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Warum aktuelle politische Überlegungen, wonach sich Versäumnisse in der
Aus-, Fort- und Weiterbildung angeblich negativ auf die Versorgungslage
bei Schwangerschaftsabbrüchen auswirken würden, die Komplexität dieses
thematischen Spannungsfeldes überdecken, erläutern die gynäkologischen
Dachverbände. Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF)
und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.
(DGGG), vereint im
German Board and College of Obstetrics and Gynecology (GBCOG) kritisieren,
dass die Debatte ein solides Grundverständnis für die fachärztliche
Kompetenz von Frauenärztinnen
und Frauenärzten vermissen lässt.

Berlin, im Juli 2022 – Frauen, die einen straffreien
Schwangerschaftsabbruch vornehmen
lassen möchten, müssen darauf vertrauen können, dass dieser auf hohem
medizinischem
Niveau durchgeführt wird und Risiken weitgehend ausschließt. Damit dies
sichergestellt ist,
dürfen nach der G-BA-Richtlinie zur Empfängnisregelung und zum
Schwangerschaftsabbruch
(ESA-RL)1 Abbrüche nur von Ärztinnen und Ärzten ausgeführt werden, welche
die
vorgesehenen Leistungen auf Grund ihrer Kenntnisse und Erfahrungen
erbringen können,
nach dem ärztlichen Berufsrecht dazu befugt sind und über die
erforderlichen Einrichtungen
verfügen. Die erforderlichen medizinischen sowie rechtlichen und ethischen
Kompetenzen
werden Frauenärztinnen und Frauenärzten in Aus-, Fort- und Weiterbildung
vollumfassend
vermittelt.

Jeder Facharzt und jede Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
erwirbt in der
mindestens 5-jährigen Weiterbildungszeit Kenntnisse, Erfahrungen und
Fertigkeiten zur
Vorgehensweise beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sowie die
Technik eines operativen Schwangerschaftsabbruchs. „Die manuellen
Fertigkeiten für einen operativen Schwangerschaftsabbruch sind
vergleichbar mit der Entleerung einer Gebärmutter nach spontaner
Fehlgeburt. Ein Routineeingriff, der auch im Rahmen einer gestörten, nicht
entwicklungsfähigen Schwangerschaft notwendig werden kann“, erläutert
Prof. Dr. Anton J. Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.

Notwendig bei der Thematik „Schwangerschaftsabbruch“ sind zudem Kenntnisse
zu den
rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen, die im Zusammenhang mit einem
Schwangerschaftsabbruch eine zentrale Rolle spielen. „Bereits während des
Medizinstudiums werden nach Auskunft aller medizinischen Fakultäten die
Studierenden über das Pflichtcurriculum zu rechtlichen und medizinischen
Grundlagen eines
Schwangerschaftsabbruchs vollumfänglich unterrichtet. Sie werden während
der
frauenärztlichen Facharztweiterbildung erneut vermittelt und sind darüber
hinaus auch Teil
fachspezifischer Fortbildungen“, erklärt Dr. Klaus Doubek, Präsident des
Berufsverband der Frauenärzte e.V.

In einzelnen Bundesländern kann zudem der Nachweis spezieller
Fortbildungen notwendig
sein. Laut Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)2 sind die Länder dazu
verpflichtet, ein
ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zu
schaffen, sie geben
gleichzeitig die länderspezifischen Anforderungen vor.

Für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs ist grundsätzlich jede
qualifizierte
Ärztin und jeder qualifizierte Arzt berechtigt. Laut § 12 Absatz 1
Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) kann jedoch kein Arzt und keine
Ärztin zur
Mitwirkung an einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtet werden – auch
nicht im Rahmen
der Weiterbildung. Die Gewissensentscheidung gegen die Teilnahme an
Schwangerschaftsabbrüchen darf kein Hinderungsgrund für die Berufung sein,
Frauenärztin
bzw. Frauenarzt werden zu können. Ärztinnen und Ärzten steht wie allen
Teilen der
Gesellschaft zu, auf individuelle Weise mit der großen ethischen
Herausforderung eines
Schwangerschaftsabbruchs umgehen zu dürfen. Bei aller Notwendigkeit, dass
sichere
Schwangerschaftsabbrüche als elementarer Bestandteil der medizinischen
Grundversorgung
angesehen werden müssen: Die ärztliche Entscheidung, an einem
Schwangerschaftsabbruch
teilzunehmen oder nicht, basiert auf der ärztlichen Berufsordnung und muss
vor dem
Hintergrund des beruflichen Selbstbildes von Ärztinnen und Ärzten und
ihren individuellen
ethischen Wertvorstellungen gesehen und respektiert werden.

Die Entscheidung, an einem Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen, stellt im
Übrigen nicht
nur Ärztinnen und Ärzte, sondern das gesamte medizinische Personal,
welches zur
Durchführung dieser medizinischen Maßnahme notwendig ist – z.B. Assistenz-
bzw OPPflegepersonal – vor komplexe ethische Herausforderungen. Allen
Beteiligten steht bei einem anstehenden Schwangerschaftsabbruch eine
persönliche Entscheidung hinsichtlich einer Beteiligung zu.

Ärztinnen und Ärzte aber auch betroffene Frauen sind nach wie vor von
Anfeindungen und
Stigmatisierung durch Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern – wie
z.B.
Mahnwachen vor Praxen – betroffen. Es ist eine Herausforderung, sich in
dem derzeitigen
gesellschaftlichen Klima öffentlich dazu zu bekennen, diese medizinische
Leistung
anzubieten, denn Ärztinnen und Ärzte müssen vor allem in der Peripherie
mit Belagerungen
und Belästigungen rechnen. Hierdurch wird die Versorgungssituation
bedrängt, denn die
hilfesuchenden Frauen sind auf die Informationen angewiesen, bei wem oder
in welcher
Einrichtung sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen können.
Maßnahmen zum Schutz von Ärztinnen und Ärzten sind daher ebenso notwendig,
wie
Bedingungen, die keinen Spielraum für Anfeindung und Bedrängung von
betroffenen Frauen
zulassen. Das Risiko, psychische Probleme nach einem
Schwangerschaftsabbruch zu
entwickeln, steht maßgeblich im Zusammenhang mit Tabuisierungs- und
Stigmatisierungserfahrungen bei Frauen.

Wie sich die Informationslage zu Versorgungsangeboten bei
Schwangerschaftsabbrüchen in
den deutschen Bundesländern derzeit darstellt und künftig entwickelt, muss
letztlich als
Ausdruck der gesellschaftlichen Strömungen und Einstellungen zum Thema
betrachtet
werden. Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, geltendes Recht
flächendeckend umzusetzen, muss als nicht verhandelbare
gesamtgesellschaftliche Aufgabe
betrachtet werden.