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In kleinen Parzellen werden die verschiedenen Sorten angebaut.  Florian Gerlach  Universität Hohenheim
In kleinen Parzellen werden die verschiedenen Sorten angebaut. Florian Gerlach Universität Hohenheim

Anbau und Verarbeitung von Urgetreide erfordern spezielles Know-how.
Wahrscheinlich weltgrößter Feldversuch an der Uni Hohenheim testet über
500 Sorten von Einkorn, Emmer und Dinkel.

Vielfältig, schmackhaft und gesund: Urgetreidearten wie Einkorn, Emmer und
Dinkel erfreuen sich einer wachsenden Beliebtheit beim Verbraucher. Aber
„Urgetreide haben bei Anbau und Verarbeitung ihre Besonderheiten. Man muss
wissen, wie sie zu handhaben sind. Doch die Mühe lohnt sich, denn
Urgetreide sind erhaltenswerte Kostbarkeiten mit großem Potenzial“, so
apl. Prof. Dr. Friedrich Longin von der Landessaatzuchtanstalt der
Universität Hohenheim in Stuttgart. Im zweiten Jahr führt er nun den
wahrscheinlich weltgrößten Feldversuch mit Urgetreide durch: In kleinen
Parzellen wachsen derzeit je 150 Sorten Einkorn und Emmer sowie ca. 100
Sorten Dinkel auf den Versuchsfeldern. In Kürze sollen sie geerntet, zu
sortenreinen Mehlen vermahlen und auf ihre Backeigenschaften getestet
werden. Medienvertreter sind ‒ nach Terminabsprache ‒ herzlich eingeladen,
sich vor Ort selbst ein Bild von dem Versuch zu machen.

Lange waren sie fast vergessen, jetzt kommen sie dafür umso stärker
zurück: Viele Verbraucher schätzen Urgetreidearten nicht nur wegen ihrer
aromatischen Geschmacksnoten, sondern auch und gerade aus gesundheitlichen
Gründen. Neben Zöliakie-Patienten, die glutenhaltige Lebensmittel meiden
müssen, gibt es immer mehr Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen
moderne, industriell hergestellte weizenhaltige Backwaren nicht zu
vertragen scheinen.

Was jedoch überraschen mag: Einkorn und Emmer haben mehr Protein und
Gluten als Weizen. Jedoch unterscheidet sich dessen Zusammensetzung
deutlich, weswegen der Bäcker seine Rezepte und seine Backweise auf das
veränderte Backverhalten des Urgetreide-Mehls anpassen muss. Zudem eignen
sich die Backeigenschaften von Emmer und Einkorn nicht so gut für eine
schnelle maschinelle Verarbeitung.

Traditionelle Backweise führt zu besseren Backergebnissen und besserer
Verträglichkeit

Eine traditionelle Backweise in Kombination mit der veränderten
Zusammensetzung des Glutens könnten die Urgetreidesorten auch für Menschen
interessant machen, die unter einer Weizenunverträglichkeit leiden. „Dabei
wird der Teig mit Sauerteig angesetzt und ihm zwischen den einzelnen
Arbeitsschritten genügend Ruhe- und Reifezeiten gelassen, wir sprechen von
einer ‚langen Teigführung‘“, erläutert Tobias Pfaff, Leiter der
Bäckerfachschule in Stuttgart.

Diese Backweise hat zudem noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Der
hohe Mineralstoffgehalt von Dinkel, Emmer und Einkorn wird besser
verfügbar gemacht. Beim Dinkel und Emmer, aber vor allem Einkorn, können
die Gehalte an Mineralstoffen wie Zink, Selen, Mangan, Kupfer und Eisen
bis zu doppelt so hoch sein wie beim Brotweizen. Jedoch sind diese
Spurenelemente teilweise an den Naturstoff Phytat gebunden und können in
dieser Form vom menschlichen Körper nicht aufgenommen werden. Durch die
lange Teigführung mit Sauerteig wird das Phytat größtenteils abgebaut und
die Mineralstoffe werden so freigesetzt.

Aufwand, der sich lohnt, aber bezahlt werden muss

Für Backwaren aus Urgetreide muss der Verbraucher deutlich tiefer in die
Tasche greifen. Den Grund dafür erklärt apl. Prof. Dr. Longin: „Emmer und
Einkorn gehören zu den Spelzgetreiden, d. h. die Hülle der Körner, die
Spelzen, sind fest mit dem Korn verwachsen.“ Dadurch sei das Korn zwar vor
äußeren Einflüssen, wie Pilzbefall und Umweltschadstoffen, geschützter als
Weizen, „allerdings machen Spelzgetreide Müllern und Bäckern mehr Arbeit:
Durch einen zusätzlichen Arbeitsgang, der beim normalen Weichweizen gar
nicht nötig ist, müssen die Spelzen vom Korn getrennt werden.“

Während beim Weizen ca. 98 % der vom Landwirt ursprünglich gelieferten
Menge in der Mühle nutzbar ist, sind dies beim Einkorn nur ca. 65 %. Wenn
man jetzt noch berücksichtigt, dass – bei höherem Zeitaufwand durch
Landwirt und Müller – auch die Ernteerträge des Urgetreides und die
Mehlausbeute deutlich niedriger sind als beim Brotweizen, wundert es
nicht, dass die Rohstoffkosten für eine Tonne Einkornmehl bei bis zu 700 €
liegen, während sie für Weizenmehl rund 250 € betragen.

Die Sorte macht‘s

Die Ergebnisse von Backversuchen aus dem letzten Jahr zeigen, dass für die
Teigqualität, die Backeigenschaften und das Aroma des fertigen Gebäcks in
erster Linie die verwendete Getreidesorte ausschlaggebend ist. Deswegen
testet apl. Prof. Dr. Longin jetzt in diesem Anbauversuch über 500
Urgetreidesorten auf ihr Verhalten beim Anbau, welche Probleme es dabei
gibt und für welches Gebäck sich die verschiedenen Getreidesorten am
besten eignen.

Apl. Prof. Dr. Longin fasst seine bisher gewonnenen Ergebnisse zusammen:
„Beim Einkorn sind auf den ersten Blick keine Unterschiede erkennbar, die
zeigen sich erst in der genetischen Analyse. Beim Emmer hingegen
unterscheiden sich die einzelnen Sorten deutlich. Dies zeigt sich auch bei
ihren Eigenschaften.“ So gebe es z. B. bei der Standfestigkeit der
einzelnen Sorten und auch hinsichtlich Ertrag, Krankheitsanfälligkeit und
Backeigenschaften große Unterschiede. Allerdings fänden sich die
gewünschten Eigenschaften nicht alle in einer Sorte vereinigt. „Hier ist
noch ein weites Feld für weitere Züchtungsarbeit“, ist apl. Prof. Dr.
Longin überzeugt.

Rezepte für zu Hause

Bäckermeister Tobias Pfaff liefert einmal Vollkornbrot und einmal
Apfelbrot, Stefanie Dehn von den Urkornpuristen
(https://urkornpuristen.de/rezepte) zwei Erdbeerrezepte und drei
Brotrezepte.

Weitere Produktideen und Rezepte finden Sie auf der Facebookseite der
Urkornexperten: www.facebook.com/Die-UrkornExperten-105733824120879/#_=_.
Interessierte Bäcker und Hobbybäcker können auch in deren Facebookgruppe
mitdiskutieren und Ideen teilen:
https://www.facebook.com/groups/dieurkornexperten