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Moderne Popsongs beruhen auf musikalischen Prinzipien westafrikanischer
Trommelrhythmen: Zu dieser verblüffenden Erkenntnis führt die neue
Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich. Sie zeigt, wie
Trommler aus Ghana und Nigeria Fingerfertigkeit und kulturelles Wissen
verbinden, wie sie ihre Instrumente zum Sprechen bringen und sich damit
weltweit Gehör verschaffen.

«Mit Trommeln sprechen», der Titel der Ausstellung, ist durchaus wörtlich
zu verstehen. Denn Trommler in Westafrika imitieren mit ihren Instrumenten
Rhythmus und Melodie gesprochener Sprache. Etwa jene der Yorùbá in
Südwestnigeria oder jene der Ashanti in Ghana – tonale Sprachen, bei denen
die Tonhöhe einer Silbe die Wortbedeutung bestimmt.

Austausch mit dem Ensemble, dem Publikum – und der Welt

An politischen und religiösen Anlässen begrüssen die Perkussionisten mit
ihren sprechenden Trommeln Ehrengäste und zitieren deren Biografien; Sie
geben Gebete oder Sprichwörter wieder; Sie erzählen von vergangenen
Ereignissen, nehmen politisch Stellung und vermitteln so zwischen
Aktualität und Geschichte. «Dafür benötigen sie neben musikalischen und
motorischen Fertigkeiten ein immenses kulturelles und soziales Wissen»,
sagt Kurator und Ethnologe Alexis Malefakis, «Wissen, das sie ein Leben
lang ergänzen und verfeinern.» Entsprechend hoch ist das Ansehen, das die
Musiker in der Gesellschaft geniessen.

Im Zusammenspiel mit weiteren Instrumenten wie Glocken und Rasseln
verzahnen sich die Rhythmen der Trommeln zu komplexen Polyrhythmen. «Die
Trommler orientieren sich nicht wie bei uns an einem fixen Takt, sondern
an den anderen Instrumenten», so Malefakis. «Sie sind also ständig
miteinander und zugleich mit dem Publikum im Gespräch.»

Einzelstimmen verflechten sich zu fliessendem Rhythmus

In der Ausstellung werden die Trommelsets verschiedener ethnischer Gruppen
und musikalischer Genres präsentiert. Ton- und Filmbeispiele vermitteln,
wie diese im Zusammenspiel klingen und zu welchen Anlässen sie zum Einsatz
kommen. In einem interaktiven Video lässt sich ein mehrstimmiger
Gesamtrhythmus in seine einzelnen Rhythmen zerlegen und wieder
zusammenfügen.

Die verschiedenen Elemente eines Trommelensembles werden im modernen
Schlagzeug vereint, das in der Ausstellung einen prominenten Platz
einnimmt. Hier wird der Bogen geschlagen: vom traditionellen Kontext zur
zeitgenössischen Popmusik. «Auch während der Kolonialzeit und zur Zeit des
transatlantischen Sklavenhandels haben Trommler ihre Stimme erhoben und
ihre Musik mit Einflüssen anderer musikalischer Kulturen kombiniert»,
erläutert Malefakis, der selbst Schlagzeug spielt. «So sind letztlich
Stilrichtungen wie Jazz, Soul, Reggae oder Hiphop entstanden. Westafrika
war somit prägend für die weltweite Musikgeschichte.»

Weiterentwickeln traditioneller Musikgenres

Umgekehrt übernahmen westafrikanische Musikerinnen und Musiker Einflüsse
anderer Regionen und schufen neue künstlerische Ausdrucksformen: ab den
1970er Jahren zum Beispiel Fela Kuti’s «Afrobeat» – ein Genre, das
musikalische Neuschöpfungen mit religiösen Traditionen und politischen
Visionen verband und international Anerkennung fand.

Doch nicht überall stossen musikalische Innovationen auf offene Ohren. In
Nordnigeria etwa empfinden konservative Teile der muslimischen Bevölkerung
Popmusik als Angriff auf ihre moralischen Vorstellungen. Einigen
Extremisten sind auch traditionelle Musikgenres ein Dorn im Auge: Für die
Jihadisten der Terrormiliz Boko Haram in Nordostnigeria ist Musik
unvereinbar mit ihrer Auslegung des Islam. Indem sie Musiker einschüchtern
und sogar umbringen, versuchen sie, kulturelles Wissen, das zum Teil in
vor-islamischen Traditionen wurzelt, auszulöschen.

Ausstellungsinhalte über Schweizer Grenzen hinaustragen

Kurator Alexis Malefakis wurde von einem interdisziplinären Team von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Ghana, Nigeria, Deutschland
und der Schweiz unterstützt. Begleitend zur Ausstellung werden ihre
Beiträge dieses Mal nicht in einem Katalog, sondern auf einer Website
veröffentlicht, zusammen mit umfangreichem Audio- und Videomaterial. «Auf
diese Weise können wir unsere Inhalte weit über die Schweizer Grenzen
hinaus sichtbar und hörbar machen, etwa in Ghana und Nigeria», so
Malefakis. Denn genau darum geht es in der Ausstellung: Westafrikanische
percussion skills im globalen Gespräch.

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«Mit Trommeln sprechen. Westafrikanische percussion skills im globalen
Gespräch»
Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich
30. August 2019 bis 6. September 2020, Eintritt frei
Vernissage: Donnerstag, 29. August 2019, 18 Uhr