verschiedener Hersteller registrieren heute auch die Sauerstoffsättigung
des Blutes, die Atemfrequenz und die Schlafqualität. Manche Geräte können
sogar einfache EKGs aufzeichnen, den Blutdruck und die Temperatur messen
sowie Stürze erkennen.
Damit sind verschiedene Anwendungen der kleinen, im Privatbereich bereits
millionenfach genutzten Geräte denkbar. „Die Forschung hierzu, speziell
auf dem Gebiet der Rheumatologie, steht jedoch noch am Anfang“, betont
Krusche. Erste Studien befassten sich haupt-sächlich damit, ob sich die
für Rheuma-Betroffene so wichtige körperliche Aktivität mithilfe von
Wearables steigern lässt. Wie eine Metaanalyse mit insgesamt knapp 1600
Patientinnen und Patienten zeigte, führt allein das Tracken bereits zu
einer Steigerung der täglichen Schrittzahl um 1520, sowie zu 16 Minuten
mehr körperlicher Aktivität pro Tag. „Die Möglichkeit zur individuellen
Zielsetzung, zum Teil auch mit Erinnerungsnachrichten, steigert offenbar
die Motivation und verringert die Hürden für eine körperliche Betätigung
im Alltag“, folgert Krusche – und das sei nachweislich mit positiven
Effekten auf Krankheitsaktivität, Schmerzen und Erschöpfung verbunden.
Umgekehrt lässt sich mithilfe der Wearables auch nachvollziehen, wie
Krankheitsschübe sich auf das Aktivitätsniveau auswirken. In verschiedenen
Studien zeigte sich, dass körperliche Aktivität und Schrittzahl während
eines Krankheitsschubs in typischer Weise ab-nehmen, die
entzündungshemmende Cortisontherapie dem jedoch entgegenwirkt. Die
aufgezeichneten Aktivitätsmuster erlauben damit auch direkten Rückschluss
auf akute Krankheitsschübe, die sich mit hoher Sensitivität und Spezifität
ablesen lassen. „Mithilfe eines maschinellen Lernprogramms wurden fast 96
Prozent der Schübe korrekt erkannt“, sagt Krusche. Damit böten die
Wearables das Potenzial, den individuellen Krankheitsverlauf zu überwachen
und zum Beispiel telemedizinische Angebote zu ergänzen. Auch im Rahmen von
Studien könnten sie wertvolles Datenmaterial liefern, mit dem sich die
Wirksamkeit von Therapien objektiv erfassen lasse.
Mit zunehmender Messgenauigkeit und Funktionsvielfalt der Wearables werden
sich die Anwendungsmöglichkeiten in Zukunft wohl noch deutlich ausdehnen,
auch im rheumatologischen Bereich. Einige Geräte sind zum Beispiel bereits
heute in der Lage, Herzrhythmusstörungen zu detektieren, für die manche
entzündlich-rheumatisch Erkrankte ein erhöhtes Risiko besitzen können. „Um
Folgeschäden wie einen Schlaganfall zu vermeiden, ist es wichtig, diese
Arrhythmien frühzeitig zu entdecken“, erläutert Krusche. Die Wearables
können hier womöglich eine diagnostische Lücke schließen. Auch die Messung
von Sauerstoffsättigung und Atemfrequenz kann wichtige diagnostische
Hinweise geben, denn auch das Risiko von Lungenerkrankungen wie einer
Lungenfibrose kann bei bestimmten Rheuma-Patienten erhöht sein.
Während die Möglichkeiten der Wearables, gesundheitsrelevante
Informationen zu sammeln, bereits beeindruckend weit entwickelt sind, gibt
es in Bezug auf ihre Verwendung und Weiterverarbeitung noch offene Fragen.
„Ihre sinnvolle Nutzung ist zum einen an einen effektiven Datenschutz, zum
anderen an eine geeignete telemedizinische Infrastruktur geknüpft“, sagt
Prof. Dr. med. Christof Specker, Präsident der DGRh. Die riesigen
Datenmengen, die von den Geräten generiert würden, müssten mithilfe von
KI-Lösungen vorselektioniert werden, die selbsttätig nach Auffälligkeiten
suchten. Auf Wunsch des einzelnen Patienten könnten Wearables bereits
heute in Monitoring und Therapie integriert werden. Bis zu einem breiten
Einsatz der Geräte sei jedoch noch weitere Forschung nötig.