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Es ist ein in der Gesellschaft weitgehend unbekanntes Phänomen: Viele
Leistungssportler leiden unter Inkontinenz. Aufgrund ihrer biologischen
Voraussetzungen sind vor allem Frauen betroffen. In manchen Sportarten
liegt die Quote der Leidtragenden bei bis zu achtzig Prozent. Scham lässt
die meisten jungen Frauen schweigen. Dabei könnte das Problem gut
behandelt werden, sagt Prof. Dr. Birgit Schulte-Frei von der Hochschule
Fresenius. Vorausgesetzt, Therapeuten und Sportvereine finden Wege der
Zusammenarbeit. Bei der Ausbildung von Spezialisten sieht sie Hochschulen
in der Pflicht.

„Noch haben wir zu wenige Physiotherapeuten in Deutschland, die ihren
Fokus auf diese Thematik legen“, sagt die Dekanin des Fachbereichs
Gesundheit & Soziales an der Hochschule Fresenius. „Da so viele betroffen
sind, eröffnen sich sehr gute berufliche Perspektiven.“ Der erste
notwendige Schritt ist die Aufklärung unter Hinzuziehung von Eltern sowie
Trainerinnen und Trainern. „Wir stehen hier noch ganz am Anfang. Wir
müssen Sportlerinnen Mut machen, das Thema offen anzusprechen. Das ist
möglich, wenn wir entdramatisieren und enttabuisieren.“ Es könne nicht
angehen, dass junge Frauen mehrere Jahre unter einem lösbaren Problem
leiden, nur weil niemand darüber sprechen will. Diese Fälle sind nicht
selten, wie Schulte-Frei aus der Praxis berichtet.

Außerdem ist es vonnöten, insbesondere bei Leistungs- und
Hochleistungssportlerinnen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur
in den Trainingsplan zu integrieren. Schulte-Frei: „Natürlich ist mir
bewusst, dass die Trainingspläne der Athletinnen bereits voll und eng
getaktet sind. Es muss aber an anderer Stelle gekürzt werden.“ Sie hat
dabei einige schlagkräftige Argumente auf ihrer Seite: Aktuelle Studien
versuchen zu belegen, dass diese Spezialtrainings die allgemeine
sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen – „und dafür gibt es bereits erste
Indizien.“

Außerdem ist es ratsam, den Stress zu reduzieren und Druck von den
Sportlerinnen zu nehmen. Womit Schulte-Frei bei den vielschichtigen
Ursachen für die Inkontinenz angekommen ist: „Wir haben es hier mit einem
Dreiklang aus körperlichen Gegebenheiten in Verbindung mit Belastungen bei
bestimmten Sportarten, hormonellen Bedingungen und psychischen
Voraussetzungen zu tun.“ Bei den körperlichen Voraussetzungen spielen
nicht etwa gynäkologisch-urologische Aspekte eine Rolle, in dieser
Hinsicht sind die Athletinnen vollkommen gesund.

Vielmehr sorgt etwa starkes Untergewicht dafür, dass auch die
Beckenbodenmuskulatur geschwächt ist. Manche Sportlerinnen treiben es mit
dem Abnehmen so weit, dass der Körper nur noch auf Überleben programmiert
ist und die Regel für lange Zeit – teilweise über mehrere Jahre –
ausbleibt. Dafür wiederum ist meistens ein ungesunder Leistungs-
beziehungsweise Erfolgsdruck verantwortlich, der häufig genug auch von
außen kommt. Verbunden mit hohen biomechanischen Belastungen ist dann
Inkontinenz die fast schon logische Konsequenz.

Die Beanspruchungen treten vor allem in Sportarten mit vielen
Sprungelementen auf: Leichtathletik, Volleyball, Handball oder Basketball
sind Beispiele. Kritisch wird es bei übertriebenem Training und
gleichzeitiger Vernachlässigung der Beckenbodenmuskulatur. „Grundsätzlich
ist nämlich der harte Boden bei diesen Sportarten nicht das Problem. Der
Aufprall setzt wichtige Reize für die Ausbildung der Muskulatur. Deshalb
sieht man heute auch das früher so verpönte Joggen in einem anderen,
positiveren Licht“, sagt Schulte-Frei. Tatsächlich gibt es die meisten
Betroffenen beim Trampolinspringen: Der weiche, nachgebende Untergrund ist
Gift für die Beckenbodenmuskulatur.