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Unter dem Motto „Gemeinsam stark für die Frauengesundheit -
Zukunftssichere
flächendeckende Strukturen für Geburtshilfe, Gynäkologie und
Endokrinologie“ nutzten
Fachvertretende aus der Frauenheilkunde den Parlamentarischen Abend 2024
in Berlin, um
Gästen aus der Politik drängende Probleme und innovative Konzepte zur
Versorgung von
Patientinnen und ihren Kindern in Deutschland zu präsentieren und
gemeinsam Lösungen zu
diskutieren.

Berlin, im März 2024 – Auf dem ersten Parlamentarischen Abend nach der
Pandemie kamen Fachvertretende der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie
und Geburtshilfe e.V. (DGGG) mit Gästen aus der Politik in Berlin zum
fachlichen Austausch zusammen. Im Zentrum der Debatte stand die aktuelle
Krankenhausreform und die damit verbundenen Bestrebungen für eine
Teilambulantisierung von klinisch erbrachten Leistungen und die Einführung
von HybridDRGs sowie die Neustrukturierung der klinischen Geburtshilfe in
Deutschland.

„Der Dialog mit der Politik ist für uns elementar wichtig, um
gesetzgeberische Initiativen im Sinne unserer Patientinnen mit der
Versorgungswirklichkeit abzugleichen und unsere Fachempfehlungen bereits
im Vorfeld einzubringen. Auch mit Blick auf die aktuellen
Herausforderungen im Gesundheitswesen freuen wir uns auf weiterführende
Hintergrundgespräche.“
- Prof. Barbara Schmalfeldt, DGGG-Präsidentin

Keine ausreichenden Strukturen für eine Ausweitung ambulanter Operationen
in Deutschland vorhanden

Die Fachvertretenden warnten die Gäste aus der Politik am Beispiel der
gynäkologischen Onkologie vor negativen Auswirkungen der Ambulantisierung,
die derzeit umgesetzt wird, ohne vorher die dafür nötigen Strukturen
geschaffen zu haben. Dazu gehören u.a. die präoperative Aufklärung
(Edukation der Patienten und ihres Umfeldes) und die postoperative
Betreuung am Wohnort durch Fachpersonal. Des Weiteren müssen die gesamten
komplexen Behandlungsfelder abgebildet werden, die bisher stationär
erfolgen. Bei onkologischen Erkrankungen beispielsweise schließt dies eine
qualifizierte psychoonkologische und psychosoziale Versorgung ein, die im
ambulanten Bereich derzeit nicht existiert. Ebenso muss eine zuverlässige,
sektorenübergreifende Qualitätssicherung etabliert werden. Zudem
befürchten die Fachvertretenden ein „Rosinenpicken“. Komplikationsarme
Operationen
könnten in den ambulanten Bereich verlagert werden, wobei komplexe
Operationen in der
Klinik verbleiben. Die Folge sei unter anderem eine Unterfinanzierung
durch eine verzerrte
Mischkalkulation von ambulanten Erlösen und Hybrid-DRGs. Des Weiteren ist
ein Verlust an Qualifikation und qualifiziertem Personal in den Kliniken
zu befürchten und eine Verknappung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung,
die überwiegend im stationären Bereich erfolgt. Die Entscheidung über
ambulante oder stationäre Leistungserbringung soll mit Blick auf die
Patientinnensicherheit grundsätzlich durch die behandelnden Ärztinnen und
Ärzte erfolgen. So lautet eine fachliche Kernempfehlung. Notwendig seien
zudem Netzwerke und geregelte, barrierefreie Versorgungswege im Fall von
Komplikationen. Bis zu 6% der ambulanten Operationen in der Gynäkologie
werden aufgrund von unerwünschten Ereignissen in ein stationäres Setting
übergeleitet. Krankenhäuser sind hierfür ausgerüstet und müssen in diese
Netzwerke zwingend eingebunden sein.

„Ambulantisierung ist möglich und sinnvoll, wenn zuerst die nötigen
Strukturen geschaffen werden. Die aber existieren in Deutschland erst
rudimentär.“
- Prof. Anton J. Scharl, DGGG-Vizepräsident

Zentrenmodell als Antwort auf ungeordnete Kreißsaalschließungen

Mit Blick auf zukunftssichere Strukturen in der klinischen Geburtshilfe
stellten die Fachvertretenden der DGGG e.V. ein Zentrenmodell vor, das im
Rahmen regionaler Versorgungspläne angewendet werden kann. Das zugrunde
liegende Positionspapier (1) ist ein fachlich fundiertes Angebot, um
ungeordnete Kreißsaalschließungen zu verhindern. Das Modell ermöglicht
bundesweit eine selbstbestimmte individuelle Geburtshilfe bei maximaler
Sicherheit. Es schafft attraktive Arbeitsplätze für alle beteiligten
Berufsgruppen und vernetzt die Niedrig- und Hochrisikogeburtshilfe und
Betreuung von Schwangeren. Innerhalb der Zentren kann, so die DGGG-
Empfehlung, exzellente Geburtshilfe angeboten werden. Das reiche dann
unter einem Dach von primär hebammengeleiteter (low-risk) Geburtshilfe bis
zu primär ärztlich geleiteter (high-risk) Geburtshilfe. Mit Blick auf die
Sicherheit von Mutter und Kind sollte hebammengeleitete Geburtshilfe
ausschließlich mit direktem Übergang in eine perinatologische Versorgung
angeboten werden, lautete eine nachdrückliche Fachempfehlung. Nur in
diesem Setting können Notfälle gemanagt werden.

„Die Neustrukturierung der geburtshilflichen Versorgung ist dringend
erforderlich. Eine Zentralisierung mit Satellitenkliniken und
Versorgungszentren stellt einen adäquaten Lösungsansatz dar, um die
Sicherheit von Gebärenden und ihren Kindern bundesweit flächendeckend zu
gewährleisten.“
- Prof. Angela Köninger, DGGG-Vorstandsmitglied

Fertilitätserhalt vor einer Krebsbehandlung wird nicht für alle Menschen
erstattet

Hinsichtlich der Sicherstellung der Fertilität nach Therapie eines
Karzinoms, einer Stammzelltherapie oder Entfernung der Eierstöcke bzw.
Hoden machten die Fachvertretenden auf Defizite in der Kostenerstattung
aufmerksam. Für Patientinnen mit Hormonrezeptor positivem Brustkrebs, der
etwa 40% aller Fälle ausmacht, gebe es aktuell keine Erstattung durch die
Krankenkassen. Ebenfalls ausgeschlossen seien Kinder vor Einsetzen der
Pubertät und Patientinnen, die an Universitätskliniken behandelt werden.
Diese Lücke gelte es zeitnah zu schließen.

Ärztliche Aus- und Weiterbildung gefährdet

Die ärztliche Aus- und Weiterbildung ist die Voraussetzung für ein
nachhaltiges Gesundheitssystem. Aus- und Weiterbildung und entsprechende
Qualifizierung findet im operativen Bereich fast ausschließlich in den
Kliniken statt. Ein Mangel an Fachärzten und Spezialisten bedroht bereits
heute die medizinische Versorgung. Beispielsweise ist zu befürchten, dass
bereits in wenigen Jahren die Zahl hochqualifizierter Operateure nicht
mehr ausreicht, um die minimale Ausstattung zertifizierter onkologischer
Zentrumsstrukturen zu erfüllen. Das Problem ist, dass ärztliche Aus- und
Weiterbildung bei der Reformierung der Krankenhausstrukturen nicht
mitgedacht wird. Sie ist seit Jahren nicht finanziell abgebildet. Aus- und
Weiterbildung ist „kein Produkt der ärztlichen Tätigkeit“, sondern
bedeutet zeitlichen und finanziellen Aufwand. Dieser ist in der
Erlössystematik der Kliniken nicht ausreichend berücksichtigt. Auch bei
den derzeitigen Planungen der Krankenhaustrukturreform gehört sie nicht zu
den prioritär zu erfüllenden Bedarfen, sondern wird allenfalls im
Nebensatz als „auch noch relevant“ erwähnt. Aus Sicht der Fachvertretenden
der Frauenheilkunde muss die Nachwuchsgewinnung und die Aus- und
Weiterbildung aber bei jeder Reform des Gesundheitswesens primär
mitgedacht werden.

Endokrinologische Weiterbildung findet in Deutschland nur noch marginal
statt

Notwendig sei zudem die zeitnahe Schaffung neuer Lehrstühle und
Sektionsstrukturen an
Universitätsfrauenkliniken. Letzteres, weil die endokrinologische
Weiterbildung während der Facharztweiterbildung nur rudimentär
stattfindet. Die Arbeitsgemeinschaft Universitärer
Reproduktionsmedizinischer Zentren (AG URZ) fordert in ihrer von der DGGG
e.V. mitgetragenen Stellungnahme „Situationsbeschreibung, zukünftige
Herausforderungen und Vorschläge zur Stärkung der universitären
Gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin – das Marburger
Manifest“2 einen Schulterschluss von Politik und Wissenschaft, um die
Schaffung neuer Lehrstühle und Sektionsstrukturen zur Aufhebung des
akademischen Defizits in der medizinischen Ausbildung zu Gynäkologischer
Endokrinologie und Reproduktionsmedizin zu beheben.

Literatur

1 https://www.dggg.de/stellungnahmen/fachempfehlung-modelle-zu-
versorgungsstrukturen-in-der-klinischen-geburtshilfe-in-deutschland

2 https://www.dggg.de/stellungnahmen/stellungnahme-marburger-manifest

Originalpublikation:
https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten
/fachvertretende-erlaeutern-draengende-themen-zur-frauengesundheit