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Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano geniessen den Applaus, Foto Fabrice Umiglia
Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano geniessen den Applaus, Foto Fabrice Umiglia

Besetzung und Programm:

Festival Strings Lucerne
Rudolf Buchbinder  Klavier und Musikalische Leitung
Ludwig van Beethoven (1770–1827)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15
 
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73

 

Rezension:

Erwartungsvolles Publikum im  KKL Konzertsaal
Erwartungsvolles Publikum im KKL Konzertsaal

Beethoven hat sich sein 1. Klavierkonzert auf den Leib geschrieben. Vieles von seiner pianistischen Vortrags- und Improvisationskunst hat er in dieses frühe Werk einfließen lassen. Die Wirkung des Konzerts beruht aber nicht nur auf den virtuosen Techniken des Klavierparts. Das Intro des Orchesters dauert annähernd drei Minuten, bevor sich das Klavier vorsichtig dazu gesellt und sich, fast unauffällig, in das musikalische Gebilde einfügt. Buchbinder  setzte die Harmonien, absolvierte die spannenden Läufe irgendwie losgelöst schwerelos, setzte den oft grimmigen, bärbeissigen Beethoven liebevoll, ja fast zärtlich in Szene.

Der Wiener Meister spielt mit Spott und Ironie

Rudolf Buchbinder am Piano zeigt wos lang geht
Rudolf Buchbinder am Piano zeigt wos lang geht

Der Solist akzentuierte Beethovens Spott und Ironie auf charmante, neckische Art und liess ihn dadurch auch menschlicher erscheinen, als er oft wahrgenommen wird aufgrund seiner pompösen, manchmal düsteren und mächtigen Sinfonien. Beethoven strebte in diesem Stück auch kompositionstechnische Neuerungen an. Bis dahin stellte man in Konzerten üblicherweise Individuum (den Solisten) und Gruppe (das Orchester) in einem Wechselspiel einander gegenüber. Beethoven fügte dem eine neue Ebene hinzu: Er integrierte das Klavier stellenweise sinfonisch in das Orchesterspiel und verzahnte den Solopart eng mit dem Tutti.

100 Minuten pure Spielfreude

Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano
Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano

Es waren ca. 1 ¾ Stunden inkl. Pause, die das Konzert mit den beiden Klavierkonzerten dauerte und in denen Buchbinder mit den „Strings“ die beiden Klavierkonzerte interpretierte und mit sehr sparsamen Gesten, am Konzertflügel „dirigierend“, leitete, wobei er sich voll und ganz auf die Lucerne Festival Strings verlassen konnte, um in den Solopassagen sein brillantes Klavierspiel voll zu entfalten. Er und die Musiker verstanden sich gefühls- und verstandesmäßig „blind“, ohne große Gesten und Blickkontakte. Sie empfanden die Musik gemeinsam, auf gleicher „Wellenlänge“ in einer Art Seelenverwandtschaft, schienen gemeinsam zu „atmen“, verbanden sich wie „ein Herz und eine Seele“ in „gemeinsamer Sache“ und musikalischen Fragen und interpretierten mit gleichem Können, gleicher Intensität, gleicher geistigen Tiefe, ein Miteinander im Geiste des Komponisten. Auffassung und Ausführung stimmten auf beiden Seiten völlig überein und das auf sehr hohem Niveau. Sie erweckten gemeinsam die Geistes- und Gefühlswelt Beethovens zum Leben.

Rudolf Buchbinder lebt Beethoven

Rudolf Buchbinder gibt den Takt an
Rudolf Buchbinder gibt den Takt an

Buchbinder und Beethovens Klavierwerke sind längst Synonyme geworden. Sie sind sein Lebenselixier. Er lebt in dieser Gedankenwelt. Mit seinem ausgewogenen Beethovenspiel nähert er sich immer wieder den Intentionen eines genialen Komponisten, der mit den Mitteln der Musik seinen einzigartigen schöpferischen und geistigen Höhenflügen Ausdruck verlieh. Allein Buchbinders hohe Kunst seines klangvollen, differenzierenden Anschlages, die von der jüngeren Generation schon kaum mehr wahrgenommen wird, und sein tiefes, äußerlich völlig unspektakuläres und für ihn scheinbar selbstverständliches Sich-Versenken in Beethovens geistige Höhenflüge sorgten für einen musikalischen Genuss, der seinesgleichen sucht.

Rudolf Buchbinder, Daniel Dodds und Thomas Schrott
Rudolf Buchbinder, Daniel Dodds und Thomas Schrott

So kann man das Klavierkonzert in c-Moll, op. 37, von Ludwig van Beethoven kaum je hören: so tief empfunden, so innig ausgesungen, so spannend in der Beziehung zwischen Solo und Tutti. Der Maestro, am Flügel sitzend,  lässt das Allegro con brio des Kopfsatzes hell aufleuchten, so dass die Wendung von c-Moll nach Es-Dur und vom Piano ins Forte etwas Elementares erhält. Von kompakter Kraft zumal die ersten Violinen, doch die Pauke, sie wird mit den kleinen Holzschlegeln geschlagen, die ihr den klaren Ton unserer Tage verleihen – von dem heroisierenden Pulverdampf, dem patriotischen Nihilismus, die sich bei diesem Stück gern einstellen, ist jedenfalls nicht die Spur auszumachen. Dann aber: der Einsatz des Solisten. Ganz weich nimmt Rudolf Buchbinder die im Forte aufsteigenden Läufe und das abschliessende Sforzato; was oft mit einem Ausrufezeichen versehen wird, klingt hier geradezu fragend. Überhaupt legt Buchbinder seinen Part ganz auf Kantabilität an – und wie ihm das gelingt, wie er das Perkussive des Klaviers vergessen lässt, das Instrument vielmehr zum Singen bringt, das wird in dem zart genommenen Seitenthema zum Ereignis. Dort wird dann auch bewusst, wie der Wiener Solist mit der Musik atmet, wie er die Phrasen in ihren emotionalen Dimensionen auslotet und sie ganz natürlich miteinander verbindet. So scheint es wenigstens; in Wirklichkeit ist es die Summe lebenslanger Auseinandersetzung mit dem Notentext. Viel wäre darum noch zu berichten – etwa von dem gelösten Konzertieren mit den Holzbläsern in der Durchführung und der Beleuchtung der Nebenstimmen in der Kadenz, aber auch von dem ohne jeden Drücker genommenen und darum so anrührenden Mittelsatz und dem funkelnden Rondo. Das sachkundige Publikum im komplett belegten Konzertsaal überhäufte die Künstler mit stürmischem Applaus und begab sich gutgelaunt in die Pause.

2. Konzertteil mit dem 5. Klavierkonzert

Cellistinnen v.l. Sylvia Zucker und Anne-Christine Vandewalle.
Cellistinnen v.l. Sylvia Zucker und Anne-Christine Vandewalle.

In England trägt das Konzert den Beinamen „Emperor“, also „Kaiser“ oder „Herrscher“. Manch einer sieht darin die „Befreiung des Individuums“: Kühn und wild kann sich der Solist am Klavier Freiheit erkämpfen. Freies Fantasieren bestimmt auch die lyrischen Teile.

Solist Rudolf Buchbinder hochkonzentriert
Solist Rudolf Buchbinder hochkonzentriert

Als junger Virtuose wird Ludwig van Beethoven vor allem für sein brillantes Klavierspiel und seine phantasievollen Improvisationen gefeiert. Aus einfachsten Tönen kann er aus dem Stegreif heraus immer neue Melodien entwickeln. In den Noten schreibt er für sich selbst oft nur einzelne Motive auf – als Erinnerungsstützen. Seine fertigen Werke spielt er aus dem Gedächtnis oder erfindet sie beim Spielen einfach neu.

Tönt wie eine freie Fantasie

Die Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano
Die Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano

Genau so beginnt sein 5. Klavierkonzert in Es-Dur op. 73: wie eine freie Fantasie, eine Solo-Kadenz mit rauschenden Passagen. Allerdings ist hier jede Note aufgeschrieben, denn 1809, mit knapp vierzig Jahren, ist Beethoven fast vollständig taub. Er kann sein op. 73 nicht mehr selbst aufführen und traut das auch keinem anderen mehr zu. Jede Kleinigkeit wird exakt in den Noten festgehalten. Das Werk, allein schon von der Tonart her interessanter, das jetzt zu den beliebtesten und meistaufgeführten Klavierkonzerten weltweit gehört und als Gipfel der Weiterentwicklung dieses Genres nachhaltig spätere Komponisten und die weitere Entwicklung dieser Gattung beeinflusst hat.

Das Werk verblüfft mit neuartiger Einleitung

Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano harmonieren perfekt
Festival Strings Lucerne mit Rudolf Buchbinder am Piano harmonieren perfekt

Die Komposition besticht immer wieder mit ihrer neuartigen Einleitung, der die virtuose, auskomponierte Kadenz und prächtige Klavierpassagen in einem Dialog zwischen Orchester und Klavier in verschiedenen Klangfarben, Motiven und Tonarten folgen, brillant und strahlend gespielt bis zum „donnernden“ Fortissimo, das trotz aller Ausdruckstärke in angemessener Temperamentsentfaltung bei Buchbinder nie hart wirkt. Hier betonte der Solist seinen Solistenpart etwas deutlicher als im ersten Konzertteil ohne aber deshalb dominant zu wirken, er war bloss ein bisschen weniger unauffällig. Das Konzert war eine „Ode an die Freude“, geschrieben vom überzeugenden österreichischen  Protagonisten unterstützt vom gewohnt souveränen Luzerner Orchester.

Buchbinders spirituelle Ausstrahlung

Die Festival Strings Lucerne
Die Festival Strings Lucerne

Buchbinders Klavierspiel hat etwas unmittelbar Faszinierendes, Bezwingendes, eine geistige Ausstrahlung, die sofort gefangen nimmt. Hinzu kommt eine geistige Ausstrahlung, die aus seinem ganz persönlichen Verhältnis zur Musik und einer intensiven Beschäftigung mit den aufgeführten Werken resultiert. Trotzdem: von Schicksal oder Depression kann hier nicht die Rede sein. Feierlich und glorreich wird gekämpft: für die Freiheit und gegen jede Unterdrückung. Während der Komposition stehen die französischen Truppen Napoleons vor Wien und bombardieren die Stadt. Beethoven schimpft über die Belagerung, die schlechte Versorgung und das wüste Leben um ihn herum: „Nichts als Trommeln, Kanonen, Menschenelend in aller Art!“

Bärbeissiger Rheinländer Beethoven erweist sich als sanfter Lyriker

Solist Rudolf Buchbinder bedankt sich bei den Festival Strings Lucerne
Solist Rudolf Buchbinder bedankt sich bei den Festival Strings Lucerne

Daneben finden sich vor allem im langsamen Satz ungemein zarte, lyrische und suchende Momente. „Ausblicke in die Ewigkeit“ nennt sie der deutsche Pianist Lars Vogt. Die weit ausschweifenden Kantilenen lassen den romantischen Klavierstil Frédéric Chopins vorausahnen. Auch zu Franz Liszt ist es nicht mehr weit. Entfernte Tonarten, rhythmisch herausfordernde Motive und dynamische Extreme bestimmen die musikalische Entwicklung. Unerwartet entpuppt sich ein absichtslos aufgefächerter Es-Dur-Dreiklang als triumphales Rondo-Thema des dritten Satzes. Die aufsteigende Bewegung überschlägt sich geradezu vor Freude. Die Protagonisten entschweben in eine andere Welt voller Spielfreude, fein ziselierter, gestalterischer Ausdrucksweise, geradezu erhabene Grandezza und nehmen uns mit auf diese Reise, die dann, mit einem relativ kurzen, wenig spektakulären Finale, schlussendlich wieder in die Realität zurückführt. Das begeisterte Auditorium spendete einen euphorischen Schlussapplaus, der in eine verdiente stehende Ovation mündete.

Kleine Fotodiashow des Events von Priska Ketterer und Fabrice Umiglia:

fotogalerien.wordpress.com/2019/11/20/beethoven-klavierkonzerte-2-festival-strings-lucerne-rudolf-buchbinder-kkl-luzern-17-november-2019/

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch und festivalstringslucerne.org/de/home

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