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Bakterien der Gattung Shigella, eng verwandt mit dem bekannten E. coli,
sind die zweithäufigste Ursache für tödlich verlaufende bakterielle
Durchfallerkrankungen, mit weltweit über 200.000 Opfern pro Jahr.
Ausbrüche von Stämmen, die gegen gängige Antibiotika resistent sind,
treten immer häufiger auf. Um Shigella und andere krankheitserregende
Bakterien besser in den Griff zu bekommen, suchen Forschende weltweit nach
neuen therapeutischen Angriffspunkten. Nun lieferten Marburger
Forscherinnen und Forscher Einblicke in die bakterielle Genregulation der
Bakterien, die gleichzeitig zu einem besseren Verständnis ihrer
Infektionsfähigkeit beitragen.

Ein neu entdeckter molekularer Schalter spielt eine zentrale Rolle im
Infektionsprozess bei Bakterienruhr.
Einem Team um Prof. Dr. Martin Thanbichler, Max-Planck-Fellow am Max-
Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie und Professor für
Mikrobiologie an der Philipps-Universität Marburg, gelang kürzlich die
Entdeckung und Aufklärung eines speziellen bakteriellen Schalters, der die
Verteilung des Erbguts bei der Zellteilung steuert. Nun zeigt sich, dass
derselbe Mechanismus auch für die Regulation bakterieller Gene von
Bedeutung ist.
Die Forschenden untersuchten den Infektionsprozess des Bakterienruhr-
Erregers Shigella flexneri. Dabei konnten sie nicht nur den
Regulationsprozess aufklären, sondern auch wichtige Informationen liefern,
wie das Bakterium diesen Mechanismus nutzt, um die Infektion zu steuern.
Ihre Ergebnisse liefern mögliche neue Ansatzpunkte zur Bekämpfung dieser
und verwandter bakterieller Krankheitserreger.
Ein ungewöhnlicher Schalter mit weitreichender Bedeutung
Der molekulare Schalter, den das Team vor wenigen Jahren fand, hat eine
ungewöhnliche Eigenschaft: sein An- und Ausschalten basiert auf CTP, dem
Ribonukleotid und RNA-Baustein Cytidin-Triphosphat (das chemisch verwandte
Adenosin-Triphosphat, ATP, ist auch als universeller Energieträger
biologischer Prozesse bekannt). Da die Fähigkeit zur Bindung und Spaltung
von CTP voraussichtlich bei vielen bakteriellen Proteinen besteht,
vermuten die Forschenden, dass es sich dabei um ein grundlegendes, bislang
unentdecktes Steuerungsprinzip handelt. Dieses könnte auch für den
Menschen relevante bakterielle Prozesse betreffen. Tatsächlich fanden sie
heraus, dass die Regulation von Virulenzgenen bei Shigella über einen CTP-
abhängigen Schalter erfolgt, der für das Infektionsgeschehen von zentraler
Bedeutung ist.
Grundsätzlich verdanken Shigella und verwandte Bakterien ihre
Infektionsfähigkeit, aber auch ihre Resistenz gegen Antibiotika einer
besonderen Ausstattung: Plasmide, ringförmige DNA-Moleküle, die unabhängig
vom eigentlichen Genom vererbt oder weitergegeben werden. Bereits vor 20
Jahren wurde ein Protein namens VirB entdeckt, das als so genannter
Transkriptionsfaktor das Ablesen mehrerer Gencluster auf dem Shigella-
Virulenzplasmid steuert und damit die Fähigkeit der Bakterien, menschliche
Darmzellen zu infizieren, kontrolliert. Trotz langjähriger Forschung blieb
der Mechanismus, mit dem VirB die Genexpression steuert, völlig im
Dunkeln.
„Fergesteuertes“ Anschalten der Shigella-Infektion
Bemerkenswert ist, dass VirB nicht zu den klassischen
Transkriptionsfaktoren gehört. Es ist vielmehr mit derselben Klasse von
Proteinen verwandt wie die CTP-abhängigen Schalter, die helfen, die
Erbinformation von Bakterien bei der Zellteilung reibungslos auf die
Tochterzellen zu verteilen. „Die Stelle, an der VirB an die DNA bindet,
ist überraschend weit von seinen Zielgenen entfernt. Es war unklar, wie es
über so große Distanzen aktiv sein kann“, sagt Sara Jakob, Erstautorin der
Studie, die in Nature Communications erschienen ist.
„Bioinformatische Strukturvorhersagen deuteten darauf hin, dass VirB CTP
binden könnte. Unsere Untersuchungen haben dann gezeigt, dass es
tatsächlich auch einen CTP-abhängigen Schaltmechanismus nutzt, um die
Expression von Virulenzgenen zu steuern“, ergänzt Prof. Thanbichler.
Dank eines methodisch breiten Ansatzes gelang es, den Mechanismus
aufzuklären: Das Protein interagiert mit seiner Bindestelle auf der DNA
und legt sich ringförmig um das DNA-Molekül, wobei CTP den VirB-Ring wie
ein doppelseitiges Klebeband in einem geschlossenen Zustand hält. In
dieser Form gleitet VirB dann seitlich an der DNA entlang, so dass die
Bindestelle wieder zugänglich wird und weitere VirB-Moleküle geladen
werden können. Diese verändern dann die Struktur der DNA, so dass die
Zielgene abgelesen werden können. Der CTP-abhängige Lade- und
Gleitmechanismus ermöglicht es VirB, als molekularer Schalter die
Genexpression während der bakteriellen Pathogenese aus der Ferne zu
steuern.
CTP-Abhängigkeit als möglicher Ansatzpunkt für neue Therapien
„Mutationen, die die Bindung von CTP verhindern, blockieren das Laden von
VirB auf die DNA in vitro und unterdrücken die Bildung von VirB-DNA-
Komplexen sowie die Expression von Virulenzgenen in Shigella-Zellen“,
erklärt Sara Jakob.
Da dieser Schaltertyp beim Menschen nicht vorkommt, könnte VirB ein
Angriffspunkt für neuartige Therapeutika sein, die spezifisch die Virulenz
von Shigella unterdrücken und so eine bessere Behandlung der Shigellose
ermöglichen, hofft Martin Thanbichler: „Unsere Arbeiten liefern den ersten
Nachweis eines CTP-abhängigen Schalters, der an der Genregulation
beteiligt ist. Sie zeigen damit, dass diesem neu entdeckten
Regulationsprinzip in Bakterien eine weitreichende Bedeutung bei der
Steuerung biologischer Prozesse zukommt.