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Mehr als 25 Prozent der von den wohlhabenden Ländern geleisteten
Hilfsgelder werden nicht in den Entwicklungsländern eingesetzt. Die
Erhöhung der Entwicklungshilfe in den vergangenen Jahren ist zudem vor
allem auf höhere Ausgaben für Flüchtlinge in den Geberländern selbst
zurückzuführen, belegt eine neue Studie von Entwicklungsexperten des
MEDAM-Projekts. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu den Aussagen
politischer Entscheidungsträger, die höhere Entwicklungshilfe damit
begründen, irreguläre Migration nach Europa einzudämmen.

Im Rahmen des MEDAM-Projekts (Mercator Dialogue on Asylum and Migration)
(https://www.medam-migration.eu/en/) analysierten die Entwicklungsexperten
Mauro Lanati (Migration Policy Centre am Europäischen Hochschulinstitut)
und Rainer Thiele (Institut für Weltwirtschaft Kiel) die
Entwicklungshilfeausgaben der reichen Länder.

Die Analyse der Geberländerausgaben für Entwicklungshilfe, die jährlich
von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(OECD) in Paris erfasst werden, zeigt, dass ein erheblicher Teil der
Entwicklungshilfe innerhalb der eigenen Grenzen der Geberländer selbst
ausgegeben wird. Diese sogenannte „non-transferred aid“ (Hilfsgelder, die
nicht an Entwicklungshilfeländer weitergeleitet werden) machte mehr als 25
Prozent der Gesamthilfe im Jahr 2016 aus – dem letzten Jahr, für das Daten
aus 29 Geberländern und 125 Empfängerländern vorliegen. Ein Trend, der
sich weiterhin fortsetzt, wenn man sich die neueren Daten der Geberländer
ansieht.

„In der öffentlichen Debatte wird nicht immer deutlich, was
Entwicklungshilfe eigentlich beinhaltet. Sie ist nicht immer
gleichbedeutend mit direkter Hilfe für die Entwicklungsländer und die
Menschen dort“, erläutert Rainer Thiele. „In den seltensten Fällen handelt
es sich um Geldbeträge, die direkt vom Spender an den Empfänger gehen. “

Die Einbeziehung von nicht-transferierten Leistungen in die gesamte
Entwicklungshilfestatistik erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck,
dass den einkommensschwachen Ländern hohe Summen zur Verbesserung der
Lebensbedingungen zur Verfügung stehen.

„Vor allem die Kosten für Flüchtlinge, die in den Geberländern leben,
fallen auf. Im Gegensatz zu anderen Arten nicht-transferierter Leistungen
wie Schuldenerlässe, stehen die Kosten für Flüchtlinge im Geberland in
keinem Bezug zur Verbesserung der Lebensbedingungen in armen Ländern“, so
Thiele. „In Deutschland führten die hohen Kosten für die Aufnahme von
Flüchtlingen 2015 und 2016 zu einer deutlichen Erhöhung der Gesamtausgaben
für Entwicklungshilfe.“

„Solche Ausgaben dienen natürlich wichtigen Zwecken wie einer
menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden, sind aber
etwas völlig anderes als der Transfer von Ressourcen an
Entwicklungsländer, um dort die Lebensbedingungen zu verbessern.“

Entwicklungshilfe zur Reduzierung irregulärer Migration?

Die Ergebnisse der Studie stehen daher im Kontrast zu der Rhetorik vieler
europäischer Politikerinnen und Politiker.

Seit der „Flüchtlingskrise“ und den Wahlerfolgen der populistischen
Parteien mit Anti-Einwanderungsagenda suchen politische
Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger nach Instrumenten,
Migration einzuschränken. Die Aufstockung der Entwicklungshilfe wird dabei
als ein Schlüsselinstrument genannt. Die langfristige Entwicklungshilfe
solle dazu beitragen, die eigentlichen Ursachen der Migration zu bekämpfen
und bessere Verdienstmöglichkeiten, eine qualitativ hochwertige Bildung
und bessere öffentliche Dienstleistungen zu schaffen. Diese Maßnahmen
sollen den Menschen einen Anreiz geben, in ihren Heimatländern zu bleiben.

Doch die Studie der beiden MEDAM-Forscher illustriert, dass der Anstieg
der Entwicklungshilfe seit 2015 vor allem auf Ausgaben für Flüchtlinge in
den Geberländern zurückzuführen ist. Ohne den Transfer von Ressourcen in
die Entwicklungsländer werden potenzielle Migrantinnen und Migranten
allerdings kaum eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erfahren.

Dass nicht-transferierte Leistungen in der Regel nicht zur Bekämpfung von
Migrationsursachen beitragen, überrascht daher nicht.

„Der hohe Anteil an nicht-transferierten Entwicklungshilfegeldern steht
eindeutig im Widerspruch zu der Grundidee von Entwicklungszusammenarbeit,
die Entwicklung direkt in den Ländern mit niedrigem und mittlerem
Einkommen zu unterstützen. Umso mehr, seitdem es den politischen
Entscheidungsträgern nicht nur um die Förderung von Entwicklung, sondern
auch um die Bekämpfung der Fluchtursachen geht“, so Thiele. „Ganz
unabhängig davon, dass diese nicht-transferierten Leistungen nur in den
seltensten Fällen zur Verringerung der Migration beitragen können, birgt
dieser politische Diskurs zudem ein großes politisches Risiko: Bei den
Bürgern werden Erwartungen geschürt, die diese Art der Entwicklungshilfe
überhaupt nicht erfüllen kann. Das könnte sich später rächen.“