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Stiftung Kindergesundheit informiert über Defizite in der
Ernährungsberatung und -therapie in Kinderkliniken

In keinem anderen Lebensabschnitt ist die Qualität der Ernährung so
wichtig wie in der Kindheit. Sie ist die Grundlage für gesundes Wachstum
und ungestörte Entwicklung, für lebenslange Gesundheit und
Leistungsfähigkeit. Besonders für chronisch kranke Kinder kann die
richtige Ernährung von entscheidender Bedeutung sein, um ihre
Lebensqualität zu fördern und ein Leben ohne schwere Belastungen oder
Langzeitschäden zu ermöglichen. In der Ernährungstherapie kranker Kinder
in Deutschland gibt es jedoch große Defizite, beklagt die Stiftung
Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme: Die Ausstattung der
Kinderkliniken mit Ernährungsfachkräften entspricht nicht dem
tatsächlichen Bedarf, und die Kosten einer bedarfsgerechten
Ernährungsberatung werden durch das starre System der Fallpauschalen nicht
gedeckt.

„Die Auswirkungen einer unausgewogenen Ernährung sind bei Kindern
gravierender als bei Erwachsenen“, betont Prof. Dr. Berthold Koletzko,
Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit und Vorsitzender der
Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und
Jugendmedizin (DGKJ). „Im Vergleich zu Erwachsenen sind bei kranken
Säuglingen, Kindern und Jugendlichen die Folgen einer Fehlernährung
weitaus schwerwiegender auf den Heilungsprozess und die Entstehung von
Komplikationen. Besonders bei Babys und Kleinkindern wirkt sich ein durch
Fehlernährung entstehendes Untergewicht nachteilig auf das Längenwachstum
aus, kann die körperliche und intellektuelle Reifung hemmen und auch das
Immunsystem schwächen, mit der Folge von gehäuften Infektionen. Die
langfristige Gesundheit und Leistungsfähigkeit werden nachhaltig
beeinträchtigt.“

Besonders wichtig ist die fachgerechte Ernährungs- und Diätberatung für
die große Gruppe von Kindern mit einer chronischen oder
ernährungsbedingten Erkrankung. Dazu zählen unter anderem Kinder mit
Morbus Crohn, Zöliakie, Leberentzündungen, Asthma, Allergien, Epilepsie
und angeborenen Fehlbildungen wie z. B. Herzfehlern.

Untergewicht wird oft unterschätzt

Neben dem großen Problem Übergewicht ist auch Untergewicht ein wichtiges,
oft unterschätztes Thema der Ernährungsmedizin, betont die Stiftung
Kindergesundheit. Nach aktuellen Studien ist fast jedes vierte Kind, das
ins Krankenhaus muss, mäßig bis schwerwiegend untergewichtig. Besonders
hoch ist das Risiko einer Mangelernährung bei kranken Kindern unter zwei
Jahren und bei Kinder mit Erkrankungen des Nervensystems und der
Verdauungsorgane.

Auch schwerkranke Kinder sind durch Mangelernährung gefährdet. So waren
Kinder einer Studie, die bei ihrer Aufnahme auf die Intensivstation zu 9
Prozent Untergewicht aufwiesen, bei ihrer Entlassung bereits zu 23 Prozent
untergewichtig. Auch viele sehr unreife Frühchen fallen auf der
Neugeborenen-Intensivstation noch weiter auf ihrer Gewichtsperzentile ab.

„Entsprechend ist ein bedarfsgerechtes Angebot einer qualifizierten
präventiven und therapeutischen Ernährungsberatung und -therapie in der
Pädiatrie besonders wichtig“, unterstrich die Ernährungskommission der
Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in einer aktuellen
Stellungnahme in der „Monatsschrift Kinderheilkunde“. „Dieses erfordert
pädiatrisch geschulte und erfahrene Ernährungsfachkräfte in der ambulanten
und der stationären Versorgung sowie ausreichend ausgestattete
multidisziplinäre Ernährungsteams an allen kinder- und jugendmedizinischen
Kliniken.“.

Personalnot und Zeitmangel in den Kinderkliniken

Das Problem dabei: Die Kinderkliniken in Deutschland sind einem massiven
wirtschaftlichen Druck ausgesetzt, beklagt die Stiftung Kindergesundheit.
Es herrschen Personalnot und Zeitmangel, es fehlt an Fachpersonal,
Ernährungsteams und an Geräteausstattung.

Erschwerend kommt hinzu, dass die ernährungsmedizinische Diagnostik und
Behandlung im Kindesalter wesentlich zeit- und personalaufwendiger ist als
bei erwachsenen Patienten. Der Grund liegt nicht nur in den
unterschiedlichen Krankheitsbildern, an denen die chronisch kranken Kinder
leiden: Der wachsende kindliche Organismus hat besondere Bedürfnisse, die
sich in den verschiedenen Alters- und Entwicklungsabschnitten drastisch
ändern können und deshalb auch in der Ernährung berücksichtigt werden
müssen.

Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko: „Im Gegensatz zur
Ernährungsberatung bei Erwachsenen ist bei Babys, Kleinkindern und
Jugendlichen ein individueller und für die jeweilige Altersgruppe
angepasster Ansatz erforderlich, der für viele Kinder spezielle Beratungs-
und Schulungskonzepte für die Familie benötigt“.

Intensive Schulung zur Auswahl und Zubereitung der Speisen bei kranken
Kindern

Die Schulung hat zum Ziel, die zur Behandlung der Krankheit notwendige
Ernährungsweise nicht nur dem betroffenen Patienten, sondern auch den
Eltern und eventuell weiteren Betreuungspersonen im sozialen Umfeld, also
zu Hause, in der Schule und in der Freizeit zu erklären. „Oft sind auch
praktische Anleitungen und Übungen zur Auswahl geeigneter Lebensmittel und
deren Zubereitung notwendig. Mitunter müssen auch weitere
Betreuungspersonen, zum Beispiel Erzieherinnen oder Lehrkräfte einbezogen
werden“, so Professor Koletzko.

Diese zeit- und personalintensive ernährungsmedizinische Betreuung von
Kindern und Jugendlichen wird jedoch im System der Fallpauschalen in
deutschen Kliniken nicht ausreichend berücksichtigt. Die Folgen:

•       Die Unterfinanzierung führt zu einem Mangel an pädiatrisch
geschulten und erfahrenen Ernährungsfachkräften.

•        Für die notwendige Ernährungstherapie bei vielen chronischen
Krankheiten des Kindesalters sind die Abrechnungsmöglichkeiten der
Kliniken unzureichend oder fehlen sogar gänzlich.

Gezielte Ernährung wirkt wie gute Medizin

„Bei ernährungsabhängigen Erkrankungen im Säuglings-, Kinder- und
Jugendalter wirkt eine zielgerichtete Ernährung wie gute Medizin“,
unterstreicht Professor Berthold Koletzko: „Sie kann das Risiko
krankheitsbedingter Komplikationen und Gesundheitsschäden reduzieren. Die
praktische Umsetzung scheitert jedoch häufig an der Unterfinanzierung der
Kliniken. Auch deshalb begrüßen wir den Vorschlag des
Gesundheitsausschusses des Bundesrates vom November 2020, die derzeit
geltenden Fallpauschalen für die stationäre Kinder- und Jugendmedizin
grundlegend zu verändern und durch ein kostendeckendes Vergütungssystem zu
ersetzen“.