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Euro 2020 – in den kommenden Wochen dreht sich
alles um den Fußball. Was die Europameisterschaft und der Fußballsport mit
Radiologie zu tun haben, darüber haben wir mit Prof. Dr. Martin Mack
gesprochen. Professor Mack ist Facharzt für Diagnostische Radiologie,
Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis Radiologie München und Leiter des
Standorts an der Säbener Straße auf dem Trainingsgelände des FC Bayern
München. Er ist damit auch für die radiologische Betreuung der Spieler des
FC Bayern München zuständig.

Herr Professor Mack, in diesem Sommer finden gleich zwei große Sport-
Events statt: die Euro 2020 und die Olympischen Spiele in Tokio. Schauen
Sie sich in Ihrer Freizeit eigentlich sportliche Wettkämpfe an, und wenn
ja, welches Ereignis von den beiden favorisieren Sie?
Professor Mack: Ich schaue mir in meiner Freizeit auch mal Sportereignisse
an, wobei mich Fußball eher interessiert als die Olympiade. Das hängt auch
damit zusammen, dass ich einige Fußballclubs radiologisch betreue und
dadurch einen stärkeren Bezug zum Fußball habe. Aber es kommen auch
Sportler aus anderen Sportarten wie Handball oder der Leichtathletik zu
mir in die Praxis. Wenn diese Spieler oder Athleten dann Wettkämpfe haben,
schaue ich mir auch gerne die Spiele und Veranstaltungen an, bei denen sie
dabei sind.

Können Sie sich Fußballspiele eigentlich als „normaler Zuschauer“
anschauen oder lässt sich der professionelle Blick eines Arztes und
Radiologen nicht mehr abschalten?
Professor Mack: Das kommt darauf an. Wenn es um Spieler des FC Bayern
München geht, schaue ich mir die Spiele sehr intensiv und teils mit einer
gewissen Anspannung an. Denn statistisch gesehen ist es einfach so, dass
sich immer irgendein Spieler in einem Spiel verletzt. Das bedeutet dann
meistens, dass ich noch einmal in die Praxis fahren und den Spieler
untersuchen muss. Außerdem hängt natürlich auch mein Herz an diesem
Verein, sodass man sich etwas sorgt, wenn einer der Spieler der „eigenen“
Mannschaft ausfällt. Wenn sich einer der Spieler verletzt hat, schaue ich
mir nachher auch immer die  Videoaufzeichnungen des Spiels an. Der
Verletzungsmechanismus kann manchmal eine große Hilfe bei der Beurteilung
der sein.

Sie haben gerade über Ihre radiologische Betreuung der Spieler des FC
Bayern berichtet. Die Spieler haben ja, wie andere Profi-Fußballer auch,
gerade eine besonders anstrengende Saison hinter sich - mit vielen Spielen
in vielen Turnieren und wenig Regenerationszeit. Inwieweit erhöht eine
derart starke körperliche Belastung das Verletzungsrisiko, zum Beispiel
jetzt im Rahmen der Euro 2020?
Professor Mack: Starke körperliche Belastungen spielen eine große Rolle
bei Verletzungen. Man weiß aus den Statistiken, zum Beispiel aus der UEFA
Injury Study, dass die Zahl der traumatischen Verletzungen während der
Saison höher ist als in der Saisonvorbereitung. Es ist zum Beispiel auch
bekannt, dass die Häufigkeit von Verletzungen sowohl gegen Ende der ersten
als auch zweiten Halbzeit ansteigt. Die Euro 2020 reduziert natürlich die
Regenerationszeiten für viele Spieler und das wird auch dazu führen, dass
die eine oder andere Verletzung passiert – entweder bei der Euro oder
danach während der Vorbereitung auf die nächste nationale Saison. Denn die
Spieler, die bei der Euro aktiv waren, hatten natürlich weniger Pause als
diejenigen, die nicht dabei waren.

Sind Fußballspieler verletzungsanfälliger als andere Sportler?
Professor Mack: Das kann man nicht pauschal sagen. Auch etwa im Hand- oder
Basketball passieren Verletzungen. Fußball ist einfach ein sehr schneller
Sport geworden, der sehr körperbetont im Zweikampf ist und zumindest im
Profifußballbereich eine hohe Anzahl an Spielen hat. Zum Beispiel liegt
die Laufgeschwindigkeit von Fußballspielern bei Sprints bei ca. 35
Stundenkilometern. Das alles zusammengenommen bringt ein gewisses Maß an
Verletzungen mit sich. Diese kommen aber nicht substanziell häufiger vor
als in anderen Sportarten im hochprofessionellen Bereich.

Was sind die häufigsten Verletzungen bei Fußballspielern und welche
bildgebenden Verfahren kommen hier routinemäßig zum Einsatz?
Professor Mack: Wenn man einen Kader von 25 Spielern hat, dann hat man
ungefähr 50 Verletzungen pro Jahr in der Saison. Das heißt, man kann in
einem Profi-Fußballverein im Schnitt zwei Verletzungen pro Spieler pro
Saison erwarten. Das bedeutet dann natürlich auch, dass ungefähr 12 bis 14
Prozent der Spieler, die man eigentlich zur Verfügung hätte, theoretisch
immer aufgrund einer Verletzung fehlen.
Muskel- und Sehnenverletzungen sind mit weitem Abstand am häufigsten im
Profi-Fußball. Die UEFA analysiert das jedes Jahr und dabei sieht man über
die letzten 20 Jahre, dass Muskel- und Sehnenverletzungen nicht
abgenommen, sondern eher zugenommen haben. Verletzungen wie
Bandverletzungen sind demgegenüber über die Jahre leicht zurückgegangen.
Das zeigt die hohe Belastung in diesem Sport, der die Muskeln und vor
allem die unteren Extremitäten extrem belastet. Muskelverletzungen treten
im Profi-Fußball also am häufigsten auf und produzieren die meisten
Ausfalltage.
Je nach Verletzung spielt die Bildgebung eine sehr relevante Rolle bei der
Diagnostik – etwa von Muskelverletzungen. Heutzutage ist es Routine,
Fußballer mit Muskelverletzungen einer Kernspin-Untersuchung zu
unterziehen, um zum Beispiel zu analysieren, wie ausgedehnt und groß die
Verletzung ist oder welche Strukturen betroffen sind. Durch die Bildgebung
können wir sehen, ob es nur ein Faserriss oder ein Muskelbündelriss ist.
Oder ob es sich um eine myofasziale Verletzung, also eine Verletzung der
Muskelhülle mit Muskel, handelt oder vielleicht sogar die Sehne beteiligt
ist. All diese Verletzungen bedingen unterschiedliche Ausfallzeiten und
deswegen müssen diese genau klassifiziert werden. Danach kann man,
natürlich unter Einbeziehung der klinischen Befunde, abschätzen, wann der
Spieler wieder spielen kann.
Im Follow-up werden regelmäßig MRT-Untersuchungen angefertigt, um ein
exaktes Bild vom Heilungsverlauf zu haben und dann eine möglichst exakte
Einschätzung geben zu können, ob die Laststeuerung passt oder ob man sie
steigern und der Spieler den nächsten Belastungsschritt machen und
möglichst sicher in den Wettkampf zurückkehren kann. Was man auf alle
Fälle vermeiden muss, sind Re-Verletzungen an der gleichen Stelle. Davor
haben alle Angst.

Ist eine Re-Verletzung besonders langwierig?
Professor Mack: Die Re-Verletzung braucht in der Regel länger zum Heilen
als die primäre Verletzung. Das ist gerade bei Muskelverletzungen so, denn
dabei entsteht typischerweise  Narbengewebe, was schlechter durchblutet
ist, weniger Regenerationsfähigkeiten hat und deswegen länger braucht, bis
es sich wieder erholt.

Welche Rolle spielt die Radiologie präventiv, das heißt zum Beispiel bei
Medizinchecks im Rahmen von Spielerkäufen?
Professor Mack: Ganz in der Prävention sind wir noch nicht angekommen. Ich
persönlich sehe Medizin-Checks, die wir mit jedem neu verpflichteten
Spieler am Anfang machen, als wichtiges Kriterium für die Prävention an,
weil es uns einen Überblick gibt über Fragen wie zum Beispiel: Was hat der
Spieler potenziell für gesundheitliche Baustellen? Hat der Spieler
vielleicht kleine Knorpelschäden oder Probleme am Meniskus? Hat er
irgendwo anders am Körper Veränderungen, zum Beispiel an der Wirbelsäule,
die ihm potenziell im weiteren Verlauf Beschwerden machen könnten? Ich
würde sagen, dass man das als Prävention gelten lassen kann. Was wir noch
nicht machen, ist, dass wir jede Woche die Spieler im Kernspin
durchchecken. So weit sind wir noch nicht.

Wie schätzen Sie allgemein die Bedeutung der bildgebenden Diagnostik im
Profisport ein? Wird diese eher zu- oder abnehmen?
Professor Mack: Ich glaube, dass ein moderner Profi-Sportverein, egal ob
im Fußball oder in einer anderen Sportart, ohne Radiologie und umfassende
bildgebende Diagnostik, die regelmäßig eingesetzt wird, nicht weiterkommt.
Denn es passieren im Sport ständig kleinere Verletzungen oder
Überlastungsreaktionen, die man sich anschauen muss. Die klinische
Untersuchung, aber auch der Ultraschall spielen eine Rolle, aber letztlich
geht die Tendenz dahin, dass die Magnetresonanztomografie das Verfahren
der Wahl ist. Damit kann man Verletzungen am exaktesten analysieren und
hat keine Strahlenbelastung. Es verfestigt sich zunehmend in den Köpfen
von Sportlern, dass ein gut gemachtes Kernspin der Goldstandard ist, um
sie zu betreuen. Die Tendenz ist, dass es zunehmend mehr eingesetzt wird,
was meiner Meinung nach auch sinnvoll ist.

Abschließend die wichtigste Frage: Wer wird Europameister?
Professor Mack: Wenn ich das schon sicher vorhersagen könnte! Ich hoffe,
dass es die deutsche Nationalmannschaft wird. Sie sind gut aufgestellt.
Natürlich, auch die anderen Mannschaften schlafen nicht, aber die deutsche
Nationalmannschaft hat eine gute Ausgangsbasis und gute Spieler.