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Seit Jahren blockiert Bulgarien EU-Beitrittsverhandlungen mit
Nordmazedonien. Nun hat Frankreich einen Kompromissvorschlag vorgelegt,
der das Veto beenden soll, zugleich aber Massenproteste gerade in Skopje
hervorrief, am 6. Juli fielen dabei auch Schüsse. Warum der Vorschlag
untauglich ist, kommentiert Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, Historiker und
Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung.

"Dass ausgerechnet Frankreich einen – problematischen –
Kompromissvorschlag vorgelegt hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Denn seit Jahren ist es gerade die französische Regierung, die bei der
Aufnahme der Westbalkanstaaten in die EU – ein zunehmend hohl klingendes
Versprechen – auf die Bremse drückt. Damit entstand überhaupt erst der
Freiraum für Bulgarien, mit nationalistisch begründeten Forderungen den
Beitrittsprozess Nordmazedoniens zu stoppen und dafür keinen politischen
Preis auf europäischer Ebene zahlen zu müssen. Die Blockade liegt in den
Phantomschmerzen begründet, die bulgarische Nationalisten beim Gedanken an
Nordmazedonien plagen, weil Nordmazedonien sich weigert die bulgarische
Lesart seiner Geschichte und Identität zu übernehmen.

Frankreich schlug nun vor, dass Nordmazedonien in seiner
Verfassungspräambel auch die Bulgaren als konstitutives Volk nennen und
dass der Fortschritt bei der Umsetzung des bulgarisch-mazedonischen
Freundschaftsvertrages von 2017 zum Bestandteil des Beitrittsprotokolls
werden soll. Vorschläge, die kaum umzusetzen sind. Ersteres scheitert an
fehlenden Mehrheiten im Parlament Nordmazedoniens, zumal Frankreich keinen
reziproken Akt Bulgariens verlangt, wo eine mazedonische Minderheit seit
Jahrzehnten der offiziellen Anerkennung harrt. Zweiteres würde einen
gefährlichen Präzedenzfall schaffen: nämlich einen bilateralen Disput über
Fragen, die nichts mit den Aufnahmekriterien zu tun haben, zum Teil der
Beitrittsverhandlungen zu machen. Damit wäre Erpressungen durch bestehende
EU-Mitglieder gegen Beitrittsaspiranten Tür und Tor geöffnet, insbesondere
wenn nationalistisch gesinnte Regierungen bizarre geschichtspolitische
Forderungen stellen – was sie gerne tun.

Der Westbalkan droht zum Scherbenhaufen der europäischen Integration zu
werden. Im konkreten Fall ist es Bulgarien, das die Aufnahme seines
Nachbarn torpediert, und damit auch jene Albaniens, denn die EU hat
entschieden, entweder mit beiden oder keinem der beiden Länder zu
verhandeln. Welchen Vorteil Bulgarien darin sieht, seine Nachbarregion zu
destabilisieren, ist schwer nachzuvollziehen. Der Kreml wird sich
jedenfalls freuen, wenn die nationalen Emotionen antieuropäische
Rechtspopulisten an die Macht brächten."

Der gesamte Kommentar unter: https://ostblog.hypotheses.org/3470