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Russlands Invasion in der Ukraine bedroht die Ernährungssicherheit in
Afrika. Die Versorgung mit Getreide dürfte sich für viele afrikanische
Staaten dauerhaft verschlechtern und verteuern. Sollten russische
Getreideexporte deutlich fallen, etwa weil das Land einen Exportstopp
verhängt, stünden einige der ärmsten Länder wohl vor einer schweren
Hungerkrise. Dies zeigen aktuelle Modellrechnungen des IfW Kiel.

„Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigsten Getreideexporteuren
der Welt. Zahlreiche afrikanische Staaten sind von den Lieferungen
abhängig und könnten einen Ausfall oder Rückgang auch langfristig nicht
ersetzen“, sagt Tobias Heidland, Forschungsdirektor und Mitglied im
Forschungscluster Afrika am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel).
„Dies kann für einzelne Länder dramatische Folgen haben, im schlimmsten
Fall drohen schwerer Hunger und soziale Unruhen.“

Gemeinsam mit weiteren Forschern des IfW Kiel und der Afrikanischen
Entwicklungsbank hat er mit dem Handelsmodell KITE (Kiel Institute Trade
Policy Evaluation) die langfristigen Folgen des Ukraine-Krieges für die
Getreideversorgung Afrikas simuliert (Balma et al. „Long-Run Impacts of
the Conflict in Ukraine on Food Security in Africa“: https://www.ifw-
kiel.de/index.php?id=17165&L=1). Betrachtet wurden Weizen und sonstiges
Getreide wie Mais, Hirse, Gerste und Reis.

Die Forscher untersuchen mehrere Szenarien. In einem gehen sie davon aus,
dass die Ukraine künftig in ihren Anbaumöglichkeiten für Getreide aufgrund
von Zerstörung und einer Kriegswirtschaft stark limitiert ist (Rückgang
der Produktivität um 50 Prozent). Zusätzlich, dass sich die
Transportkosten für den Handel sowohl mit der Ukraine (+50%) als auch mit
Russland (+25%) stark erhöhen, weil Handelswege beeinträchtigt oder
zerstört sind.

Die Folgen sind fallende ukrainische und russische Erntemengen, die zu
höheren Preisen und sinkenden Getreideimporten afrikanischer Länder führen
– nicht nur aus der Ukraine und Russland, sondern insgesamt. Am stärksten
wären die Effekte in den beiden nordafrikanischen Ländern Ägypten und
Tunesien, weil dort die Abhängigkeit von Getreideimporten aus der Ukraine
und aus Russland am höchsten ist.

Schaden für ärmere afrikanische Länder

In deutlich ärmeren Ländern, beispielsweise Ruanda, Tansania, Mosambik,
Kenia oder Kamerun, sind die Effekte zwar geringer, der Schaden für die
Menschen könnte aber umso dramatischer sein, weil die Ernährungssicherheit
dort bereits sehr angespannt ist.

Laut Berechnungen sinken Weizeneinfuhren am deutlichsten in Ägypten (-13,3
%), Tunesien (-12,3 %) und Äthiopien (-10,8 %). Bei sonstigem Getreide
sind Tunesien (-15,2%), Ägypten (-13,4%) und Kamerun (-11,9%) am stärksten
betroffen.

Die höchsten Preisanstiege bei Weizen sind in Kenia (+5,8 %), Uganda (+5,2
%), Tunesien (+4,3 %) und Mosambik (+3%) zu verzeichnen, bei sonstigem
Getreide in Tunesien (+13,6 %) sowie Algerien und Libyen, im Handelsmodell
als Ländergruppe zusammengefasst (+5,5%).

„Der Krieg in der Ukraine ist eine reale Bedrohung für die
Ernährungssicherheit von Millionen Menschen in Afrika. Eine neue Realität
auf dem Getreideweltmarkt, wo die Ukraine und Russland für lange Zeit
nicht mehr die gewohnten Mengen liefern, geht klar zu Lasten einer Reihe
von afrikanischen Ländern“, so Heidland.

„Eine wichtige Lektion der Krise ist, dass afrikanische
Entscheidungsträger die Abhängigkeit ganzer Länder von einzelnen
Lieferanten verringern sollten, auch wenn dies mit höheren Kosten
verbunden ist. Es ist eine Investition in die langfristige
Ernährungssicherheit in einer geopolitisch instabileren Welt.“

Exportstopp Russlands hätte dramatische Folgen

In einem weiteren Szenario berechnen die Forscher die Folgen eines
hypothetischen Exportstopps für Getreide durch Russland, der zusätzlich
zur verminderten Produktion in der Ukraine und erhöhten Handelskosten
käme. In diesem Falle wären die Folgen für Afrika vor allem mit Blick auf
Weizen dramatisch, dem bei weitem bedeutendsten russischen Exportgetreide.

Die Simulationen zeigen, dass Ruanda dann seine Weizenimporte um fast die
Hälfte reduzieren müsste  (-48,4%), als Reaktion auf einen Preisanstieg um
über ein Drittel (39,6%). Auch in Kenia (Importe -26,4%; Preise: +32,4%),
in Tansania (Importe -36,9%; Preise +13,1%) und in Mosambik (Importe
-21,4%; Preise: +15,1%) wären die Folgen mit Blick auf die
Ernährungssicherheit bedrohlich.

„Ein Exportstopp von Getreide durch Russland kann in diesen Ländern zu
schwerem Hunger für Teile der Bevölkerung führen. Ein Ausweg könnte sein,
fehlende Getreideimporte durch andere Nahrungsmittel zu ersetzen oder die
Produktion im eigenen Land bzw. von Seiten anderer Handelspartner zu
erhöhen. Wenn Lebensmittel nicht mehr erschwinglich sind, würde es
beispielsweise zu negativen Effekten auf die Gesundheit, Sterblichkeit und
Bildung von Kindern kommen und somit schwere Langfristfolgen haben. Es
gibt hier also einen klaren Auftrag an den Westen, die am schwersten
betroffenen Länder zu unterstützen“, so Heidland.

Westliche Länder wie Deutschland sind weit weniger in ihrer
Versorgungssicherheit mit Getreide durch den Krieg in der Ukraine
betroffen. Spürbare Veränderungen wären mit Blick auf Tierfutter zu
beobachten. Im drastischsten Fall eines Exportstopps durch Russland würde
die importierte Menge an sonstigem Getreide, das etwa Futtermais
beinhaltet, um gut 4 Prozent sinken, die Preise dafür um gut 2 Prozent
steigen.

Das Handelsmodell KITE simuliert die langfristige und dauerhafte
Veränderung von Handelsströmen, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. Dies
kann beispielsweise durch Veränderungen von Handelshemmnissen geschehen
oder wie hier durch den Ausfall eines ganzen Landes als Handelspartner.
Die kurzfristigen Folgen und Anpassungsprozesse werden im Modell nicht
abgebildet. In vielen Fällen liegen sie höher als die berechneten
Langfristeffekte, da Anpassungen Zeit benötigen.

Jetzt Studie lesen: „Long-Run Impacts of the Conflict in Ukraine on Food
Security in Africa“ (https://www.ifw-kiel.de/index.php?id=17165&L=1)