Zum Hauptinhalt springen

Reformen, die wirken? Zur Umsetzung von aktuellen Migrations- und Integrationsgesetzen

Pin It

Im Bereich Migration und Integration wurden in den vergangenen Jahren
viele Veränderungen auf den Weg gebracht und zum Teil mit hohen
Erwartungen verknüpft: Insbesondere bei der Fachkräfteeinwanderung und
Arbeitsmarktintegration sollen neue Gesetze und Verordnungen für einen
erleichterten Zugang sorgen.

Doch wie gelingt die Umsetzung in die Praxis?
Ist die beabsichtigte Wirkung eingetreten? Der Sachverständigenrat für
Integration und Migration (SVR) hat in seinem Jahresgutachten 2025 die
strukturellen Rahmenbedingungen für die Rechtsumsetzung und anhand
konkreter Fallbeispiele die Umsetzung in die Praxis untersucht – und
daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet.

„In dynamischen und kontrovers diskutierten Politikfeldern wie der
Migrations- und Integrationspolitik steht die Politik unter einem hohen
Erwartungsdruck. In den letzten Jahren wurden Gesetze teilweise in
schneller Folge geändert. Das stellt für die ohnehin stark belasteten
Verwaltungen eine Herausforderung dar, die Umsetzung kann daher mit dem
Tempo der Rechtsetzung oft nicht Schritt halten“, erklärt der SVR-
Vorsitzende Prof. Dr. Winfried Kluth. „Da Bürgerinnen und Bürger die
Reaktionsfähigkeit von Politik aber nicht allein daran bemessen, ob der
Bund schnell Gesetze erlässt, sondern ob diese auch wirken, empfehlen wir
der Politik, in der neuen Legislaturperiode die gute Umsetzung als Ziel
verstärkt in den Blick zu nehmen.“ In seinem Jahresgutachten 2025 nimmt
der SVR eine doppelte Perspektive ein: Im ersten Teil analysiert er
allgemeine strukturelle Rahmenbedingungen der Rechtsumsetzung wie den
Gesetzgebungsprozess und seine Bedeutung, die Zuständigkeitsverteilung im
föderalen Staat und den Stand der Digitalisierung in der Verwaltung. Im
zweiten Teil geht das Gutachten auf konkrete Praxisfelder wie das
Fachkräfteeinwanderungsgesetz, den Job-Turbo und die Einbürgerungspraxis
nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ein; gefragt wurde, wie die
entsprechenden Regelungen umgesetzt werden, wie sie wirken und wo es noch
Hürden gibt.

„Die Analyse zeigt eines ganz klar: Schnelligkeit ist nicht alles. Damit
Gesetze gut umgesetzt werden können, braucht es eine gute Vorbereitung,
die die Umsetzung mitbedenkt. Wir empfehlen einen Praxis-Check: Durch die
frühzeitige Beteiligung derjenigen Stellen, die Gesetze umsetzen müssen,
sowie der Adressaten lässt sich sicherstellen, dass Gesetze und Regelungen
die beabsichtigte Wirkung entfalten und keine ungewollten Folgen oder
Nebenwirkungen auftreten“, sagt Prof. Kluth. „Schließlich haben
behördliche Entscheidungen für die Betroffenen eine erhebliche und häufig
existenzielle Bedeutung.“

Fachkräfteeinwanderung: Behörden entlasten durch Einbezug von Unternehmen
und mehr Marktlösungen, Zuständigkeiten zentralisieren

Um die Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern, empfiehlt der SVR im Kern
drei Maßnahmen, mit denen die Verfahren vereinfacht und staatliche Stellen
im Sinne der in der neuen Legislaturperiode angestrebten Aufgabenkritik
entlastet werden. „Staatliche Aufgaben lassen sich erstens reduzieren
durch Stärkung von Arbeitgebern, indem sie die Berufserfahrung
potenzieller Arbeitskräfte beurteilen, und zweitens durch einen stärkeren
marktbezogenen Ansatz im Bereich der Beratung. Drittens sollten
Zuständigkeiten auf Bundesebene konzentriert werden, das nimmt Druck von
den Ausländerbehörden“, sagt die Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof.
Dr. Birgit Glorius. Die Anerkennung von ausländischen Berufserfahrungen
hat mit dem weiterentwickelten Fachkräfteeinwanderungsgesetz an Bedeutung
gewonnen. „Diese Aufgabe können Betriebe selbst übernehmen, die etwa durch
Kammern zertifiziert worden sind oder sich in der Vergangenheit als
seriöse Arbeitgebende erwiesen haben“, so der SVR-Vorsitzende Prof. Kluth.
Auch bei der Beratungsinfrastruktur ist eine Arbeitsteilung zwischen Staat
und Markt sinnvoll. Zwar ist angesichts der komplexen Optionen bei der
Erwerbszuwanderung eine gezielte Beratung enorm wichtig. „Das muss aber
nicht zwingend der Staat übernehmen“, sagt Prof. Kluth. „Warum sollten
Unternehmen, für die betriebliche Personalpolitik eine Kernaufgabe ist,
staatlich subventionierte Beratungsleistungen erhalten, wenn sie diese
auch am Markt einkaufen können?“ Anders sieht es bei kleinen und mittleren
Betrieben aus, die weder über eigene Personalabteilungen noch über die
Mittel verfügen, um diese Dienstleistung zu finanzieren. Hier und auch für
Arbeitnehmende hält der SVR staatlich finanzierte Beratungen weiterhin für
notwendig. „Für alle anderen Zielgruppen ist die Marktlösung die bessere
Alternative“, so Prof. Kluth.
Der SVR unterstützt auch den Ansatz, bei der Fachkräfteeinwanderung
Zuständigkeiten auf die Bundesebene zu verlagern. So könnte das Bundesamt
für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) Visa und Aufenthaltstitel bearbeiten
und die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitsmarktzulassung. Dies
entlastet die Ausländerbehörden und vereinfacht und beschleunigt Prozesse.
Dass die nationalen Visaverfahren weitgehend digitalisiert worden sind,
stellt hierfür eine gute Voraussetzung dar.

Job-Turbo: schnellerer Einstieg in Arbeit zu begrüßen, aber an
sprachlicher und fachlicher Qualifizierung festhalten

Mit dem im Oktober 2023 gestarteten Programm Job-Turbo sollten
insbesondere ukrainische Geflüchtete schneller in Arbeit gebracht werden.
Tatsächlich ist die Arbeitslosenquote bei ukrainischen Staatsangehörigen
seit Anfang 2024 deutlich gesunken, auch wenn noch nicht klar ist,
inwieweit dies unmittelbar auf den Job-Turbo zurückzuführen ist.
„Deutschland hat damit Elemente aus dem ‚Arbeit zuerst‘-Ansatz
aufgenommen, der in einigen anderen EU-Ländern verfolgt wird. Diese
Flexibilisierung für eine leichtere Arbeitsaufnahme auch bei begrenzten
Sprachkenntnissen und die Möglichkeiten einer Nachqualifizierung sehen wir
grundsätzlich positiv“, sagt Prof. Glorius. „Ein vergleichender Blick auf
Ansätze europaweit zeigt zugleich, dass sich der ‚Sprache zuerst‘-Ansatz
in Deutschland bewährt hat und langfristig den Menschen eine höherwertige
Beschäftigung ermöglicht.“ Daher sollte er auch nicht vollständig
aufgegeben werden.

Der SVR empfiehlt, Integrationskurse mit verlässlicher Kinderbetreuung
sowie in Teilzeit anzubieten, um es den Teilnehmenden zu erleichtern,
parallel zu arbeiten. Da sich fehlende Betreuungsplätze für Kinder als
zentrales Hemmnis für die Berufstätigkeit geflüchteter Frauen erwiesen
haben, sollte eine aufnahmefähige Betreuungsinfrastruktur als zentrale
Rahmenbedingung für Integration verstanden werden. Häufig scheitert
derzeit ein weiterer Ausbau frühkindlicher Bildungs- und
Betreuungsangebote am Fachkräftemangel im frühpädagogischen Bereich. Daher
sollten unbedingt auch die Potenziale ausländischer Fachkräfte in diesem
Bereich in Wert gesetzt werden. „Deutschland muss hier die
Anerkennungsverfahren für berufliche Qualifikationen vereinfachen und
beschleunigen, ohne die Qualitätsstandards zu senken“, empfiehlt Prof.
Glorius. Ein Ansatz ist die von Bund und Ländern im Dezember 2024
beschlossene Strategie, Verfahren durch Digitalisierung zu vereinfachen
und englischsprachige und muttersprachliche Dokumente zu akzeptieren sowie
Kompetenzen zu bündeln. Um Zugangshürden für Frauen abzubauen, sollten
auch die Arbeitsbehörden ihre Praxis anpassen. „Arbeitsmarktpolitische
Integrationsleistungen wie Qualifizierungsmaßnahmen sollten individuell
gewährt werden, wie in anderen Ländern üblich. In Deutschland erhalten die
Frauen häufig keine Möglichkeit, an Maßnahmen zur beruflichen
Eingliederung teilzunehmen, wenn der Ehemann genug verdient“, sagt Prof.
Glorius.

Staatsangehörigkeitsrecht: Verfahren optimieren, Anwendungsvorgaben
überarbeiten, Behörden durch Lotsen entlasten

Die Anfang 2024 beschlossene und zur Mitte des Jahres in Kraft getretene
Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes hat Einbürgerungshürden abgebaut –
unter anderem durch eine kürzere Mindestaufenthaltsdauer und die jetzt
grundsätzliche Akzeptanz von Mehrstaatigkeit. Ziel der erleichterten
Einbürgerungsvoraussetzungen ist es, Anreize für Integration zu schaffen,
eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen und Deutschland auch für
ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen. Zwar ist die Nachfrage nach
Einbürgerungen seit Inkrafttreten der Reform gestiegen, doch verursachen
Personalmangel, fehlende Digitalisierung und die komplexe Rechtslage einen
Rückstau beim Bearbeiten der Anträge in den Einbürgerungsbehörden –
verbunden mit langen Wartezeiten für Einbürgerungswillige. Der SVR hält
daher Anpassungen bei der Umsetzung für notwendig. Stellschrauben sind das
Bereitstellen von Anwendungshinweisen und Handreichungen für
Behördenmitarbeitende sowie flächendeckende Schulungen etwa zu den
komplexen Prüfaufgaben wie dem Identitätsnachweis oder dem Bekenntnis zur
freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Zu prüfen ist
auch, wo sich Zuständigkeiten auf Länderebene zentralisieren und mit
anderen Behörden besser verzahnen lassen. „Damit sich
Einbürgerungsinteressierte auch tatsächlich dazu entschließen, den
deutschen Pass zu beantragen, braucht es leicht zugängige Informationen
und Beratungsangebote, sowohl online als auch vor Ort. Der SVR unterstützt
hier den pragmatischen Ansatz von regelmäßigen kollektiven
Informationsveranstaltungen. Ergänzend können auch communitybasierte
Lotsenprojekte helfen, die einige Bundesländer schon umgesetzt haben.
Diese entlasten die Behörden und können durch gute Vorbereitung dazu
beitragen, die Verfahren zu beschleunigen“, empfiehlt Prof. Kluth.

Migrationsverwaltung digitalisieren, Prozesse vereinfachen und Verfahren
beschleunigen

„Es braucht mehr Mut zur Vereinfachung“, sagt Prof. Glorius. „Deutschland
braucht nicht immer mehr Gesetze, sondern eine effektivere Umsetzung. Da
über Jahre zu wenig in Infrastruktur, ausreichendes Personal und in eine
effiziente Verwaltung investiert wurde, sind viele Behörden überlastet:
Die Digitalisierung kommt nur schleppend voran, Arbeitsprozesse sind
überreguliert und dauern häufig zu lange und es fehlt an ausreichend
geschultem Personal.“ Es sollte deshalb darum gehen, Bürokratie abzubauen,
Prozesse stärker zu digitalisieren, Verfahren zu beschleunigen sowie die
föderal organisierten Strukturen zu optimieren und Zuständigkeiten zu
bündeln. Um die Wirkung von Gesetzen nachzuverfolgen, empfiehlt der SVR,
Gesetzesvorhaben und Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren und einer
evidenzbasierten Aufgabenkritik zu unterziehen. „Dies gewährleistet, dass
die eingesetzten Mittel im angemessenen Verhältnis zu den Zielen und zum
Ergebnis stehen und für stabile Verwaltungsstrukturen sorgen“, sagt der
SVR-Vorsitzende Prof. Kluth.

Weitere Themen im SVR-Jahresgutachten 2025:
•       Fachkräftepotenzial durch die Chancenkarte ausschöpfen
•       Chancenaufenthaltsrecht: Erwerbstätigkeit als Brücke für einen
‚Spurwechsel‘ nutzen
•       Integrationsstrukturen in Kommunen nachhaltig gestalten,
Finanzierung sichern

---
Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges
und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen
Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung
bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen
sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und
Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof.
Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin,
Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex,
Ph.D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof.
Dr. Hannes Schammann.

Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de

Die weltoffene Leuchtanstadt Luzern am Vierwaldstättersee freut sich auf Ihren Besuch

Die Region Sempachersee im Herzen der Schweiz freut sich auf hren Besuch