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Erste Tests von Reifen mit dem naturidentischen, biomimetischen Synthesekautschuk BISYKA zeigen, dass diese etwa 30 bis 50 Prozent weniger Abrieb im Vergleich zu Naturkautschukreifen erzeugen.  Fraunhofer IAP/Till Budde
Erste Tests von Reifen mit dem naturidentischen, biomimetischen Synthesekautschuk BISYKA zeigen, dass diese etwa 30 bis 50 Prozent weniger Abrieb im Vergleich zu Naturkautschukreifen erzeugen. Fraunhofer IAP/Till Budde

Natürlicher Kautschuk aus Kautschukbäumen ist ein begrenzter Rohstoff.
Synthetisch hergestellter Kautschuk reicht bisher im Abriebverhalten
jedoch nicht an das natürliche Produkt heran und eignet sich daher nicht
für LKW-Reifen. Ein neuartiger Synthesekautschuk erzeugt nun erstmals 30
bis 50 Prozent weniger Abrieb als Naturkautschuk.

LKW-Reifen müssen einiges aushalten: Durch die großen Lasten, die die
»Brummies« durch die Lande transportieren und die vielen Kilometer, die
sie Tag für Tag auf den Straßen zurücklegen, nutzen sie sich stark ab. Die
Laufflächen der Reifen sind daher überwiegend aus Naturkautschuk aus
Kautschukbäumen hergestellt, der die bisher hervorragendsten
Abriebeigenschaften aufweist. Der künstlich hergestellte Synthesekautschuk
kann zumindest in diesem Punkt bisher nicht an Naturkautschuk
heranreichen. Das Problem beim Naturkautschuk: Die Versorgungssicherheit
für diesen wichtigen Rohstoff ist gefährdet. In Brasilien, dem
Ursprungsland des Kautschuks, vernichtet der Pilz Microcyclus ulei ganze
Plantagen. Greift der Pilz auch auf den asiatischen Raum über, wo sich
heute wichtige Anbaugebiete befinden, ist die Weltproduktion für Gummi
bedroht.

Biomimetischer Synthesekautschuk mit optimiertem Abriebverhalten (BISYKA)
Forscherinnen und Forscher der Fraunhofer-Institute für Angewandte
Polymerforschung IAP, für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS,
für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, für Werkstoffmechanik
IWM und für Silicatforschung ISC haben die Eigenschaften von
Synthesekautschuk daher nun optimiert. »Unser Synthesekautschuk BISYKA,
kurz für Biomimetischer Synthesekautschuk, hat sogar noch bessere
Eigenschaften als Naturkautschuk«, sagt Dr. Ulrich Wendler, der das
Projekt am Fraunhofer-Pilotanlagenzentrum für Polymersynthese und
-verarbeitung PAZ in Schkopau leitet. Das Fraunhofer PAZ ist eine
gemeinsame Initiative des Fraunhofer IAP und des Fraunhofer IMWS. »Die
Reifen aus Synthesekautschuk verlieren 30 Prozent weniger Masse als das
Äquivalent aus Naturkautschuk, der Profilverlust beträgt sogar nur die
Hälfte. Zudem lässt sich der Synthesekautschuk mit Bestandsanlagen in
großtechnischem Maßstab produzieren. Das heißt: Der Synthesekautschuk
bietet eine hervorragende Alternative zum Naturkautschuk – auch im Bereich
der Hochleistungs-LKW-Reifen.«

Gezielte Analyse von Löwenzahn-Kautschuk
Doch wie haben die Forscherinnen und Forscher diese Steigerung erreicht?
Am Fraunhofer IME untersuchten die Wissenschaftler Kautschuk aus
Löwenzahn. Dieser besteht wie der Kautschuk aus den Kautschukbäumen zu
etwa 95 Prozent aus Polyisopren, die verbleibenden Prozente aus
Biokomponenten wie Proteinen oder Lipiden. Der Vorteil gegenüber dem Baum-
Kautschuk: Statt sieben Jahren hat der Löwenzahn eine Generationenfolge
von nur drei Monaten. Kautschuk aus Löwenzahn bietet somit eine ideale
Ausgangsposition, um den Einfluss der Biokomponenten auf die Kautschuk-
Eigenschaften zu untersuchen. Dazu schalteten die Fraunhofer-Forschenden
die involvierten Schlüsselbiokomponenten gezielt aus.

Nachdem die für das Abriebverhalten wichtigen Biokomponenten identifiziert
waren, synthetisierten die Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer IAP
den BISYKA-Kautschuk – aus den jeweiligen Biomolekülen und
funktionalisiertem, hoch mikrostrukturreinen Polyisopren. Die Kolleginnen
und Kollegen am Fraunhofer IWM und IMWS untersuchten die daraus erhaltenen
Kautschukvarianten auf ihre Eigenschaften. Dazu nutzten sie die
Dehnkristallisation: Dehnt man Naturkautschuk auf die dreifache Länge,
bilden sich kristalline Bereiche – der Kautschuk verhärtet sich. »Die
Dehnungskristallisation von BISYKA-Kautschuk entspricht der des
Naturkautschuks«, erläutert Wendler. Für LKW-Reifen wird der Kautschuk
üblicherweise mit Ruß gemischt, daher die schwarze Farbe. Der Trend geht
allerdings dazu, statt Ruß Silicate zuzumischen. Hier kommt die Expertise
des Fraunhofer ISC ins Spiel: Am Institut wird untersucht, wie neuartige
Silicafüllstoffe zu optimalen Alternativen für Naturkautschuk in der
Automobilindustrie führen können.

Synthesekautschuk überzeugt in Praxistests
Nach der Entwicklung des BISYKA-Kautschuks wurde er getestet: Hält er, was
er aufgrund der Dehnungskristallisation verspricht? Dies ließen die
Forscher von einem externen und somit unabhängigen Partner untersuchen:
dem Prüflabor Nord. Dazu wurden vier PKW-Reifen gefertigt, deren
Lauffläche aus BISYKA bestand, und mit solchen verglichen, deren
Lauffläche aus Naturkautschuk gefertigt war. Die Tests wurden direkt an
einem Auto durchgeführt, das 700 Kreise in die eine Richtung und 700
Kreise in die andere Richtung fuhr. Das Ergebnis: Während der
Naturkautschuk-Reifen nach dem Test um 850 Gramm leichter war und 0,94
Millimeter an Profil verlor, büßte der BISYKA-Reifen lediglich 600 Gramm
Gewicht und 0,47 Millimeter Profil ein. Auch der Rollwiderstand ist beim
Synthesekautschuk besser: Während der Naturkautschuk auf der
Rollwiderstandsampel beim Wert C liegt, erreicht BISYKA den besseren Wert
B. »Bisher haben wir nur erste Tests mit der BISYKA-Reifenmischung
durchgeführt, die äußerst vielversprechend sind. Als nächsten Schritt
möchten wir den BISYKA-Kautschuk weiter optimieren. Dies betrifft vor
allem den Anteil und die Zusammensetzung der Biokomponenten. Parallel dazu
wird die Rezeptur der Laufflächenmischung für LKW-Reifen auf den neuen
Kautschuk angepasst«, sagt Wendler. Aktuell sind der Forscher und sein
Team auf der Suche nach Kooperationspartnern, die das Produkt auf den
Markt bringen.

Am 4. April 2019 stellen die Forscherinnen und Forscher ihre Ergebnisse
bei einem Transferworkshop auf der Jahrestagung der Deutschen Kautschuk-
Gesellschaft Ost in Merseburg vor.