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Dennis Niewerth versteht die Digitalisierung von Ausstellungsobjekten als eine Chance für die Museen.  DSM
Dennis Niewerth versteht die Digitalisierung von Ausstellungsobjekten als eine Chance für die Museen. DSM

Viele Schiffsmodelle aus dem Bestand des Deutschen Schifffahrtsmuseums /
Leibniz-Institut für Maritime Geschichte (DSM) könnten bald im Internet zu
sehen sein – zu jeder Zeit, kostenlos und in aller Welt. Dabei muss viel
Pionierarbeit geleistet werden, denn das Feld ist bisher wenig
erschlossen. Dennis Niewerth beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der
Digitalisierung von Museen und hat auch seine Doktorarbeit dazu
veröffentlicht. Er sieht in dem Vorgang keine Gefahr, sondern eine Chance
für Museen.

Von jeder Seite lässt sich das Halbmodell des Dienstfahrzeugs MÖVE
ansehen. Es kann gedreht und gewendet, aus der Nähe und der Distanz
untersucht werden. Ganz so, als halte der Betrachter es in der Hand. Nur
ist es ein digitales Abbild des Modells auf einem Bildschirm. Dennis
Niewerth hat es mit Hilfe von Studenten der Hochschule Bremerhaven
erstellt. Rund 90 Fotos aus allen möglichen Blickwinkeln mussten von dem
Halbmodell gemacht werden. „Die Fotoserien speisen wir in eine Software
ein. Ein Großteil der Arbeit wird am Computer gemacht“, sagt Niewerth.
Vier bis acht Stunden dauert es, ein Modell zu digitalisieren. Die Technik
nennt sich Photogrammetrie.

Mehr als 60 der Halbmodelle aus dem Bestand des DSM sind auf diese Weise
bereits digitalisiert worden. Halbmodelle zeigen die Hälfte des Rumpfs
eines Schiffes. Sie dienten auf Werften als Hilfsmittel zum Bau von Booten
und Schiffen. Benötigt werden für die Photogrammetrie eine hochwertige
Spiegelreflexkamera, ein Raum mit sehr gleichmäßigen Lichtbedingungen und
das Programm Agisoft Metashape. Das Programm berechnet aus den Fotos die
physikalische Form und das Aussehen der Oberfläche jedes Objekts.
„Problematisch sind die Rückseiten der Halbmodelle. Das Programm findet
hier nicht ausreichend prägnante Merkmale, um die mit der Vorderseite
zusammenzubringen“, sagt Dennis Niewerth. „Hier arbeitet unsere
studentische Hilfskraft Tobias Fiedler deshalb händisch an jedem einzelnen
Modell nach.“

Die Photogrammetrie ist nicht die einzige Möglichkeit, mit der diese
Modelle digitalisiert werden können. Dennis Niewerth und seine
studentischen Hilfskräfte konnten zum Beispiel einen Computertomografen
der Universität Bremen dafür ausprobieren. Außerdem stand ihnen kurzzeitig
ein sogenannter Streiflichtscanner zur Verfügung. Damit tastete Dennis
Niewerth ein Modell des Walfängers RAU IX von allen Seiten ab. Mehr als
zehn Millionen Dreiecke berechnete das Programm für das digitale Modell
des Schiffs. „Der zur Verfügung gestellte Laptop für den
Streiflichtscanner hatte nur 32 Gigabyte Arbeitsspeicher. Die reichte
nicht für eine völlig lückenlose Erfassung“, sagt Dennis Niewerth.
„Schiffsmodelle sind ein Anwendungsfall, den die Hersteller solcher Geräte
typischerweise nicht auf dem Schirm haben. Die industriellen Abnehmer
wollen meist sehr viel einfachere Werkstücke erfassen. Mit ihren vielen
kleinen Details sind unsere Modelle ein regelrechter Stresstest für die
Technik.“

Das Projekt zur Digitalisierung ist in gewisser Weise Pionierarbeit. „Wir
sind nicht die ersten, die Schiffsmodelle digitalisieren“, sagt der
Wissenschaftler – aber die ersten, die es systematisch als umfangreiches
Projekt angehen. Die 3D-Modelle sollen später für die Website des Museums
und für die Ausstellung genutzt werden. Im Internet sollen die Modelle in
allen gängigen Browsern ohne zusätzliche Programme betrachtet werden
können – von PC, Tablet oder Smartphone. Die Software hierfür entsteht in
enger Zusammenarbeit mit den Informatikern der Hochschule Bremerhaven.

Dennis Niewerth versteht die Digitalisierung von Ausstellungsobjekten als
eine Chance für die Museen. Andere Fachleute sehen die Gefahr, dass Gäste
durch ein umfangreiches Online-Angebot nicht mehr ins Museum gehen würden.
„Die Gefahr ist weitgehend herbeigeschrieben. Die Besucherforschung deutet
darauf hin, dass ein gutes digitales Angebot die Leute eher ins Museum zu
bringen scheint“, sagt er. Die klassischen Exponate in Ausstellungen
ließen sich darüber hinaus mit digitalen Exponaten verknüpfen, was ganz
neue Möglichkeiten schaffe. Eingeflossen ist dies etwa auch in die
aktuellen Sonderausstellung „360° POLARSTERN – eine virtuelle
Forschungsexpedition“ im DSM, die sowohl auf klassische Exponate als auch
auf Virtual- und Augmented-Reality baut.

Der promovierte Medienwissenschaftler hat an der Ruhr-Universität in
Bochum studiert und befasst sich bereits seit 2009 mit der Virtualisierung
von Museen. „Das Thema ist nicht nur spannend und in meiner
Interessenlage, es hat auch praktische Anknüpfungspunkte“, sagt er. 2016
schrieb Dennis Niewerth seine Doktorarbeit, die inzwischen unter dem Titel
„Dinge, Nutzer, Netze – von der Virtualisierung des Musealen zur
Musealisierung des Virtuellen“ in Buchform und im digitalen Open Access
erschienen ist.