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Nicht Zellstress allein führt zum Tumorwachstum, sondern die Zusammenarbeit von Stress und Mikrobiota, fand Prof. Dirk Haller heraus – hier mit Sandra Bierwirth (li.) und Olivia Coleman.  A. Heddergott/ TUM
Nicht Zellstress allein führt zum Tumorwachstum, sondern die Zusammenarbeit von Stress und Mikrobiota, fand Prof. Dirk Haller heraus – hier mit Sandra Bierwirth (li.) und Olivia Coleman. A. Heddergott/ TUM

Auf ein unerwartetes Ergebnis ist das Team von Professor Dirk Haller an
der Technischen Universität München (TUM) bei der Untersuchung von
auslösenden Faktoren des Dickdarmkrebses gestoßen: Zellstress treibt in
Kombination mit einer veränderten Mikrobiota im Dickdarm das Tumorwachstum
an. Zuvor herrschte die Annahme, dass diese Kombination lediglich zu
entzündlichen Darmerkrankungen beiträgt.

„Wir wollten mit unserer Studie ursprünglich klären, welchen Beitrag
Bakterien im Darm an der Entstehung von Darmentzündungen haben“, erklärt
Professor Dirk Haller vom Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie am
Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TUM. „Das für uns überraschende
Ergebnis war jedoch, dass Änderungen im mikrobiellen Ökosystem
(Mikrobiota) zusammen mit Stress in den Darmzellen zur Entstehung von
Tumoren führt und zwar ausschließlich im Dickdarm und ohne Beteiligung von
Entzündung.“

Die Untersuchungen fanden zunächst am Mausmodell statt. In keimfreien
(d.h. sterilen) Tieren, bei welchen zwar der aktivierte
Transkriptionsfaktor ATF6 für eine Stressregulation in der Darmschleimhaut
(Darmepithel) sorgt, konnte jedoch keine Veränderung beobachtet werden.
Sobald aber die Mikrobiota, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im
Darm, in keimfreie Tiere zurück transplantiert wurden, entwickelten sich
im Dickdarm der Mäuse Krebsgeschwulste. Hier konnte das Team um Haller
entlang der Koch’schen Postulate zeigen, dass Mikroorganismen an der
Krebsentstehung im Dickdarm beteiligt sind.

Der Transkriptionsfaktor ATF6 reguliert den Stress in der Zelle, wobei die
Intensität und Dauer der Aktivierung mit Erkrankungen verstärkt wird. „Es
ist aber nicht der Zellstress allein, der zu dem Tumorwachstum führt,
sondern die Zusammenarbeit von Stress und Mikrobiota, welche das
Krebswachstum begünstigt“, sagt Haller, Leiter des ZIEL – Institute for
Food & Health der TUM.

ATF6-Vorkommen bei Patienten mit Dickdarmkrebs erhöht
Später wurden in Zusammenarbeit mit dem Klinikum rechts der Isar (Prof.
Klaus-Peter Janssen) die Daten von 541 Patienten mit Dickdarmkrebs
untersucht. Bei denjenigen, wo der Transkriptionsfaktor ATF6, der
Zellstress auslöst, signifikant erhöht war, steigerte dies die
Rückfallquote nach einer Operation: Etwa zehn Prozent der Patienten waren
gefährdet, ein zweites Mal Dickdarmkrebs zu bekommen.

„In bestimmten Patienten könnte das Protein ATF6 als diagnostischer Marker
für ein erhöhtes Dickdarmkrebsrisiko dienen, um dann frühzeitig mit einer
Therapie beginnen zu können“, sagt Prof. Haller – „eine mikrobielle
Therapie wäre vorstellbar, wenn wir noch mehr wissen über die
Zusammensetzung der Bakterien. Was nun jedoch deutlich wurde: Chronische
Entzündungen nehmen auf die Krebsentwicklung im Dickdarm keinen Einfluss.“

Mehr Informationen:
Diese Arbeit wurde gefördert durch das DFG-Forschungsstipendium (RTG)
1482, das DFG-Schwerpunktprogramm (SPP) 1656 und das DFG-
Sonderforschungsprogramm (SFB) 1335.